Hamburg. An der Alten Sülldorfer Landstraße sind die Fronten verhärtet: Anwohner fordern die Politik in offenem Brief zum Handeln auf.
Ungewöhnlicher Nachbarschaftsstreit in Hamburg-Rissen: Zahlreiche Anwohner aus der Alten Sülldorfer Landstraße beschweren sich über den Lärm einer angrenzenden Kita. Sie werfen dieser ein „fast unerträgliches Nutzungsverhalten“ vor.
Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, hat sich die Gruppe am Donnerstag in einem Brandbrief an zahlreiche Politikerinnen und Politiker, Behörden und sonstige Einrichtungen gewandt. Zu den Empfängern gehören unter anderem Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), das Bezirksamt Altona, die Vorsitzenden der Altonaer Bezirksversammlung und die Kita-Aufsicht.
Streit um Kinderlärm: Wohnungen grenzen an Kita-Außenfläche
Die Ausgangslage ist schwierig, wie sich beim Besuch des Abendblatts vor Ort zeigt: Die zum überwiegenden Teil betagten und in der Mobilität eingeschränkten Anwohnerinnen und Anwohner machen geltend, dass es für sie keine Möglichkeit gebe, dem Lärm zu entrinnen. Sie leben fast ausnahmslos in geförderten Einraumwohnungen, deren Balkone und Terrassen allesamt an die Kita-Außenfläche grenzen.
In der Tat trennen das Kita-Gebäude und die Außenfläche nur wenige Meter von dem modernen Mehrfamilienhaus, in das die meisten Mieter direkt nach dem Bau im Jahr 2020 eingezogen waren. „Im ersten Jahr nach dem Einzug war es hier noch schön“, berichtet Matthias Choinowski, der in einer Wohnung im zweiten Stock lebt.
Kita in Rissen bekam eigenen Spielplatz – dann wurde alles „schlimmer“
Im Herbst 2021 sei dann, entgegen der Versprechungen des damaligen Eigentümers, der kleine Spielplatz auf der Kita-Außenfläche gebaut worden – danach wurde es laut Choinowski „ständig schlimmer“.
Immer wieder und über Monate hinweg habe der 53-Jährige dann versucht, etwas an der verfahrenen Situation zu ändern – auch indem er die verschiedenen Behörden sowie die Kita-Aufsicht kontaktierte. Stattdessen hätten sich die Fronten zwischen den Anwohnern und Erziehern der Kita nur weiter verhärtet.
Anwohner genervt von Kita – sie verfassten offenen Brief
Deshalb habe er schließlich in Zusammenarbeit mit einigen anderen Hausbewohnern den offenen Brief verfasst: Das Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, ist im Ton durchaus höflich und kompromissbereit, doch die Vorwürfe gegen die Kita-Betreiber, die KMK kinderzimmer GmbH & Co. KG, wiegen schwer.
Nach Darstellung der Unterzeichner, die auch zwei eidesstattliche Versicherungen angefügt haben, wurden bislang sämtliche ihrer Gesprächsangebote, um „einen für beide Seiten respektablen Umgang“ zu erzielen, beziehungsweise „auf Rücksichtnahme gegenüber den vorwiegend erkrankten und älteren Menschen (…) im Hause hinzuwirken“ von der Kita-Leitung nicht angenommen oder mit der Aussage zurückgewiesen, dass man dafür keine Zeit hätte. Telefonate seien abrupt beendet worden, mehrmals sei auch gesagt worden: „Wenn es Ihnen hier nicht passt, können Sie ja ausziehen.“
„Wir haben auf gar keinen Fall das Ziel, die Kita zu verdrängen“
Die Betroffenen machen geltend, dass sie die Fenster während der Kita-Öffnungszeiten fast durchgehend geschlossen halten müssten. Zudem sei dort die Privatsphäre, besonders im Erdgeschoss, „eklatant eingeschränkt und gestört“. Einige Mieter seien bereits ausgezogen, andere erwägen diesen Schritt. Die 16 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner machen indes klar, dass sie in der Wohnanlage bleiben möchten beziehungsweise müssen.
„Wir haben auf gar keinen Fall das Ziel, die Kita zu verdrängen“, versichert Initiator Choinowski dem Abendblatt. „Wir wollen aber die Möglichkeit bekommen, ganz normal und auf Augenhöhe mit den Kindergartenmitarbeitern zu sprechen“, so der 53-Jährige.
Streit um Kita: Besonders Kinderroller seien Lärmbelästigung
Ähnlich beschreibt es auch Nachbarin Christine Wille, ebenfalls Unterzeichnerin des Briefes: „Die Kinder stören mich wirklich nicht, Kinder sind halt Kinder“, sagt die Mieterin. Doch bei dem Lärm glaube sie mittlerweile, „verrückt zu werden“ und erzählt, dass besonders die Roller und Bobbycars auf dem direkt angrenzenden asphaltierten Hauptweg eine enorme Lärmquelle seien.
Auch in ihrem Brandbrief machen die Anwohner deutlich, dass sie keine „Meckerer“ seien, die prinzipiell etwas gegen eine Kita hätten. Dort heißt es dazu: „Wir als Mieter (...) befürworten und unterstützen ausdrücklich die politische und gesellschaftliche Förderung sowie die Errichtung und den Betrieb von Kindertageseinrichtungen in und um Hamburg.“
Kita könnte auch den benachbarten Naturspielplatz nutzen
Nach Darstellung von Wille, Choinowski und den anderen Unterzeichnern breitet sich die Kita jedoch deutlich über die offiziell zum Spielen vorgesehene Grundstücksfläche aus. Die Kinder würden laufend auf dem einzigen Haupt- und Zugangsweg spielen und toben, der zum Teil nur gut einen Meter von den angrenzenden Terrassen entfernt liegt und auch von Eltern und Anlieferern genutzt wird.
Dieser sei unverständlicherweise weder von dem internen Kindergartenspielplatz abgegrenzt noch eingezäunt. Dagegen werde der Naturspielplatz Am Rissener Busch/Buschredder von dem Kindergarten „so gut wie nicht benutzt“, obwohl er fußläufig in circa fünf Minuten erreichbar sei.
Der Sprecher des Altonaer Bezirksamts, Mike Schlink, sieht die Sozialbehörde in der Pflicht. „Die Prüfung von Größe und Umfang der notwendigen Außenspielfläche obliegt der Kita-Aufsicht der zuständigen Fachbehörde“, sagt Schlink. In der Tat könne laut Schlink der nahe gelegene Spielplatz für die Elementargruppe(n) (drei bis sechs Jahre) berücksichtigt werden.
Hamburger Senat will offenen Brief nicht kommentieren
„Für die Herstellung und Nutzung des Spielplatzes wurde im September 2018 ein entsprechender städtebaulicher Vertrag abgeschlossen“, so der Bezirksamtssprecher. Die Stellungnahme der Sozialbehörde fiel indes denkbar knapp aus: „Der Senat kommentiert offene Briefe grundsätzlich nicht“, teilte Pressereferentin Stefanie Lambernd dem Abendblatt mit.
„Ich erwarte schon, dass sich die Kita-Aufsicht einmal mit dem Thema beschäftigt“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Altonaer Bezirksversammlung, Henrik Strate (SPD). Strate kündigt auch an, dass sich seine Fraktion vor Ort umsehen und mit den Anwohnern sprechen werde.
Hamburg-Rissen: Kita-Geschäftsführer gesprächsbereit
Daniel Grimm, Geschäftsführer von KMK kinderzimmer signalisiert Gesprächsbereitschaft. „Natürlich sind Kinder beim Spielen im Außenbereich auch mal etwas lauter und lassen ihrer Lebensfreude freien Lauf“, so Grimm, „aber natürlich nehmen wir dabei auch Rücksicht auf die Belange unserer Nachbarn. Für ein besseres, gemeinsames Miteinander wünschen wir uns deshalb einen konstruktiven Austausch und stehen für diesen zur Verfügung.“
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Die gegenseitige Rücksichtnahme und das Achten auf die Bedürfnisse von anderen seien schließlich auch ein elementarer Bestandteil pädagogischer Arbeit. Laut Grimm habe das Unternehmen die Kita bereits 2017 mit dem damaligen Eigentümer geplant und dabei auch bereits eine Spielfläche für die Kinder im vorderen Bereich des Grundstücks vorgesehen. Es bleibt nun abzuwarten, ob eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten gefunden werden kann.