Serie: 33 Tage wurde der Millionenerbe angekettet in einem Keller gefangengehalten

Jan Philipp Fürchtegott Reemtsma hatte - gemeinsam mit seiner Frau Ann Kathrin - die "Tagesschau" angesehen, an jenem Abend des 25. März 1996. Um 20.15 Uhr verließ er das Wohnhaus seines Anwesens am Elbhang in Blankenese, um zum Arbeitshaus zu gehen. Dort ist die Bibliothek des Mäzens, Multimillionärs, Philologen und Sozialforschers. 100 Meter Weg. Er wollte sich ein Buch holen. Er war unbewacht, in dem Moment, der sein Leben verändern sollte. Reemtsma wurde niedergeschlagen und entführt. 33 Tage und Nächte verbrachte er angekettet in einem dunklen Keller. Eine Handgranate und ein Brief im Garten Reemtsmas waren die ersten Spuren zu den Tätern. Am Ende wurden sie gefaßt und verurteilt. Doch noch immer ist die spektakuläre Entführung nicht vollständig aufgeklärt. Was auch zehn Jahre später noch fehlt, sind große Teile des Rekordlösegeldes, umgerechnet 15 Millionen Euro.

Der Fall ist reich an Superlativen: das höchste je in Deutschland gezahlte Lösegeld, die größte Fahndung der letzten Jahrzehnte, die längste, konspirative Kooperation zwischen Polizei und Presse. Denn schon kurz nach Beginn der Entführung waren Medienvertreter eingeweiht. In der "Hamburger Morgenpost" ließen die Entführer Anzeigen schalten. Nachrichten, die meist mit den Worten "Alles Gute, Ann Kathrin" begannen. Der damalige Polizeisprecher und heutige -präsident, Werner Jantosch, informierte die Redaktionen und bat darum, nicht zu berichten - um das Leben des Entführungsopfers nicht zu gefährden.

Zunächst war wenig bekannt über die Männer, die Reemtsma versteckt hielten. Zwei Tage nach der Tat hatten Thomas Drach, der Kopf der Bande, seine Helfer Peter R. und Wolfgang K. sowie der Pole Piotr L. einen Brief geschickt. Darin ein Foto des verletzten Opfers. Weitere sechs Tage darauf scheitert eine erste Geldübergabe in Hamburg. Die Entführer hatten sich per Telefon gemeldet. Zu hören war die Stimme R.s, verzerrt durch einen Modulator. Am 13. April der zweite Übergabeversuch. Der bekannte Rechtsanwalt Johann Schwenn soll das Geld zu einem Parkplatz in Luxemburg bringen. Es wird nicht abgeholt. Die Familie des Opfers verbringt Tage der Angst. Reemtsma kauert im Keller: ein Tisch, ein Stuhl, eine Matratze, ein Campingklo. Ab und zu kommt Thomas Drach zu ihm. Er spricht englisch mit seinem Opfer. Wenn jemand den Raum betritt, muß Reemtsma sich auf die Matratze legen, den Kopf in sein Kissen drücken. Erst am 25. April klappt die Geldübergabe. Aus dem gemieteten Ferienhaus in Garlstedt bei Bremen fahren die Täter den Entführten in den Kreis Harburg, setzen ihn in einem Waldstück aus. Reemtsma sieht das Licht eines entfernten Hauses. Er klingelt.

Die folgenden Monate fahnden LKA und die Privatfirma Espo mit aller Macht nach den Tätern. Die unbedarften, in der Presse später "Dick und Doof" genannten Gehilfen K. und R. werden nach einem Monat in Spanien gefaßt. Erst zwei Jahre nach der Tat geht auch Thomas Drach den Fahndern ins Netz. Das "Superhirn" hatte sich in Argentinien niedergelassen, ein Leben in Luxus geführt. Im Sommer 2000 wird Drach ausgeliefert, später zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Drach wird im Knast zum Querulanten. Reemtsma schrieb die unauslöschlichen Erinnerungen an die 33 Tage in seinem Buch "Im Keller" nieder, auch, wie er sagt, um die Kontrolle über die Geschehnisse wiederzuerlangen. Voraussichtlich 2011 wird Drach aus der Haft entlassen. Aber die Jagd nach den Millionen ist noch nicht beendet.


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Die Serie wird am Donnerstag fortgesetzt - im Abendblatt und auf NDR 90,3: Dort wird der Schauspieler Wolfgang Völz um 8.20 Uhr sowie um 17.40 Uhr den Skandal um die Hitler-Tagebücher schildern.