Interview mit Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

ABENDBLATT: Können Hamburgs Mathelehrer nicht rechnen?

JOSEF KRAUS: Es ist natürlich immer leicht, den Lehrern die Schuld zu geben. Faktisch liegen die Versäumnisse aber in der hamburgischen Schulpolitik - von den 1970er-Jahren bis weit in die 90er-Jahre hinein.

ABENDBLATT: Was ist in Hamburg schiefgelaufen?

KRAUS: Ich erinnere mich noch gut, wie die einstige Hamburger Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD) auf den Kultusministerkonferenzen immer wieder für Hamburger Sonderwege stritt. Das Ergebnis waren Rahmenpläne für die Schulen, die sich vor allem durch Beliebigkeit auszeichneten. Ein anderer Hamburger Sonderweg war es, dass in der Gymnasialen Oberstufe Kernfächer durch irgendwelche weichen Fächer ersetzt werden konnten. Das Ergebnis sehen wir ja jetzt.

ABENDBLATT: Wie würden Sie diese Schulpolitik bezeichnen ?

KRAUS: Liberal, großzügig, beliebig.

ABENDBLATT: Und was lief in Baden-Württemberg besser?

KRAUS: Faktisch haben Kinder in Baden-Württemberg schon am Ende der Grundschulzeit 400 Unterrichtsstunden mehr gehabt als Kinder in Hamburg. Am Ende des Gymnasiums sind es rund 1000 Stunden mehr, das entspricht ungefähr einem Schuljahr. Auch Mathematik ist dort schon seit Jahren Pflichtfach. Außerdem werden die Schüler in Baden-Württemberg schon viel länger auf ein Zentralabitur vorbereitet, und dadurch haben sie ein viel breiter gefächertes Wissen. Länder mit Zentralabitur schneiden bei Vergleichsstudien immer wesentlich besser ab als Länder ohne.

ABENDBLATT: Trifft Hamburgs Schulen also keine Schuld?

KRAUS: Für die Lehrer gilt natürlich, dass sie über Jahrzehnte "von oben" Großzügigkeit und Beliebigkeit gewohnt waren. Da stellt man sich nicht so schnell auf neue Herausforderungen ein. Mein Eindruck ist aber auch, dass viele Hamburger Schulen über Jahre faktisch mehr geleistet haben, als unter der SPD-Schulpolitik eigentlich möglich war.

ABENDBLATT: Was ist denn überhaupt so alarmierend, wenn Schüler nicht gut in Mathe sind?

KRAUS: Mathematik fördert das logische Denken, und es gibt immer mehr Berufe, bei denen gute Mathematikkenntnisse wichtig sind. Vielen Abiturienten ist gar nicht klar, dass sie in einem Fach wie zum Beispiel Psychologie Mathematik beherrschen müssen. Ich sehe aber auch noch einen staatsbürgerlichen Grund: Uns werden täglich von Politikern Zahlen um die Ohren gehauen. Eine Nation, die da nichts nachprüfen kann, macht sich unmündig.