Die Straße, der Deich, die Elbe, und dann ist Schluß. Am südlichsten Zipfel der Stadt wohnt Lisa Schwarz. Hier wurde sie geboren. Am 6. Januar 1924. Ein Backsteinhaus, 121 Jahre alt, direkt auf dem Kraueler Hauptdeich, ist noch heute ihr Zuhause.

Vieles hat sich in den vergangenen 83 Jahren verändert. Die Wasserqualität zum Beispiel. "Als Kind bin ich darin noch geschwommen", sagt Lisa Schwarz. "Später war das Baden in der Elbe verboten, weil das Wasser zu schmutzig war." Heute ist es wieder erlaubt. Im Sommer, am südlichsten Strand der Stadt. "Dort, wo die Sonne zwar höher steht als im Norden, der Wind aber nicht wärmer ist", wie die alte Dame zu berichten weiß. Es sei denn, er kommt direkt aus Süden, vom Nachbarland über die Elbe. An solchen Tagen trägt er die Geräusche aus Niedersachsen herüber. Das Rauschen der Autos auf der Elbuferstraße.

Früher, da war es das Klappern der Pferdehufe, der Geruch von Ofenfeuer, der wie ein unsichtbares Band zwischen Hamburg und Niedersachsen lag. Früher, als Westkrauel noch zu Preußen gehörte, Ostkrauel, wo Lisa Schwarz' Großvater Bürgermeister war, zu Hamburg. Damals war das Wohnzimmer des alten Backsteinhauses noch Lebensmittelgeschäft. "Gemüse, Obst, Brot, Käse, Wurst haben wir hier verkauft", erzählt Lisa Schwarz. Bis 1989. Dann blieben die Kunden weg. Dort, wo der Kühltresen stand, steht heute die Anrichte.

Es ist still geworden am Elbdeich. Nur an den Wochenenden, da tobt das Leben. Dann ist die Straße voll mit Motorradfahrern. "Dann vibrieren die Fensterscheiben", sagt Schwiegertochter Karin Schwarz (47), die mit Ehemann Rainer (49) und den Kindern Torben (22) und Marianka (19) im ersten Stock der Kate wohnt. Sie haben das Dachgeschoß ausgebaut. Vom Wohnzimmer können sie hinunterblicken bis an die Elbe. Lisa Schwarz kann das nicht mehr. Der Deich wurde erhöht. Statt auf den Strom blickt sie auf einen Wall aus Asphalt. "Alles zur Sicherheit", sagt die alte Dame. "Dabei hatte ich nie Angst vor dem Fluß." Auch damals nicht, bei der großen Sturmflut im Februar 1962, als der Strom zwei Drittel des Deichs hinaufstieg. "Wir haben nie geglaubt, daß der Deich brechen könnte."

Im Gegenteil. Für Lisa Schwarz hat die Elbe etwas beruhigendes. "Ich brauche das", sagt sie. Zweimal im Jahr aber macht sie sich dennoch auf den Weg. Steigt in die Linie 120, die gleich vor der Haustür hält, und fährt gen Norden. "Nach Hamburg."