Der wegen Mordes angeklagte Bruder der Afghanin hatte vor der Tat Gerüchte gehört, dass sie auf den Strich geht.

Zweiter Tag im Morsal-Prozess - die Freundin des Angeklagten ist im Zeugenstand, eine aparte 20 Jahre alte Studentin. "Jurastudentin, habe ich gelesen", sagt der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen, und sie nickt. "Ja, zweites Semester", bestätigt sie.

Nur zaghaft schaut sie ihren Freund an: Ahmad-Sobair Obeidi (24), der am 15. Mai 2008 laut Anklage seine jüngere Schwester (16) mit 23 Messerstichen tötete, weil der Afghane mit dem Lebenswandel von Morsal nicht einverstanden war.

Es sei für sie unglaublich, "dass mein Freund hier auf der Anklagebank sitzt, dass er derjenige ist, der das gemacht hat".

Seit fünf Jahren sei sie mit ihm befreundet. "Er hat seine Schwester Morsal geliebt." Er habe sich wie seine ganze Familie Sorgen um sie gemacht.

Zum ersten Mal enthüllt sie nun vor Gericht Einzelheiten über den Angeklagten. "Er ist ein extrem aggressiver Mensch und hat immer schon viel Alkohol getrunken, viel zu viel." Auch Kokain konsumiert, sagt sie. Kurz nach der Tat, am frühen Morgen, rief er sie an und beide trafen sich in den frühen Morgenstunden in einem Park. Er habe ihr erzählt, dass er mit einem Messer auf seine Schwester Morsal eingestochen und gedacht habe, dass sie noch lebe. "Wir waren beide unter Schock." Er habe von Freundinnen gehört, dass Morsal angeblich als Prostituierte gearbeitet haben soll. Ein fataler Anlass: Zwei Freundinnen bestätigen später kleinlaut, dass so etwas erzählt wurde - Partygerede, das nicht stimmte.

Der Angeklagte soll seiner Freundin damals berichtet haben: Er habe Morsal nicht umbringen wollen, sei "durchgedreht". Die Zeugin, selbst Afghanin, zeigt die unterschiedlichen Kulturvorstellungen auf, denn: Ahmad-Sobair sei gar nicht so streng wie andere afghanische Männer und wie bisher berichtet wurde. Der Angeklagte habe sich nur normale Sorgen um Morsal gemacht, etwa, wenn sie zu spät nachts nach Hause kam, nicht aber zum Beispiel deshalb, weil sie geraucht habe. Der Vorsitzende ist erstaunt darüber, "wenn man einen Menschen liebt und dann eine solche Tat begeht". Dass dies ein Liebesbezeugnis sei, "da möchte ich meine Zweifel anmelden". Die Zeugin lobt, dass Ahmad auch mit ihr nicht so streng umgegangen sei: "Ich durfte rauchen, Alkohol trinken, alleine weggehen."

Ihre Eltern seien dagegen gewesen, dass sie mit dem Angeklagten befreundet war. Unvermittelt ruft der Angeklagte dazwischen: "Ich wollte sie heiraten, aber ihre Mutter wollte es nicht" - sofort bremsen ihn seine zwei Verteidiger. Wenig später kommen ihm die Tränen, nervös spielt er wieder mit seinen Händen. Auch seine Freundin weint.

Zuvor hatte sich der Cousin des Angeklagten im Prozess als Zeuge auf sein "Auskunftsverweigerungsrecht" berufen, weil er sich durch seine Aussage selbst in die Gefahr hätte bringen können, dass gegen ihn strafrechtlich ermittelt wird: Er habe Morsal an den Tatort gebracht, diesen mit dem Angeklagten verlassen. Der Vorsitzende kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft noch kein Ermittlungsverfahren gegen den Cousin eingeleitet habe, wegen Beihilfe zu einem Tötungsdelikt, zumindest aber wegen unterlassener Hilfeleistung.

"Ich verstehe das nicht." Der Staatsanwalt verweist auf einen Schlussvermerk und dass dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich waren. Der Prozess wird am 5. Januar fortgesetzt.