Hamburg. Das Häuschen an der Großen Rainstraße soll noch im April abgebaut werden. Was Initiatorin Cornelia Lindberg besonders wütend macht.
Es war eine Mischung aus Frust und Erleichterung, die Cornelia Lindberg an Gründonnerstag verspürte, als sie erfuhr, dass die Tauschbox an der Großen Rainstraße in Hamburg-Ottensen am 11. April abgebaut wird.
„Es ist schade, und ich bedauere es sehr. Viele im Stadtteil werden gesellschaftlich abgehängt. Der Bedarf ist definitiv da. Es kamen täglich 60 bis 70 Menschen, um dort Güter zu entnehmen. Aber es war auch kein schönes Gefühl, dass in den vergangenen Wochen und Monaten das Aus wie ein Damoklesschwert über uns hing“, sagt die Initiatorin der sozialen Einrichtung.
Hamburg-Ottensen: Tauschbox-Initiatorin fühlt sich „im Stich gelassen“
Für Lindberg war die Tauschbox in der Großen Rainstraße eine Herzensangelegenheit. In einer Nachbarschaftsaktion des Kunst- und Kulturfestivals Altonale entstand die Idee, einen Platz zu schaffen, an dem Menschen nicht mehr benötigte Güter ablegen können, die für andere noch einen Nutzen haben könnten.
Zunächst stand die Box am Kemal-Altun-Platz. Weil sie dort aber zweimal innerhalb kürzester Zeit abgebrannt ist, folgte vor fünf Jahren der Umzug hinter das Einkaufszentrum Mercado in unmittelbarer Nähe zum Altonaer Bahnhof. Lindberg und vier Kolleginnen und Kollegen sind seit 2019 ehrenamtlich für die Organisation und Instandhaltung der Box zuständig.
Menschen legten bei Tauschbox in Ottensen ihren Sperrmüll ab
Über das Aus der Tauschbox in Ottensen wird schon seit einigen Wochen gemunkelt. Das große Problem war die zunehmende Vermüllung der Fläche. Immer wieder hatten Menschen dort nicht etwa ausgediente Sachen zum Tauschen hingelegt, sondern die Tauschbox mehr als Ablagefläche für Sperrmüll genutzt.
Vor allem eine Anwohnerin habe über Facebook immer wieder Beschwerden in Form von Texten und Sprachnachrichten bei den Initiatoren hinterlegt. „Es ist aber bei Weitem nicht so, dass die gesamte Nachbarschaft gegen die Tauschbox ist. Wir haben unglaublich viel Unterstützung erhalten. Die Menschen haben mit angepackt, das Müllproblem in den Griff zu bekommen“, sagt Lindberg.
So begründet das Bezirksamt das Aus für die Tauschbox in Ottensen
Als die Tauschbox im Februar im Sozialausschuss Thema war, war laut Lindberg nur eben jene Nachbarin vor Ort – um ihren Unmut kundzutun. Einen konstruktiven Dialog – auch mit den Bezirkspolitikern – gab es damals laut der Initiatorin nicht. Der klare Tenor des Austauschs: Die Box muss weg – so schnell wie möglich.
Das Bezirksamt Altona hat das jetzt in Auftrag gegeben. „Der eigentliche Sinn und Zweck der Tauschboxen – das Teilen und Tauschen von nicht mehr benötigten Gegenständen innerhalb der Nachbarschaft – war an diesem Standort kaum noch zu erkennen“, sagt Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne).
Bezirksamtsleiterin: „Das ist kein schöner Anblick für die Nachbarschaft“
Sie ergänzt: „Die Stadtreinigung musste regelmäßig vor Ort Unrat entfernen. Und selbst wenn die Box aus der Nachbarschaft heraus ordentlich hergerichtet wurde, dauerte es meist nicht lang, bis wieder Müll davor abgeladen wurde. Das ist kein schöner Anblick für die Nachbarschaft und noch dazu unhygienisch – deswegen lassen wir die Box dort nun entfernen. Das ist schade, denn an anderen Stellen in unserem Bezirk funktionieren solche Tauschboxen durchaus.“
Das Bezirksamt erklärte darüber hinaus, dass Tauschbox-Standorte in Hamburg als Sondergenehmigung nach Paragraf 19 des Hamburgischen Wegegesetzes einzelnen Personen oder Organisationen für die Dauer von fünf Jahren erteilt werden. Für den Betrieb der Tauschbox seien die Antragstellenden zuständig. Für die Tauschbox in der Großen Rainstraße – so das Bezirksamt – liege gar keine Sondernutzungserlaubnis vor.
Das Thema Sondernutzungsgenehmigung sei aber „ein Totschlagargument“, findet Lindberg. „Wer haftet denn, wenn jemand an der Box stolpert und sich das Gesicht aufschlägt? Wir machen das alles ehrenamtlich. Wir hätten uns seitens der Politik ein Entgegenkommen gewünscht“, sagt Lindberg.
Tauschbox in Ottensen wird am 11. April abgebaut
Die Tauschbox-Initiatorin kann die Argumentation der Behörde besonders in Bezug auf das Thema Müll nachvollziehen. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern versuchte sie das Problem eigenhändig zu beseitigen – auch um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Via Social Media appellierte sie immer wieder, die Nutzungsregeln zu beachten. „Aber es ist einfach nicht möglich, die Sachen 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche auf Abruf wegzuräumen“, sagt Lindberg.
Dennoch ist sie von der Art und Weise, wie das Aus der Tauschbox nun so Hals über Kopf verkündet wurde, enttäuscht. „Wir fühlen uns von Bezirk und Teilen der Politik im Stich gelassen. Es wäre schön gewesen, wenn es einen Dialog gegeben hätte, um lösungsorientiert nach vorne zu blicken. Auch uns ermüdet das Thema Müll. Ich bin aber sicher, dass man – wenn gewollt – einen Weg gefunden hätte, das Konzept der Tauschbox praktikabel zu machen“, sagt Lindberg.
Nachhaltiger Umgang mit Gütern sollte im Bezirk Altona gefördert werden
Das Aus für die Tauschbox kommt nicht nur für Cornelia Lindberg überraschend, schließlich sollte im Bezirk eigentlich der nachhaltige Umgang mit Gütern unterschiedlichster Art gefördert werden. Die Altonaer Fraktionen Grüne und SPD hatten das Bezirksamt erst Ende Februar aufgefordert zu prüfen, wie und wo sogenannte Tauschhäuser entstehen könnten. Diese sollen als größere Recyclingstationen dienen, in die Möbel, Kleidung, Geräte, Bücher eingestellt werden können. Das Motto der Aufforderung an den Bezirk: „Tauschhaus statt Kaufrausch – Kreislaufwirtschaft praktisch leben“.
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Als Vorbild dient dabei das Nachbarland Dänemark. „Ein quartiersbezogener Ansatz sind die aus Kopenhagen bekannten betreuten Tauschhäuser. Wir wollen jetzt prüfen, wie wir Ähnliches in Hamburg finanzieren und bewirtschaften können, ob sich vielleicht Repair-Cafés oder Verleih-Services ergänzen lassen“, sagt Christian Trede, Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen Bezirksfraktion Altona.
Hamburg-Ottensen: Politik bringt Tauschhäuser nach dänischem Vorbild ins Gespräch
Das Thema Tauschhäuser findet Cornelia Lindberg durchaus spannend, ein gleichwertiger Ersatz für die Tauschboxen sei das dänische Modell aber nicht. „Es ist einfach nicht niedrigschwellig genug. Die Tauschboxen wurden beispielsweise auch von vielen Obdachlosen am Altonaer Bahnhof genutzt. Ich wage zu bezweifeln, dass diese in ein solches Tauschhaus gehen würden“, sagt die Hamburgerin.
Der Bezirk fordert Bürgerinnen und Bürger, die erst kürzlich Gegenstände in der Tauschbox in der Großen Rainstraße abgelegt haben, auf, diese bis um 11. April wieder zu entnehmen– sonst werden sie entsorgt. „Wir werden an dem Tag sicher vor Ort sein“, sagt Initiatorin Lindberg, die das Aus sicher mit einem lachenden und weinenden Auge verfolgen wird.