Hamburg. Für viele überraschend: Auch in der City ist die Vielfalt von (essbaren) Pilzen groß. Wie diese sogar beim Straßenbau helfen.
Linus Koch ist mit dem Skateboard zum Treffpunkt in der Schanze gekommen. Hier geht es jetzt los auf eine Tour durch die Stadtnatur. Die Großstadt mit viel befahrenen Kreuzungen, Verkehrslärm und überquellenden Mülleimern, das ist für Linus nur die eine Seite.
Er blickt lieber ins Grün – das es hier auch reichlich gibt, wenn man nur genau hinschaut. „Da ist ein Riesenporling“, sagt der 35-Jährige plötzlich und geht ein Stückchen auf den Hügel im Schanzenpark.
Pilze sammeln in Hamburg: Das geht sogar in der Schanze
Die großen braunen Pilze sind jung sogar essbar, aber auch eine Hilfe für den Straßenbau: Sie wachsen auf angegriffenen Bäumen und Totholz. Wenn Baumkontrolleure den Riesenporling an einer Wurzel sehen, wissen sie, dass der Baum bald umstürzen könnte.
Solche Geschichten erzählt Linus Koch am laufenden Band – über die Pflanzen, die hier wachsen, die Linden, die in Symbiose mit Steinpilzen leben oder über Riesenchampignons, die am Wegesrand stehen und nach Anis duften.
Linus Koch ist nicht gerade der Naturführer, wie man ihn sich vorstellt: ohne Rangerweste und Outdoorhose, dafür mit einem Pilzmesser in der Tasche und einer Cap auf dem Kopf.
Pilze: viele verschiedene Lebensräume auch in der Hamburger City
Der Hamburger ist Pilzcoach, und nach der hoffentlich bestandenen Prüfung in wenigen Tagen, auch Pilzsachverständiger. Dass er sogar in der City, an Grünstreifen oder im Schanzenpark, auf die Suche nach Champignons und Co. geht, hat einen einfachen Grund: „Auch hier in der Stadt gibt es ganz viele verschiedene Lebensräume.“ Und um diese zu entdecken, müsste man nicht erst rausfahren aufs Land.
An der Max-Brauer-Allee habe er in kleinen Parkbuchten mit Birken beispielsweise gerade Birkenpilze entdeckt. In Eppendorf hat er unter einer Weide einen Schwefelporling gefunden.
Hamburg: viel Natur im Klövensteen oder im Volkspark
Schon als Junge zog es Linus Koch raus in die Natur. Er wuchs in Lurup auf, verbrachte seine freie Zeit aber oft im Volkspark oder im Klövensteen, beobachtete Kröten und Kreuzottern. Dann kam die Makrofotografie als Hobby dazu, bei der kleine Dinge – wie etwa Pilze – groß in Szene gesetzt werden.
Neben seinem Job als Sozialarbeiter ist er als Freiberufler für die Loki-Schmidt-Stiftung in Sachen Makrofotografie unterwegs, bietet mit Freunden aber auch Natur- und Craftbiertouren an. Auf diese Weise wollen sie das angestaubte Image von Umweltführungen auflockern. Unter der Internetadresse www.waldgangmitlocalbier.com können Interessierte die sogenannten Waldgänge buchen.
Pilztouren in der Schanze, im Volkspark oder auf dem Gut Wulksfelde
Rundgänge als Pilzcoach bietet Linus Koch über die Website der Deutschen Gesellschaft für Mykologie an. Die Kosten belaufen sich pro Teilnehmer auf circa 30 bis 60 Euro – je nach Aufwand und Programm. In den Herbstferien steht etwa eine Tour auf und mit dem Gut Wulksfelde an.
Bisher hat Linus Koch vorwiegend Pilz- und Kräutertouren in der Schanze und im artenreichen Volkspark oder in den Wäldern rund um Hamburg angeboten. Nach der Prüfung zum Pilzsachverständigen wird er seine Arbeit aber ausweiten. Etwa auf Bildungseinrichtungen, Waldkindergärten oder Schulen.
Pilzexperte: Kinder haben Kontakt zur Natur verloren
Dass Kinder den Kontakt zur Natur oft verloren haben, bedauert der Hamburger, der sich an seine eigene Schulzeit erinnert: „Ich habe viel mehr gelernt, wenn ich mir im Wald die kleinen Tiere im Totholz angeschaut habe, als beim Unterricht im Klassenzimmer.“
Der mit seiner Freundin in Altona-Nord lebende Freiluftfreund fährt deshalb auch oft mit Bekannten und deren Nachwuchs in den Wald – um Pilze zu sammeln und im mitgebrachten Mini-Ofen anschließend eine leckere Pizza Funghi zu backen.
Mikro-Abenteuer direkt vor der Haustür in Altona-Nord
Diese Mikro-Abenteuer, die sich Linus Koch gönnt, fangen aber oft schon in der Nachbarschaft an. Dann schaut er nicht nur nach Pilzen, sondern findet etwa Gierschblätter, die er zum Kochen mit nach Hause bringt oder sammelt Brennnesseln, aus denen er knusprige Chips zubereitet.
Übrigens gilt für die Pilze wie die Kräuter: Nichts sammeln, was man nicht kennt, und möglichst keine Dinge verzehren, die in Parks mit Hunden oder direkt neben der Straße wachsen.
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Pilzexperte: „Wir vergessen oft, dass wir Teil der Umwelt sind“
Linus Koch schätzt aber schon die kleinen Dinge: Den Specht, der vor dem Haus am Baum hämmert, die Knoblauchrauke, die im Stadtgarten wächst und tatsächlich einen aromatischen Duft verströmt. „Es ist einfach eine totale Bereicherung, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen, denn wir vergessen oft, dass wir Teil dieser sind.“