Hamburg. Altonaer Bau- und Sparverein will Wohnanlage am Luthergrund abreißen und neu bauen. Besonders die Älteren leiden unter den Plänen.

Rote Backsteinhäuser, überwiegend dreistöckig, jedes mit mehreren Hauseingängen und Balkonen, insgesamt 162 Wohnungen, viel Grün drum herum und ein zentrales Waschhaus, in dem noch heute gewaschen und gemangelt wird. Die Siedlung des Altonaer Bau- und Sparvereins am Luthergrund in Bahrenfeld ist eine Idylle – wenn auch in die Jahre gekommen.

Viele der heutigen Bewohner gehören noch zu denen, die dort nach der Fertigstellung 1965 eingezogen sind. Und obwohl die meisten mittlerweile eine Waschmaschine in den eigenen vier Wänden haben, ist das Waschhaus noch immer ein Treffpunkt.

Neben der Wäsche geht es hier in der letzten Zeit immer öfter um ein Thema, dass insbesondere die Alteingesessenen umtreibt: Die zehn Wohnblöcke der Anlage sollen abgerissen, das Areal neu bebaut werden. Seine Pläne hatte der Verein, der sich selber „die altoba“ nennt, auf einer Informationsveranstaltung im September 2021 das erste Mal vorgestellt, und in den vergangenen Monaten mehrfach gegenüber den Bewohnern schriftlich bestätigt.

Wohnen Hamburg: Bewohner wehren sich gegen Abrisspläne

„Die altoba plant hier neue Gebäude, die das Potenzial für 50 zusätzliche Wohnungen bieten“, sagt Ernst Müller und ergänzt: „Durch den Autobahndeckel und die geplante Bebauung der Trabrennbahn wird das hier sicher ein teures Viertel.“

Seit nunmehr 57 Jahren wohnt er mit seiner Frau Erika in der Anlage der altoba, zu deren Gründungsmitgliedern auch sein Großvater zählte. 80 Quadratmeter im ersten Stock, drei Zimmer (das größte haben sich früher die drei Kinder geteilt), einen neuen Fußboden verlegt, Küche und Bad selbst renoviert, eine seit Jahrzehnten bestehende Nachbarschaft – „das hier ist unsere Heimat, und wir haben Angst, sie zu verlieren“, sagt der 86-Jährige.

Bezirksamt setzt sich für Verbleib der Bewohnerschaft ein

Daher wehrt sich der pensionierte Vermessungsingenieur mit etlichen Nachbarn und Nachbarinnen gegen die Pläne der Genossenschaft. Sie haben schon zahlreiche Briefe geschrieben: an die altoba-Vorstände, aber auch an Bürgermeister Peter Tschentscher und an die Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg.

Diese ließ Ernst Müller für seine Verbundenheit zu der Wohnanlage danken und ihm mitteilen: „Wir wissen, dass viele weitere Menschen im Luthergrund ein Zuhause gefunden haben, weshalb wir uns für den Verbleib der Mieter:innen im Luthergrund einsetzen.“ Der Altonaer Bau- und Sparverein dagegen informierte ihn darüber, dass er mit der Stadtentwicklungsbehörde und dem Bezirksamt Altona in Kontakt stehe, um ein Konzept für die Wohnanlage auszuarbeiten – und nach wie vor „die Umsetzung der Neubaupläne präferiere“. Über Ergebnisse werde man ihn dann informieren, hieß es in dem Schreiben aus dem Juli weiter, in dem man ihm, etwas süffisant, „einen schönen und erholsamen Sommer“ wünschte.

„Hier soll günstiger Wohnraum vernichtet werden“

Aber davon konnte nicht nur bei den Müllers keine Rede sein. Auch Peter und Marlies Rachow, die hier seit 1884 leben, machen sich große Sorgen. „Hier soll günstiger Wohnraum vernichtet werden“, so der 76-jährige Rachow, der früher Versicherungsangestellter war.

„Und die teuren Neubaumieten würden insbesondere viele der älteren Menschen, die hier leben, belasten.“ Etwa die 84-jährige Gisela Bockelmann, eine ehemalige Fotolaborantin, die ebenfalls zu den Erstbewohnern der Anlage zählt. Darüber hinaus fürchte sie den Verlust der seit Jahrzehnten gewachsenen Nachbarschaft, sagt sie.

Mietvertrag: Kündigung nur auf Wunsch der Mieter möglich

Auch Inge Hackelberg wohnt seit 1965 in der Wohnanlage – mit einer mehrjährigen Pause. „Seit 24 Jahren bin ich wieder hier, denn das ist meine Heimat“, sagt sie. Selbst in ihrem „neueren“ Mietvertrag stehe noch, dass das Mietverhältnis nur auf Wunsch der Mieter gekündigt werden dürfe, betont die 83-Jährige.

„Und dann kriegen wir über den Kopf gestülpt, dass de altoba hier nicht sanieren, sondern neu bauen will – das bedeutet eine großangelegte, mutwillige Vertreibung der bisher ansässigen Mieter und somit Mitglieder des altoba.“ Selbst wenn die Bewohner während der Bauphase im Luthergrund ausharrten, würde der überwiegende Teil die Vorteile, die die Neubauten böten, aus Altersgründen wohl nicht mehr erleben.

Luthergrund liegt in Gebiet der Sozialen Erhaltungsverordnung

Aber so einfach, wie er es sich offenbar vorgestellt hat, ist das Vorhaben für den altoba auch gar nicht. Das Bezirksamt Altona verwies auf Abendblatt-Anfrage darauf, dass sich die Wohnanlage Luthergrund in einem Gebiet der Sozialen Erhaltungsverordnung befinde. In einem solchen Gebiet müssten Genossenschaft oder Investor üblicherweise ein Umzugskonzept vorgelegen, dessen Ziel ein Verbleib der Bewohner in der Wohnanlage sei.

Das sei bislang nicht geschehen, ebenso wenig seien Abriss- beziehungsweise Neubauanträge gestellt oder entsprechende Genehmigungen erteilt worden. Auch die Untersuchungen und Gutachten, die die altoba bezüglich der Bestandsgebäude angestellt hat, und die das Bezirksamt Altona für eine interne Bewertung bei der Freien und Hansestadt angefordert hat, seien bislang nicht eingegangen.

Bauverein wartet auf positives Signal von der Stadt

Die altoba selber befindet sich ebenfalls in der Warteposition. Der Vorschlag, die bestehenden Gebäude sukzessive zurückzubauen und durch Neubauten zu ersetzen, müsse noch mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen abgestimmt werden, sagt Unternehmenssprecherin Silke Kok.

„Ob wir tatsächlich in die Planung für ein Neubauprojekt einsteigen dürfen, ist abhängig von einem positiven Signal durch die Behörde, das weiterhin noch nicht vorliegt.“ „Wohnwünsche der Mitglieder aus dem Luthergrund“ würden bei den Planungen berücksichtigt werden.

Abriss und Neubau hat laut altoba mehrere Vorteile

Im Vergleich zu anderen Gebäuden, die die altoba bereits saniert habe, sei die Bausubstanz am Luthergrund „vergleichsweise schwach“, betont Silke Kok. Das spreche gegen eine Modernisierung, die zudem so umfangreich wäre, dass die Strapazen für die Bewohner und Bewohnerinnen ebenso groß sein dürften wie bei Rück- und Neubau. Zumal gebe es die Chance, auf dem Parkplatz der Anlage als ersten Schritt einen Neubau mit barrierefreien Wohnungen zu errichten und den Bewohnern anzubieten. „Anders als bei einer Modernisierung – die nur im unbewohnten Zustand möglich ist – müsste niemand zweimal umziehen.“

Ernst Müller, der sich das Geld für sein Studium auf dem Bau verdient hat, zweifelt das von der altoba genannte Argument der Sanierungsbedürftigkeit der Anlage an. „Das Mauerwerk der Gebäude ist in Ordnung. Um daraus Ziegel zu entfernen, mussten die Gutachter mit Hammer und Meißel arbeiten.“ Für ihn und seine Nachbarn steht fest: „Die altoba spekuliert hier auf eine neue Mieter-Klientel.“