Hamburg. Genossenschaft Mesterkamp will 38 Wohnungen bauen. Doch Auflagen, strenge Vorschriften und hohe Kosten machen es schwer.
Zielstrebigkeit, Mut und Durchhaltevermögen – damit sind die Mitglieder der Baugenossenschaft Mesterkamp schon weit gekommen. So weit, dass auf einer großen Brachfläche in Barmbek-Süd gerade das Fundament ihres Wohnprojekts gegossen wird. Die beiden Häuser mit 38 Wohnungen werden unmittelbar im Zentrum eines neuen Quartiers liegen, das auf einem ehemaligen Busbetriebshof in Hamburg geplant ist.
Insgesamt 450 Neubauwohnungen sollen hier entstehen, unter anderem von der Saga und von Fördern & Wohnen. Doch die Baugrube der Mesterkamp-Genossenschaft ist die einzige auf dem 2,8 Hektar großen Areal. „Anders als andere Bauherren können wir nicht auf bessere Bedingungen beim Bauen warten. Wir sind aus unserer persönlichen Wohnungsnot darauf angewiesen, unser Vorhaben schnell umzusetzen“, sagt Tilo Schmidtsdorff.
Immobilien Hamburg – Wie 60 Hamburger in Barmbek für ihren Traum kämpfen
Der 44 Jahre alte Softwareentwickler ist quasi der Gründungsvater der Baugemeinschaft. Er hörte 2016 erstmals davon, dass auf dem Areal des ehemaligen Busbetriebshofs Mesterkamp ein Wohnquartier entstehen sollte – und war gleich interessiert. „Vor allem, dass das Viertel autoarm werden sollte, fand ich gut“, erinnert sich der Vater von drei Kindern.
Als dann bekannt wurde, dass rund um den zukünftigen Quartiersplatz sogar komplett autofreies Wohnen geplant war, stand für ihn fest: So wollte er mit seiner Frau und den drei Kindern leben, und zwar in Gemeinschaft mit anderen. In Gesprächen und durch Werbung in eigener Sache fanden sich schließlich genügend Interessierte, um eine Baugemeinschaft zu bilden, die heute 60 Erwachsene und 50 Kinder umfasst.
Wohnen in Hamburg: Baugenossenschaften lehnten Kooperation mit der Baugemeinschaft ab
Dann jedoch begannen die Schwierigkeiten. „Wie es bei Baugemeinschaften üblich ist, wollten auch wir uns einer großen Wohnungsbaugenossenschaft anschließen“, so Schmidtsdorff. Rund 30 Hamburger Genossenschaften – darunter Hamburger Wohnen, Fluwog und BVE – wurden angefragt. Doch alle sagten ab. „Die Begründung war stets die gleiche: Die Finanzierungsbedingungen sind zu schlecht, die Gestaltungsvorgaben zu hoch.“
So gründeten die Interessierten 2021 eine Klein-Genossenschaft. Um Liquidität aufzubauen, wurden pro gewünschtem Quadratmeter 500 Euro eingezahlt. Schmidtsdorff und seine Frau zahlten für 100 Quadratmeter 50.000 Euro. Insgesamt kamen 1,5 Millionen Euro zusammen. Das reichte für einen Kredit über zwölf Millionen Euro bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB), die auch einen Zuschuss von weiteren 2,5 Millionen Euro gab.
Bezirk Hamburg-Nord: Gestaltungsvorgaben machen Bau teurer und weniger nachhaltig
Doch nun mussten sie sich selbst mit den Vorschriften und Auflagen herumschlagen: mit der vom Bezirksamt Hamburg-Nord vorgeschriebenen Zahl der Fahrradbügel, der Erschließung der Fahrradkeller und auch dem Gestaltungsleitfaden für Fassade. Dafür muss nämlich Klinker verwendet werden, und zwar in einer ganz bestimmten Farbigkeit. „Wir konnten erreichen, dass wir Riemchen verwenden dürfen, die nicht ganz so teuer in der Herstellung sind“, so Schmidtsdorff. „Aber alleine die Ecksteine, die erst gebrannt und danach entsprechend zugeschnitten werden müssen, kosten uns 100.000 Euro.“
Außerdem sei Klinker nicht wirklich nachhaltig: Für die Produktion werde viel fossile Energie verbraucht. Grünfassaden dagegen, wie es sich die Mesterkamp-Genossenschaft gewünscht hätte, seien deutlich nachhaltiger und auch wichtig für die Regulierung des Mikroklimas. „Doch obwohl das mittlerweile allgemein bekannt ist, hält man aus vermeintlich ästhetischen Gründen an Backstein fest.“
Wegen Vorgabe des Bezirks kann eine Fahrradrampe bis zum Einzug wohl nicht gebaut werden
Weitere 30.000 Euro musste die Baugenossenschaft ausgeben, um eine geplante Rampe zum Fahrradkeller wieder aus dem Bauantrag entfernen zu lassen – sonst hätte sie nicht anfangen können zu bauen. „Eigentlich wollten wir Fahrradhäuschen bauen“, erklärt Andrea Popp, eine ehemalige Lehrerin. „Aber da die Häuschen laut Bezirksamt die Optik stören würden, bauen wir nun mit Fördergeld der Stadt einen Fahrradkeller.“
Die Rampe dorthin müssten sie sich nach Vorgaben des Bezirks mit dem Nachbargebäude teilen, so die 66-jährige Niendorferin, die seit fünf Jahren alleinstehend ist und im Alter in Gemeinschaft leben möchte. „Doch niemand weiß, wann Fördern & Wohnen mit dem Bauen anfängt. Die Erreichbarkeit des Fahrradkellers ist zum Einzug also nicht gesichert.“
Mesterkamp eG: „Aufgeben war für uns keine Option. Wir brauchen den Wohnraum“
Mit mindestens 13 Akteuren muss sich die Mesterkamp eG immer wieder abstimmen. Dazu zählen auch die Agentur für Baugemeinschaften, der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen, die Baufirma, der Genossenschaftsverband und die Firma für Photovoltaikanlagen. „Das ewige Hin und Her ist anstrengend und zeitaufwendig“, sagt Schmidtsdorff. „Doch Aufgeben war für uns keine Option. Wir brauchen den Wohnraum.“
Trotz aller Widrigkeiten gibt es auch Lob für die Verwaltung: „Das Fundament für Baugemeinschaften ist in Hamburg großartig. So gute Bedingungen wie hier gibt es in anderen Städten nicht.“ Auch habe man „ein ziemlich großes Rad“ drehen können: Die Baugenossenschaft Mesterkamp habe sich mit anderen Klein-Genossenschaften zusammengetan und in einem Gespräch mit Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) erreicht, dass die Rahmenbedingungen für „Baugemeinschaften in klein-genossenschaftlichem Eigentum“ geändert wurden.
Verbesserung der Rahmenbedingungen hat Planungssicherheit für Baugemeinschaft geschafft
Diese benötigen künftig nur noch rund zehn Prozent Eigenkapital und müssen für ihren Kredit über eine Laufzeit von 40 Jahren nur 1,5 Prozent Zinsen zahlen. „Das hat uns Planungssicherheit gegeben“, sagt Andrea Popp. Man habe sich – wie es bei Baugemeinschaften üblich wäre – einen Baubetreuer gesucht, in diesem Fall die Lawaetz-Stiftung, und sich überlegt, wie man bauen wolle.
Die Entscheidung fiel auf eine Modulbauweise, genauer gesagt, auf die komplett vorgefertigten Elemente von Solid.Modulbau aus Nordrhein-Westfalen. „Die Elemente bestehen aus Holz und Stahl und enthalten bereits vorverlegte Strom- und Wasserleitungen. Selbst die Toilette ist bereits verbaut.“ Das sei sehr nachhaltig, weil die Module schnell und unabhängig von Witterungseinflüssen produziert werden könnten und komplett recycelbar seien. Beton brauche man nur für Boden und Decke.
Baugenossenschaft Mesterkamp will bereits Ende April 2024 in Neubauten einziehen
Die beiden fünf- und sechsgeschossigen Gebäude sollen innerhalb von nur drei Monaten aus 180 Modulen errichtet werden. Ende April wollen die Genossinnen und Genossen der Mesterkamp eG einziehen. Dann wäre aus der Vision von Tilo Schmidtsdorff Realität geworden. Andrea Popp könnte ihr Leben mit Menschen unterschiedlichen Alters teilen. Und Patrycja Lagner hätte für sich und ihre vierjährigen Drillinge endlich mehr Platz – und sich einen alten Wunsch erfüllt.
„Ich habe mich schon früh für das Leben in Kommunen interessiert, aber diese waren meistens auf dem Land“, sagt die 44 Jahre alte Berufsschullehrerin. Durch die Trennung von ihrem Partner habe sie jetzt die Chance bekommen, darüber noch einmal nachzudenken. Und hat entschieden: „Ich möchte so gerne hier leben, dass ich froh war, die letzte Wohnung ergattern zu können. Dass ich nur drei und nicht vier Zimmer habe, nehme ich in Kauf.“ Viel wichtiger sei es doch, dass sie ihren Kindern eine vorbildliche Lebensweise vermitteln könne, bei der neben dem nachhaltigen auch der soziale Aspekt eine große Rolle spiele.
Barmbek-Süd: autofrei, nachhaltig und sozial – zum Konzept gehört auch ein Food-Sharing-Raum
Tatsächlich gehörten diese auch mit zu dem Konzept, mit dem sich die Baugemeinschaft für das Erbpachtgrundstück beworben hat. So sind vier der 38 Wohnungen in dem Wohnprojekt für Familien reserviert, die besonders dringend Wohnraum benötigen. Außerdem gibt es einen Foodsharing-Raum. „Dort können wir Lebensmittel lagern, sodass wir größere Mengen einkaufen und so nicht nur Geld, sondern auch Verpackung einsparen können“, so die Drillingsmutter.
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Um die beiden Häuser der Mesterkamp eG herum wird es wohl noch eine Zeit lang ziemlich wüst aussehen. Das städtische Unternehmen Fördern & Wohnen, das direkt nebenan 24 Wohnungen errichten will, hat noch keine Baugenehmigung dafür bekommen – obwohl es nach eigenen Angaben bereits im Januar den Bauantrag gestellt und alle erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
Immobilien Hamburg: Baugenossenschaft Mesterkamp startet Crowdfunding-Kampagne
Und die Saga, die am Mesterkamp den Bau von insgesamt 89 öffentlich geförderten Wohnungen, einer Kita sowie einem Quartiertreff plant, hat zwar eine Baugenehmigung, kann aber wegen „noch laufender Abstimmungen zu Details der Bauausführung“ noch keine Angaben zu konkreten zeitlichen Abläufen machen.
Ebenso wenig wissen die Genossinnen und Genossen der Mesterkamp eG, wann der Quartiersplatz unmittelbar vor ihren Häusern fertig wird – und auch nicht, ob nicht trotz sorgfältiger Kalkulation doch noch eine finanzielle Hürde auftaucht. Um auch dagegen gewappnet zu sein, haben sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. „Wir suchen Menschen, die unsere Vision einer lebenswerten Stadt unterstützen wollen“, sagen sie. Bei der Realisierung ihres Projekts sind sie schon weit gekommen. Aber glauben, dass sie es wirklich geschafft haben, werden sie es wohl erst, wenn sie eingezogen sind.