Venice in Louisiana ist ein Zentrum des US-Fischfangs. Die Ölkatastrophe ist für die Fischer zur existenziellen Bedrohung geworden.
Hamburg. Matt O'Brien hat den Hubschrauber des Präsidenten gegen den regenverhangenen Himmel aufsteigen und im Formationsflug mit der Begleitmaschine über den Mississippi nach Norden in Richtung New Orleans schwenken sehen. Es war Sonntagnachmittag gegen 16.15 Uhr, und es war ihm gleichgültig. O'Brien mag keine Politiker. Hurrikan "Katrina" hat seinen Großhandel für Fisch und Krabben in Venice ruiniert und die Entschädigungsversprechen Washingtons haben ihn angeödet. Deshalb haben sie ihn nicht zu dem Treffen der Fischer mit Barack Obama gebeten. Matt O'Brien hätte sich den Mund verbrannt. Er werde alles für die Fischer tun, was nötig sei und solange es nötig sei, hatte der Präsident gelobt. Red du nur, dachte O'Brien. Er glaubt an BPs Geld und Know-how: "Die sind groß genug, um das zu stemmen. Vielleicht."
Die Fischer von Venice, dem letzten mit dem Auto ereichbaren Ort der Mississippi-Mündung an der Südspitze der Plaquemines-Halbinsel, 120 Kilometer südlich von New Orleans, sind keine Männer, die Angst zeigen. Oder die offen beten. Doch hilft seit dem 22. April nichts anderes mehr. Sie beten, dass der für die Jahreszeit ungewöhnlich stürmische Südwind, der den Golf aufwühlt und den Ölteppich nach Osten treibt, auf die Strände von Mississippi, Alabama, Florida zu, nicht dreht. Dass die Pest sie verschont, wenn BP die Lecks bald verpfropft. Man spürt wenig Zorn auf den Ölriesen; fast alle haben, als die Zeiten für den Fischfang schlecht waren, einmal auf Offshore-Bohrplattformen gearbeitet.
Es gibt hier mehr Verständnis für BP und seine Nöte als in New Orleans. Und wenig Gefühlsduseligkeit in Bezug auf die Umwelt: "Die haben hier 100 Leute in Bereitschaft, um einer Ente den öligen Arsch zu wischen", sagt O'Brien. Und schüttelt den Kopf.
In Venice kommt eine Frau auf 20 Männer
Ölarbeiter und Fischer bildeten eine Bruderschaft, die das Meer liebt, Einsamkeit, die Männerfreiheit eines "wilden Wilden Westens", wie die Leute hier nicht ohne Stolz sagen. Eine Frau kommt in Venice auf 20 Männer. Prügeleien um die Gunst von Frauen sind Routine. "Die Fischer brauchen billigen Sprit nötiger als alle anderen, wir brauchen BP." Matt O'Brien verfügt über zwei Schlepper, zehn Kühlcontainer und zwei Großlaster. Er zeigt auf das Stahlgerüst für die neue Lagerhalle, die in diesen Tagen fertig wird. Sein ganzes Geld steckt in dem Großhandelsbusiness. Er wollte im großen Stil ins Garnelengeschäft einsteigen. Ladungen von zehntausend Pfund, die "Shrimper" bestehen auf Barzahlung.
Ihre Saison ist kurz, von Mai bis August müssen sie das Geld für Herbst und Winter mitverdienen. Oder einen Job in den Ölfeldern annehmen. Es ist ein Leben, das zwischen Hochgefühl und Depression und Reichtum schwankt. So sitzen sie nun tatenlos auf der Veranda der Kneipe in der Marina von Venice. Und warten. Auf die Katastrophe, drehende Winde, besseres Wetter. Ihre Gesichter sind verbrannt, um die Augen liegen weiße Flecken von den Sonnenbrillen. Solange sie wegen des schlechten Wetters nicht hinausfahren können, gibt es keine Panik. Das sagen sie alle. Erst wenn die Sonne wiederkommt, wenn sie arbeiten wollen und nicht dürfen, wird ihre Geduld enden. Dann wird hier bald der Teufel los sein. Die Regierung hat ein zehntägiges Fangverbot verhängt. Es gilt westlich der Mississippi-Mündung bis vor Pensacola in Florida. Venice ist von so vielen Hurrikanen knapp verschont worden. Warum nicht auch von der Ölpest? So sitzen sie beim Bier, fluchen und lachen, und vielleicht beten sie still für sich.
Das Mississippi-Delta ist in seiner Artenvielfalt unübertroffen
"Venice, Louisiana - Fischfang-Hauptstadt der Welt" prangt ein Schild in typischer Bescheidenheit an der Marina. Ein Viertel der von den Amerikanern verzehrten Meerestiere kommt von hier, 60 Prozent der Austern. Die Marschen und Feuchtgebiete des Flussdeltas sind in ihrer Vielfalt unübertroffen. Mahi-Mahi, Thunfisch, Rotbarsch (in einer kurzen Saison vom 1. Juni bis 24.Juli), Krabben und Shrimps natürlich. Die Arbeit ist hart, jeder weiß das. Niemand kennt die Fanggründe der Region wie die Leute aus Venice. BP will viele mit ihren Booten für den Schutz der Küste heuern. Zehn Dollar die Stunde, besser als nichts. Aber BP wollte, das sie eine Erklärung unterschreiben, die den Konzern von jeder Haftung während der Aushilfsjobs freistellt. Es gab Murren, sarkastische Kommentare. Aber die meisten, heißt es, hätten unterschrieben. Lieber helfen sie dem Verursacher der Misere, anstatt herumzuhängen und nicht zu arbeiten. BP muss sie entschädigen, und zwar schnell, das machen alle klar. Wenn nicht bald Geld fließt, werden die Fischer laut und grob werden.
Es sind mindestens vier Welten, die in Venice koexistieren. Die Berufsfischer und die Sportfischer mit ihren Charterbooten, dazu die Fangflotten und Docks der Vietnamesen, die wenig beliebt sind, weil sie die Preise drücken, die Ölindustrie, die von drei Heliports in Venice ihre Arbeiter auf die Bohrinseln fliegt. Die Vietnamesen kamen Ende der 70er-Jahre, nach dem Krieg, das Klima am Golf und die Shrimp-Fischerei erinnerte sie an zu Hause. Selbst Matt O'Brien gibt zu, dass sie extrem hart arbeiten und ihr Geschäft verstehen. Die "weißen" Fischer mögen sie nicht, sie nennen sie, wie indirekt O'Brien, Halsabschneider. Er erzählt von Abnützungskriegen und Streit um Geld und unfairen Gewichten zwischen den Gruppen. "Es sind raue, direkte Kerle", sagt O'Brien. Nichts für Frauen und Kinder. Seine Familie lebt seit der Flucht vor "Katrina" in Mississippi; er besucht sie alle 14 Tage. Sie haben Angst um ihn und das Geschäft. Einige Monate könnte er durchhalten.
Damon McKnight (38) hat drei Charterboote für Sportfischer und sechs Angestellte. Er ist der kultivierte Gegenentwurf zu der Naturgewalt Matt O'Briens. Wohl auch deshalb hat er den Präsidenten getroffen und gesprochen. Durchnässt vom Regen sei Obama in das hastig errichtete Zelt gekommen. Er habe ihnen zugehört und alle nur erdenkliche Hilfe versprochen. Bezahlt von BP, versteht sich.
McKnight weiß den Symbolwert von Obamas Besuch zu schätzen, und er hält etwas von ihm. Auch wenn er nach "Katrina" nur 750 Dollar Entschädigung von der Regierung bekam. McKnight schwärmt von den fettesten Fischgründen am (für Laien) unwahrscheinlichsten Ort: In den Gewässern um Bohrinseln, die Fische anziehen wie Wracks oder Korallenriffs. Zu ihm kommen "Hardcore"-Sportfischer aus dem ganzen Land. Keine Frauen, keine Familien. Es gibt keine Strände und keine Läden in Venice. Nur Öl und Fisch im Golf. Bisher hat Damon McKnight erst eine Absage wegen der Ölpest bekommen. Zwischen 1300 und 1500 Dollar pro Tag kosten seine Dienste. Damon Knight hat im Mai noch Termine frei.