Im Fall der Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi, die von ihrem Bruder getötet wurde, standen heute die Familie des Mädchens, ein früherer Lehrer und eine Mitschülerin als Zeugen vor dem Landgericht. Morsals Familie berief sich auf das Zeugenverweigerungsrecht und schwieg. Galerie: Der Morsal-Prozess
Im Fall der Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi, die von ihrem Bruder getötet wurde, standen heute die Familie des Mädchens, ein früherer Lehrer und eine Mitschülerin als Zeugen vor dem Landgericht. Morsals Familie berief sich auf das Zeugenverweigerungsrecht und schwieg.
Es ist Punkt neun, als Ghulam-Mohamad Obeidi (46), der Vater des Angeklagten, den Gerichtssaal betritt. Seit Mitte Dezember muss sich sein Sohn Ahmad-Sobair Obeidi wegen Mordes an seiner Schwester vor dem Landgericht verantworten. Der 24-Jährige soll seine Schwester am 15. Mai vergangenen Jahres mit 23 Messerstichen getötet haben, weil er über ihren Lebensstil verärgert gewesen sein soll. Zum Prozessauftakt schwieg der Angeklagte. Er hatte die Tat jedoch zuvor bereits gestanden.
"Guten Morgen. Sie sollen hier als Zeuge gehört werden", begrüßt der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen Ghulam-Mohamad Obeidi im Zeugenstand. "Als Zeuge muss man vor Gericht die Wahrheit sagen. Welchen Beruf haben Sie?", fährt er fort. Der Zeuge: "Zurzeit bin ich Busfahrer." Mehr muss der Vater des Angeklagten nicht sagen, denn als Angehöriger genießt er ein Zeugnisverweigerungsrecht. Ahmad-Sobair Obeidi bricht auf der Anklagebank in Tränen aus, als sein Vater den Saal verlässt.
Minuten später kommt seine Mutter in den Saal, gestützt von einer Mitarbeiterin der Zeugenbetreuung des Gerichts. Die Frau im schwarzen Trenchcoat nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz. Auch sie möchte nichts sagen, formuliert sie mit matter Stimme - dann bekommt sie einen Weinkrampf. Auch ihr Sohn kann erneut seine Tränen nicht mehr halten. Seine Mutter zittert am ganzen Körper. Mit gebeugtem Kopf stößt sie immer wieder einen schrillen Klageschrei aus. Auch sie beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Wieder gestützt durch die Zeugenbetreuerin wankt sie unter Tränen und Wehklagen aus dem Saal, wobei sie ihrem noch immer weinenden Sohn einen letzten Blick zuwirft.
Auch der 14-jährige Bruder des Angeklagten beruft sich wie erwartet auf sein Recht, als Angehöriger des Angeklagten zu schweigen.
Danach verlesen die Richter frühere Urteile gegen Ahmad-Sobair Obeidi, der bereits seit 1999 als Jugendlicher und Heranwachsender immer wieder durch Straftaten auffiel, von Unterschlagung und Diebstahl bis hin zur gefährlichen Körperverletzung. Mehrmals hatten die Richter damals die Verfahren gegen den Angeklagten nach dem Jugendgesetz eingestellt und von einer Strafe abgesehen. Ahmad-Sobair Obeidi kam damals mit Arbeitsauflagen davon.
Auch seine ältere Schwester machte als Zeugin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
Ein früherer Klassenlehrer von Morsal Obeidi berichtete am Nachmittag von einem Gespräch, das er einmal mit dem Angeklagten geführt habe: "Er kam einmal in die Schule und sagte mir, dass er mehr Kontrolle über Morsal haben wolle", da sie nach der Schule oft nicht sofort nach Hause gekommen sei und sich oft geschminkt habe. Der Angeklagte habe von dem Lehrer verlangt, ein "Kontrollbuch" zu führen mit den genauen Zeiten, wann ihr Unterricht jeweils zuende sei. "Ich habe das abgelehnt, ich habe solche Angelegenheiten eher als Aufgabe der Eltern gesehen."
Er beschrieb Morsal als eine sehr selbstbewusste Schülerin mit Durchsetzungsvermögen. "Sie konnte sich ihre eigene Meinung bilden, Morsal war diejenige, die die Interessen ihrer Mitschüler in der Klasse vertrat." Deswegen sei sie beliebt und geachtet gewesen. Sie habe Wert auf ein angenehmes Äußeres gelegt, "sie schminkte sich genauso wie alle anderen Mädchen, aber nicht gerade dezent."
Eine 17 Jahre alte frühere Mitschülerin von Morsal berichtete vor Gericht, dass Morsal ihr erzählt habe, dass Morsal in ihrer Familie oft Streit gehabt habe, von ihrem Vater und dem Angeklagten dabei auch geschlagen und getreten worden sei. Die Zeugin unter Tränen: "Sie musste nach der Schule sofort nach Hause" und habe erzählt, dass sie sich beispielsweise nicht schminken durfte, nicht anziehen durfte, was sie wollte und nicht mit Jungs befreundet sein durfte.
Einmal rief Morsal die Zeugin an, weil sich die 16-Jährige nach einem Streit mit ihrer Familie aus Angst in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte. Die Mutter der Zeugin rief damals die Polizei, die Morsal befreite. Die Zeugin: "Der Angeklagte drohte mir nach dem Vorfall sinngemäß, mich abzustechen." Einmal habe die Zeugin beim Sportunterricht Narben auf Morsals Haut gesehen. Die Zeugin aufgelöst: "Morsal hat mir erzählt, dass sie mit kochendem Wasser übergossen wurde." Der Prozess wird am kommenden Freitag mit weiteren Zeugen fortgesetzt.