Hamburg. Sperrungen an Spieltagen in Hamburg treffen Händler der Einkaufsmeile besonders hart. Warum die Polizei zudem Fans von Läden abschirmt.
Mittwoch, 9 Uhr: Die ersten Fans machen sich bereits auf den Weg zum Volksparkstadion. Dabei beginnt das Spiel Kroatien gegen Albanien erst in sechs Stunden. Es ist die zweite Partie der Fußball-EM, die in Hamburg angepfiffen wird. Gleichzeitig ist es der erste richtige Alltagsstresstest für das etwas ungewöhnliche Verkehrskonzept.
Erstmals werden bei einer solch großen Veranstaltung im Stadion die dazugehörigen Parkplatzflächen alle gesperrt, die Fans sollen mit dem ÖPNV anreisen – oder mit dem Rad, dem Roller oder zu Fuß die letzten Meter zurücklegen. Nach dem Auftakt am Sonntag treffen Fans und Berufsverkehr am Mittwoch nun erstmals aufeinander. Geht das gut? Jein.
EM 2024 in Hamburg: Shuttle ab Othmarschen funktioniert reibungslos
Der eingerichtete Shuttle ab dem S-Bahnhof Othmarschen, über den an diesem Tag die albanischen Fans geleitetet werden, funktioniert wie am Schnürchen. Alle paar Minuten rauscht ein Bus die Ebertallee entlang, bringt singende, fröhliche Fans ganz ungestört zum Volksparkstadion. Das klappt so hervorragend, weil die Polizei den kompletten Weg, den der Shuttle vom Stadion im Volkspark bis zum Bahnhof Othmarschen zurücklegt, komplett freigeräumt hat. Und weil eine Vielzahl an Bussen eingesetzt wird.
Hier beginnt aber das, was dann für die anderen Verkehrsteilnehmer weniger gut funktioniert. Auf der Luruper Chaussee ist jeweils eine komplette Fahrspur für den Shuttlebus gesperrt, auf der anderen Fahrspur staut sich der restliche Verkehr dementsprechend. Auch an den Kreuzungen – zum Beispiel am Osdorfer Weg – stockt es. Denn auch hier sperrt die Polizei Stunden vor dem Spiel, die jeweiligen Abbiegemöglichkeiten. In die Ebertallee ist fast kein Hineinkommen.
EM 2024 in Hamburg: Verlierer sind Händler der Waitzstraße
Auch die üblichen Buslinien werden umgeleitet. An den betroffenen Haltestellen stehen viele etwas erstaunt und ratlos. Ein Polizist rät zwei Jugendlichen, zu Fuß vom Osdorfer Weg bis zum Bahnhof zu laufen, das sei auch viel gesünder. Der Vorteil: Man kann die Shuttlebusse in Ruhe beobachten und sehen, wie viel Spaß Fans und Busfahrer haben – fast alle tragen Trikots oder Fankluft der deutschen Mannschaft, aber auch von Albanien und Kroatien.
Zu den Verlierern bei diesem Verkehrskonzept gehören einmal mehr die Händler der Waitzstraße. Denn wer sich bis hierher durchschlägt, dem bietet sich ein ungewohnter Anblick. An diesem EM-Spieltag herrscht hier Ausnahmezustand. Die sonst so gut frequentierte Einkaufsmeile ist gähnend leer. Das hat zum einen damit zu tun, dass alle Zufahrtsstraßen gesperrt sind, aber auch damit, dass die Polizei die Fans vom Bahnhof direkt zum Shuttle leitet, sie regelrecht abschirmt von den hiesigen Geschäften, damit die Masse an Menschen auch rechtzeitig zum Volksparkstadion kommt.
Der Kontrast könnte nicht größer sein: Zigtausende sehr gutgelaunte, nette Fans in Rot, die an Hundertschaften der Polizei vorbeiströmen – und auf der anderen (Straßen-)Seite leere Kneipen und viele leere Läden mit enorm frustrierten Betreibern.
Waitzstraße am Bahnhof Othmarschen: Wirt bleibt auf seinem Bier sitzen
Gedrückte Stimmung herrscht zum Beispiel im Lütt Döns. Nur zwei versprengte Kunden sitzen hier, obwohl die Bar direkt gegenüber vom Eingang des S-Bahnhofs liegt, aus dem die Fans strömen. Wirt Charlie hat extra eine große Zapfanlage draußen aufgestellt, mehrere Fässer Bier bestellt.
„Neun Gläser habe ich heute verkauft, Sonntag beim Spiel waren es sechs“, sagt er frustriert. „Damals bei der WM stand die Polizei viel weiter weg, alles war offen und die Stimmung war so toll.“ Das sei doch die Idee, dass man auch ein bisschen was davon habe. Das hier sei einfach nur traurig.
Allein im Block House brummt das Geschäft, hier dürfen Fans offensichtlich Pause machen. Sonst bietet sich überall das gleiche Bild: Beim beliebten Libanesen Hala sitzt an diesem Mittwoch um die Mittagszeit kein Kunde. „Für heute Abend wurden auch Reservierungen storniert“, berichtet die Bedienung. In der gegenüberliegenden Kneipe Köpi ist niemand. Hier setzt man nun alle Hoffnungen auf das Deutschlandspiel am Abend – dass zumindest dann Kunden aus der Nachbarschaft zu Fuß herkommen.
Waitzstraßen-Händlerin den Tränen nahe: „Wir überleben das so nicht“
„Erst die Baustellen, die uns schon so wehgetan haben, und jetzt das. Wir sind verzweifelt“, sagt Ilse Engel, Chefin des Modeladens Die Engelei. Einen Kunden hatte sie an diesem Mittwoch bislang. Es könne ja auch keiner in die Straße fahren. „Dass wir hier Leerstand haben, ist doch kein Wunder. Wer soll das überleben?“, fragt sie.
Am Ende der Straße liegt das Kindergeschäft „Miss Sophie‘s“. Susanne Möller Rhalmi betreibt den Laden seit zehn Jahren. Ihr stehen die Tränen in den Augen, als sie sagt: „Wir können nicht mehr. Wir überleben das so nicht. Wie sollen wir unsere Rechnungen bezahlen und unsere Angestellten?“
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Seit die Baustelle in der Reventlowstraße eingerichtet worden sei, kämen ab 13 Uhr keine Kunden mehr. „Sie wollen sich nicht in die Schlange und den stockenden Verkehr einreihen“, sagt Rhalmi. Und nun auch noch die EM. Die Waitzstraße sei komplett abgehängt durch die Sperrungen. „Wir haben davon nichts gewusst“, sagt die Händlerin. Am Sonnabend sei schon das nächste Spiel – und die nächsten Sperrungen.