Hamburg. Stadtteil trauert um „Mann von der Straße“. Für seine Beerdigung kam viel Geld zusammen. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
- Am 7. November verstarb Sergey auf der Straße, ganz nahe von seinem Stammplatz am Mercado.
- Viele im Stadtteil Ottensen trauern um den beliebten Mann und spendeten Geld.
- Die Sammlung übernahm Michael K., dem Kritiker Betrug vorwerfen. Er wehrt sich dagegen.
Das Schicksal eines Mannes von der Straße bewegt auch Wochen nach seinem plötzlichen Tod viele Menschen in Hamburg, vor allem im Stadtteil Ottensen. Denn hier vor dem Einkaufszentrum Mercado war der Stammplatz von Sergey. Wo er jahrelang saß, ist ein kleiner Gedenkort entstanden. Immer noch liegen zahlreiche Blumen vor einem Porträt von ihm. Vorbeigehende halten inne und lesen die Zeilen, die dort stehen.
Von einer letzten Bitte für Sergey ist dort die Rede und dem Wunsch, ihm einen Grabstein, eine Umrandung und einen Grabzaun kaufen zu wollen. Weitere 2000 Euro brauche es dafür. Denn mehr als 4600 Euro haben demnach bereits die Überführung und Beerdigung in seinem Heimatland Bulgarien gekostet. Schon dafür wurde um Geld gebeten und fleißig gespendet. Allerdings sammelt nun ein anderer – und das hat seinen Grund.
Hamburg-Ottensen: Nach dem Tod von Sergey war die Spendenbereitschaft groß
Am 7. November saß Sergey, wie er es fast täglich tat, am Laternenpfahl auf der Ottenser Hauptstraße. Am Abend packte er seine Sachen, aber er kam nicht weit. In der Museumstraße brach er zusammen, wie die Polizei bestätigt. Laut Angaben von Angehörigen kam er ins Krankenhaus, wo man ihm aber nicht mehr helfen konnte. Der 64-Jährige starb an einem Herzinfarkt, so sein Enkel gegenüber dem Abendblatt. Der plötzliche Tod des Bettlers, den viele kannten und offenbar schätzten, berührte und bewegte.
„Ich konnte es gar nicht fassen. Für mich war er ein Freund, der zum Stadtbild einfach dazugehörte. Sein Tod hat mir einen Stich versetzt“, sagt Michael K. Der Ottensener wollte etwas tun, nahm Kontakt zu Familienangehörigen des Bulgaren auf und half ihnen dabei, Geld für die Beerdigung zu sammeln. Er gab seine Kontodaten an, schrieb einen Brief mit ihnen zusammen, der an dem Gedenkort aufgehängt wurde, teilte über Facebook einen Aufruf. Da Sergey in den vergangenen Jahrzehnten für sehr viele Menschen im Stadtteil einfach dazugehörte, war die Anteilnahme groß – und auch die Spendenbereitschaft.
Ottensen: Spendensammler wird Betrug vorgeworfen – „regelrechter Shitstorm“
„Es kamen 2960 Euro innerhalb von zwei Wochen zusammen“, berichtet Michael K. Seinen vollen Namen möchte er nicht mehr nennen. Denn in den vergangenen Wochen hat er Zuspruch, aber auch sehr viel Hass erlebt. In sozialen Medien war von Betrug die Rede. Das Geld käme nicht der Familie zugute, hieß es. Oder es werde gar nicht für die Beerdigung genutzt. Andere hinterfragten, warum die Angehörigen nicht zahlen und warum er überhaupt nach Bulgarien müsse.
„Die haben sich gegenseitig hochgeschaukelt. Es war ein regelrechter Shitstorm. So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt. Es war furchtbar“, sagt der 59-Jährige, der betont, dass er sein Geld als Krankenpfleger verdient. „Warum sollte ich einen Freund betrügen? Ich bin kein Lügner und Betrüger. Ich lebe hier in Ottensen und laufe hier jeden Tag die Straße entlang.“ Umso bedrohlicher hätten sich die Anfeindungen angefühlt. Jeder Cent sei bei der Familie angekommen, das könne er nachweisen. Die Überführung und Beerdigung sei am 26. November in Ichtiman, einem kleinen Ort bei Sofia, gewesen, wo ein Teil von Sergeys Familie lebe.
Betrug? Der Polizei Hamburg sind bislang keine Anzeigen dazu bekannt
Das deckt sich mit den Angaben, die sein Enkel im Gespräch mit dem Abendblatt macht. 3000 Euro seien gespendet worden, den Rest habe die Familie dazugetan. „Ich habe nicht so viel Geld, und mein Opa war sehr stolz. Er wollte nicht, dass wir ihm helfen“, erklärt er auf die Frage, warum es Angehörige gab und Sergey dennoch auf der Straße bettelte und man finanzielle Hilfe für die Beerdigung brauchte. „Es gab sehr viele negative Kommentare, aber auch viel Positives“, sagt der Enkel zur öffentlichen Diskussion über das Leben eines Mannes, den viele vom Sehen kannten, aber über den viele doch fast nichts wussten. Er könne die Leute sogar ein wenig verstehen, dass sie sich Gedanken machten. Doch es würden auch viele Lügen erzählt.
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Unter anderem kündigten Kritiker an, dass sie Anzeige erstatten wollten wegen Betrugs. Laut Abendblatt-Information sind der Polizei Hamburg bislang keine Anzeigen in Zusammenhang mit dem Fall bekannt. Auch bei der Sozialbehörde gibt es keine Ermittlungen oder Prüfungen, da Sergey keine Sozialhilfe erhielt.
Auf der anderen Seite hatte aber auch Michael K. angekündigt, sich gegen die Anfeindungen mit einer Anzeige wegen Verleumdung zu wehren. „Ich habe mich bei der Polizei erkundigt, es aber nicht gemacht“, sagt er. Gleichzeitig hat er sich aus dem sozialen Netzwerk zurückgezogen, und er steht auch nicht weiter als Kontakt für die weitere Sammlung zur Verfügung. Laut dem Enkel ist es der Sohn von Sergey, der nun im Namen der Familie Spenden für den Grabstein sammelt. Er sitze auch am Gedenkort mit einer Sammelbox und pflege den Ort, wo Menschen sich an einen Mann erinnern möchten, der ihnen einst ein Lächeln schenkte.