Hamburg. Ukraine-Krieg: Im Rahmen der Übung „Steadfast Guardian“ probt die Heimatschutzkompanie lang den Ernstfall.
Als der unbekannte Eindringling am Kuhwerder Hafen über den Zaun geklettert war und sich hinter einem Militär-Lkw versteckt hatte, blieben Alexander B. nicht viele Möglichkeiten. Der Bundeswehrreservist zögerte keine Sekunde. Nach „Halt, stehen bleiben“ und „Halt, stehen bleiben oder ich schieße“ machte der Soldat schließlich Ernst – und gab einen Warnschuss in die Luft ab. „Nach dem Warnschuss hat sich der Eindringling ergeben, und wir konnten ihn festnehmen“, berichtet der Stabsunteroffizier am Morgen danach.
Die gute Nachricht: Diese beschriebene Szene spielte sich zwar genauso ab – war allerdings nur ein kleiner Teil eines zuvor entworfenen Drehbuchs im Rahmen der Alarmierungsübung „Steadfast Guardian“, mit der Hamburgs Heimatschutzkompanie am Donnerstag und Freitag mindestens 36 Stunden lang die Sicherung eines Kais im Hamburger Hafen probte. In Kurzform lautete die Aufgabenstellung: die Sicherung von kritischer Infrastruktur zu üben.
Bundeswehr: Warum Soldaten im Hamburger Hafen einen Warnschuss abgibt
Das theoretische, aber gar nicht mal so abwegige Szenario in der Langfassung: Ein Schiff der Alliierten mit militärischen Gerätschaften für die Ostfront im Ukraine-Krieg liegt mit rund 100 Panzern und rund 100 Militärfahrzeugen am Hafen und muss kurzfristig durch die Heimatschutzkompanie gesichert werden, weil ein US-amerikanisches Bataillon aufgrund eines Unwetters an einem Flughafen in den USA festhängt.
Das waren die rudimentären Informationen, die Christopher G. am Donnerstagmorgen erhielt, als der Oberleutnant zur See gegen 6 Uhr morgens an der Reichspräsident-Ebert-Kaserne in Iserbrook ankam. Eigentlich studiert Christoph G. Bauingenieurswesen an der TH Lübeck, doch einmal im Monat probt der frühere Zeitsoldat, der 2016 seine Grundausbildung in Roth bei Nürnberg absolviert hat, den Ernstfall.
31 Soldaten und Soldatinnen waren im Hafen im Einsatz
„Bei dieser Übung bin ich für alles verantwortlich“, sagt G., der am Donnerstagvormittag zunächst das noch unbekannte Hafengelände erkundschaften musste, ehe er entscheiden konnte, wie genau er den Zug von 31 Soldaten und Soldatinnen spätestens ab 14.30 Uhr aufteilte. „Für uns geht es darum, zu simulieren, wie wir kritische Infrastruktur im Ernstfall absichern“, sagt der Chef der Heimatkompanie.
Der Ernstfall. Für Jörn K. ist dieser zuvor doch sehr abstrakte Fall am 24. Februar 2022 bereits eingetreten. „Als Russland die Ukraine überfallen hat, wurde mein Gedankenkarussell in Gang gesetzt“, sagt der Oberstabsgefreiter, der seinen Wehrdienst vor mehr als 20 Jahren bei den Fallschirmjägern in Oldenburg absolvierte. „Nach dem russischen Angriffskrieg hatte ich das subjektive Gefühl, dass auch ich etwas machen musste“, sagt K.
Wichtigstes Ziel der Heimatschutzkompanie ist der Schutz von Hamburg
Und K. machte. Er griff zum Hörer, rief bei der Bundeswehr an, ließ sich von der einen bis zur anderen Stelle verbinden, bis er irgendwann den richtigen Ansprechpartner hatte. „Ich wollte meiner Verantwortung gerecht werden“, sagt der Hummelsbüttler, der nun seit einem Jahr einmal im Monat drei bis vier Tage mit der Heimatschutzkompanie verschiedenste Szenarien probt. „Unsere Aufgabe ist der Schutz von Hamburg“, sagt der Beamte, der im eigentlichen Leben im Luftfahrtbundesamt arbeitet.
K. hat zwei Töchter, eine Fünf- und eine Elfjährige. „Die Kleine versteht noch nicht so genau, warum Papa einmal im Monat seine Uniform anhat und nicht zu Hause ist. Bei der Großen ist das anders“, sagt der gelernte Fluggerätmechaniker. „Auch die Kinder verstehen, dass die Welt nicht mehr die gleiche ist.“
Heimatschutzkompanie hat sich erst im August 2021 gebildet
K. ist nicht der Einzige, der das so sieht. Erst im August 2021 hat sich die Heimatschutzkompanie aus der Regionalen Sicherungs‐ und Unterstützungskompanie Hamburg gebildet, damit Reservisten und Reservistinnen freiwillig üben und sich militärisch weiterbilden können. „In der aktuellen geopolitischen Lage müssen wir einfach hellwach sein“, sagt der Familienvater.
Das gilt im Übrigen auch nach dreieinhalb Stunden Schlaf. Viel mehr Ruhezeit gönnten sich die Soldatinnen und Soldaten in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag am Hafen jedenfalls nicht. „Natürlich ist das alles nur eine Übung“, sagt Alexander B., „aber trotzdem müssen und sollen wir jeden Moment auf der Hut sein.“
Alarmierungsübung „Steadfast Guardian“ hatte jede Menge Überraschungen
Tatsächlich hatte das Drehbuch für die Teilnehmer der Alarmierungsübung „Steadfast Guardian“ jede Menge Überraschungen bereitgehalten. Neben dem Eindringling, den Alexander B. per Warnschuss stellte, gab es auch eine gespielte Anti-Nato-Demonstration und ein versteckter (natürlich nicht echter) Sprengsatz. Nur die Idee, einen Drohnenangriff zu simulieren, musste verworfen werden. Der simple Grund: das Hamburger Wetter.
„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, sagt Alexander B., der in Horn wohnt. Acht Jahre lang war er Zeitsoldat, ehe er sich im Juni dieses Jahres beim Heimatschutz freiwillig meldete. Dass er jetzt mehrere Tage im Monat in seinem Betrieb in Pinneberg fehlt, war und ist für ihn kein Hinderungsgrund. „Mit dem Arbeitgeber ist alles besprochen“, sagt B. An den Tagen, an denen er vom Betrieb befreit ist, übernimmt die Bundeswehr sein Gehalt.
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145 Frauen und Männer sind in Hamburg Teil der Heimatschutzkompanie – 31 von ihnen sind noch bis Sonntag mit der Alarmierungsübung beschäftigt. Es sind Juristen, Studenten und andere Zivilisten, die sich trotz Hamburger Schmuddelwetters um das imaginäre Boot der Alliierten kümmern. Am Kuhwerder Hafen ist sogar eine Meeresbiologin mit dabei.
Wie wichtig der Schutz von Hamburgs kritischer Infrastruktur ist, wurde gerade erst wieder vor drei Wochen deutlich. Da war es ein einzelner Geiselnehmer, der mit einem Privatauto eine Schranke am Hamburger Flughafen durchbrach und direkt auf das Rollfeld fuhr. Für die Sicherung des Flughafens ist zwar nicht die Bundeswehr, sondern der Flughafen selbst verantwortlich, aber der Fall zeigte noch einmal sehr deutlich auf, wie fragil und sensibel die kritische Infrastruktur in Hamburg ist.
Passanten ließen sich durch schwerbewaffnete Soldaten irritieren
Flughafen, Hafen, Brücken, Elbtunnel, Energiewerke – die zu schützenden Ziele sind kaum zu zählen. Genauso wenig wie die erstaunten Passanten, die sich am Donnerstag und Freitag durch die schwerbewaffneten Soldatinnen und Soldaten im Hafen irritieren ließen. So dauerte es auch nicht lange, ehe der erste besorgte Anruf beim Pressesprecher einging.
„Am Sonntag ist alles vorbei, und wir können wieder ganz entspannt zu unseren Familien nach Hause fahren“, sagt Oberleutnant Christopher G. Es ist ein Privileg, das man in anderen Teilen der Welt in dieser Zeit nicht hat.