Erschütternde Aussage im Prozess um den gewaltsamen Tod der 16 Jahre alten Morsal. Der Angeklagte Ahmad-Sobair O. äußerte gegenüber einem Zeugen, dass er seine Schwester gefragt habe, ob sie anschaffen gehe. “Das geht dich gar nichts an“, soll sie darauf geantwortet haben. Danach könnte Morsal noch leben, wenn seine schwangere Frau aus Afghanistan am Tattag schon in Hamburg gewesen wäre. “Dann wäre das mit Morsal nicht passiert. Das hätte ich vor meinem Sohn nicht verantworten können.“

Sie schluchzt, sie weint, sie klagt. So sehr überlagert die Verzweiflung die Stimme von Morsals Mutter, dass einige ihrer Worte nicht mehr zu verstehen sind. Aber so viel ist klar: "Du hast mich vernichtet", wirft die Mutter ihrem Sohn Ahmad-Sobair O. vor, als er sie nach dem gewaltsamen Tod der 16-Jährigen anruft. "Allen geht es schlecht. Du hast alle getötet." "Besser als Ehrenlosigkeit", entgegnet der gefasst wirkende 24-Jährige in einem der drei Telefonate, die er nach Morsals Tod mit seiner Familie führte rund zwölf Stunden, nachdem er 23-mal auf seine Schwester eingestochen hatte.

Im Prozess gegen Ahmad-Sobair O. vor dem Schwurgericht, wo der 24-Jährige wegen Mordes angeklagt ist, wurden die Telefonate, die während der Fahndung nach dem Bruder abgehört worden waren, abgespielt. Ein Dolmetscher übersetzte die auf Afghanisch geführten Gespräche, die erstmals Einblicke in das Seelenleben des Bruders nach der Tat geben. Mehrfach tupft sich der schmal gebaute Angeklagte mit einem Tuch die Augen, während er den Telefonaten lauscht. In den Gesprächen macht er indirekt seinen Vater für Morsals angeblich unehrenhaftes Verhalten verantwortlich: "Wenn er aufgepasst hätte, hätte so etwas nicht passieren können", sagte Ahmad-Sobair O., der laut Staatsanwaltschaft den Mord begangen hat, weil er ihren Lebensstil ablehnte.

"Mein Herz platzt, wenn ich nicht weine", klagt seine Mutter weiter. Er dagegen betont, er gehe aufrecht, "nicht mit gesenktem Kopf". Einem Gutachter erzählte er einige Wochen später während der Untersuchungshaft indes, er hätte die Tat "am liebsten ungeschehen gemacht. Er war verzweifelt. Er sagte, er habe niemals vorgehabt, seine Schwester zu töten", erinnert sich der Psychiater, der sich rund drei Wochen nach der Bluttat vom 15. Mai vergangenen Jahres an drei Tagen mit dem Angeklagten unterhalten hatte. Der 24-Jährige habe ihm unter anderem von seiner Kindheit und von seiner Ehefrau in Afganistan erzählt, so der Experte. Seine Frau sei schwanger, habe er berichtet. "Er sagte, wenn sie damals schon in Deutschland gewesen wäre, wäre das mit Morsal nicht passiert. Er hätte das vor seinem Sohn nicht verantworten können."

Über sein Verhältnis zu Morsal berichtete der Angeklagte nach Aussage des Experten, dass sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr "ein nettes sauberes Mädchen", gewesen sei. Dann habe sie angefangen zu rauchen und sich zu schminken, Ahmad-Sobair O. befürchtete demnach, dass sie auch der Prostitution nachgeht. Er habe sich mit ihr zu einer Aussprache treffen wollen und sie dann gefragt, ob sie anschaffen gehe. "Das geht dich gar nichts an", soll sie gesagt haben. "Ich sah schwarz und rot", sagte der Angeklagte demnach. "Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich habe immer wieder auf sie eingestochen", zitiert der Experte, der ursprünglich als Gutachter auftreten sollte, dann wegen Befangenheit abgelehnt wurde und jetzt als Zeuge aussagt.

Über sein eigenes Leben erzählte der 24-jährige Angeklagte nach den Worten des Psychiaters, dass er im Alter von 18 Jahren Freiheiten genießen wollte. Wörtlich sagte er: "Spaß haben, kiffen, Koks ziehen, mit Mädchen ficken und Bordelle besuchen", so der Experte. Auch vor der Tötung Morsals habe er Kokain konsumiert und Wodka getrunken, sagte der Angeklagte demnach. Doch zumindest den Kokainkonsum schließt eine Sachverständige, die gestern ebenfalls gehört wurde, aus. Eine Blutprobe, die Ahmad-Sobair O. entnommen wurde, "ergab keinen Hinweis auf eine Drogeneinnahme". Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.