Hamburg. Das Wohnhaus des berühmten Architekten in Hamburg wurde aufwendig restauriert. Dort gibt es viel Verblüffendes zu sehen.

In Hamburg-Bahrenfeld steht ein Architekturdenkmal der Spitzenklasse, das in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt sein dürfte. Möglich gemacht hat es die Energie eines Einzelnen, der, fast im Alleingang, eine Bruchbude zu einem Juwel umgestalten ließ.

Vor einigen Jahren hatte Peter Dinse das 1928 fertiggestellte Wohnhaus des berühmten Architekten und Designers Karl Schneider (1892 bis 1945) an der Grünewaldstraße erworben. Im Oktober 2020 lud Dinse das Abendblatt zu einem Exklusivbesuch in die damals völlig desolate Villa mit den mehr als 250 Quadratmetern Nutzfläche ein und stellte bei einem Rundgang seine vielfältigen Pläne vor.

Exklusiv-Einblick: Karl Schneiders Villa in Bahrenfeld jetzt ein Festival der Farben

Nun also ein neuer Besuch – und der Unterschied könnte kaum größer sein. Der Hausherr steht stolz an der Eingangstür und lädt mit jugendlichem Schwung zur Besichtigung. Der Eindruck: eine überwältigende Zeitreise. Kaum fassbar, was hier geleistet wurde. Dinse hat alle Räume so weit wie möglich in den Originalzustand zurückversetzen lassen, was vor allem bedeutet: klare Linien und ein Festival der Farben.

Blau, Schwarz und Orange wechseln sich auf fast schon betörende Weise ab, der weitläufige Wohn- und Essbereich präsentiert sich in ungewöhnlichem Dunkelbraun. Im ersten Stock gehen sechs Zimmer vom lang gezogenen Flur ab. Jedes ist anders gestrichen, eines in vier verschiedenen Grüntönen.

Die „Restauratorische Befunduntersuchung“ war teuer wie ein Gebrauchtwagen

Trennende Zwischenwände, die nachträglich eingebaut worden waren, sind verschwunden, sodass die Räume wieder die Anordnung und Ausdehnung haben, die Karl Schneider einst dafür geplant hatte. „Der Raumfluss funktioniert wieder“, erläutert Dinse, „so hatte sich Karl Schneider das vorgestellt.“

Vorher: So sah das Haus im Jahr 2020 aus. Die Dachterrasse war damals zugebaut.
Vorher: So sah das Haus im Jahr 2020 aus. Die Dachterrasse war damals zugebaut. © Funke Foto Services | Roland Magunia
Nachher: So sieht die von Architekt Peter Dinse sanierte Karl-Schneider-Villa jetzt aus. Deutlich ist zu sehen, dass die Dachterrasse nun wieder frei liegt.
Nachher: So sieht die von Architekt Peter Dinse sanierte Karl-Schneider-Villa jetzt aus. Deutlich ist zu sehen, dass die Dachterrasse nun wieder frei liegt. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Der Bauherr präsentiert einen dicken Ordner, in dem alle vorbereitenden Prüfphasen lückenlos dokumentiert sind. Diese Akte, Fachbezeichnung „Restauratorische Befunduntersuchung“, war in den vergangenen Monaten das wichtigste Dokument im Haus, Dinse nennt sie „meine Bibel“. Gekostet hat sie so viel wie ein Gebrauchtwagen, allerdings ein hochwertiger.

Scheider-Villa: Eigentümer Peter Dinse ließ Stilelemente von Hand nachbauen

Gerade hatte Peter Dinse sich noch in einen neu erworbenen stilechten Stuhl plumpsen lassen – nun zieht es ihn schon wieder durch das Haus. Sein Werk präsentiert er ohne Angeberei – glücklich, geradezu beflügelt.

Der bekannte Architekt mit mehr als 50 Jahren Berufserfahrung wirbelt durchs Treppenhaus klopft auf das Geländer mit dem Messinghandlauf. „Das hat ein Gürtler gefertigt, das war der Einzige, der das noch konnte“, erzählt er.

„Kann Gejammer nicht mehr hören“: Eigentümer der Schneider-Villa lobt Handwerker

Überhaupt, die Handwerker: „Ich kann das Gejammer der Leute von wegen ,keine guten Handwerker zu kriegen‘ nicht mehr hören“, schimpft Dinse. Wenn man sich rechtzeitig anmeldet, gut und vor allem pünktlich bezahlt, klappt das immer alles. Bei mir ham’ die ihr Geld nach einer Woche, das ist ja wohl Ehrensache.“

Zum Beweis zeigt der vitale Mittsiebziger einen Türgriff samt Beschlag, der völlig originalgetreu aussieht. „Hier war so ein Billigscheiß eingebaut“, wettert Dinse. „Ich hab dann einen Typ in Meck-Pom aufgetrieben, der das nachbauen konnte. Ich hab gesagt ,mach man, soll nicht zu deinem Schaden sein‘. Das ging zackzack.“ Die Haustür ließ er nach einer Originalvorlage neu bauen – „den Unterschied sieht kein Mensch“.

Die zugebaute Dachterrasse der Schneider-Villa wurde wieder freigelegt

Hinauf geht’s ins oberste Geschoss, das in den 1930er-Jahren wohl das faszinierendste des Hauses war (und nun wieder ist). Karl Schneider hatte hier oben nur einen Raum geplant: sein Atelier. Die anschließende Dachterrasse bot Zerstreuung und Rückzugsort. „Schneider war ein Familienmensch“, sagt Peter Dinse, „aber hier war für die Kinder dann finito.“

1959 hatte die damalige Besitzerin die Terrasse komplett überbauen lassen, um zusätzliche Wohnfläche zu schaffen. Mit immensem Aufwand wurden diese Zimmer nun wieder zurückgebaut und die Terrasse neu angelegt.

Schneider-Villa wie im Original: Planschrank und Bibliothek aus Nussbaumholz

Im Raum daneben sieht es wieder so aus wie zu Karl Schneiders Zeit: Dinse ließ Planschränke und Bibliothek aus amerikanischem Nussbaumholz nachbauen („nach der richtigen Maserung haben wir stundenlang gesucht“), der Schreibtisch ist in Arbeit.

Der Treppenaufgang der Schneider-Villa in Hamburg-Bahrenfeld mit dem aufwendig nachgebauten Handlauf.
Der Treppenaufgang der Schneider-Villa in Hamburg-Bahrenfeld mit dem aufwendig nachgebauten Handlauf. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Im Zuge der Scheidung von seiner ersten Ehefrau musste Karl Schneider das Haus 1935 verkaufen. 1933 war dem von den Nazis als „Kulturbolschewisten“ Geschmähten bereits seine Architektur-Professur aberkannt worden, was ihn in finanzielle Schwierigkeiten gestürzt hatte. 1938 emigrierte Schneider dann in die USA, wo er nach erheblichen Startschwierigkeiten beruflich Tritt fassen konnte und bis zu seinem frühen Tod wieder erfolgreich war.

Für Eigentümer Peter Dinse war der Architekt Karl Schneider „der Größte“

Wenn Peter Dinse von Karl Schneider spricht, der vielen heute als der modernste aller Bauhausarchitekten gilt, wird er geradezu ehrfürchtig. Schneider sei „der Größte“ gewesen – „das hab ich schon im Studium kapiert“. Dinse schwärmt: „Der konnte alles. Ein Genie. Und ein Workaholic. Er war größer auch als Gropius und Ähnliche.“ Andere hätten noch „rumgelabert“, während Schneider schon loslegte.

Ähnlich hatte Peter Dinse losgelegt: Erst ließ er die Villa für viel Geld umgestalten, nun überlegt er, wie sie langfristig genutzt werden könnte. Ein kultureller Treffpunkt schwebt ihm vor – mit Literatur- und Architekturgesprächen. Arbeitsräume könnte es vor Ort geben, auch Filmarbeit müsse möglich gemacht werden.

Peter Dinse streicht andächtig über das schöne Holz. „Ich hoffe, dass ich Karl Schneider gerecht geworden bin“, sinniert er, „Ob er es wohl aus dem Grab heraus mitbekommt?“

Karl-Schneider-Wohnhaus: Kulturbehörde stellt weitere Villa unter Denkmalschutz

Eine gute Nachricht für alle Karl-Schneider-Fans: Vor wenigen Tagen wurde auch die Villa Baurstraße 74, die nur einen Steinwurf entfernt liegt, unter Denkmalschutz gestellt. Gebaut hat sie Karl Schneider 1928 für den Kaufmann, Schriftsteller und Architekturkritiker Rolf Spörhase.

„Beide haben sich sehr für das moderne Bauen der 1920er-Jahre in Hamburg engagiert, was die (architektur-)geschichtliche, hohe Bedeutung nochmals wesentlich unterstreicht“, so Enno Isermann von der Hamburger Kulturbehörde. „Das Haus zeigt auf beeindruckende Weise die klare Struktur und Leichtigkeit des Bauens jener Zeit.“

Die ungewöhnliche Spindeltreppe (l.); die wie die Spitze eines Schneckenhauses geformt ist.
Die ungewöhnliche Spindeltreppe (l.); die wie die Spitze eines Schneckenhauses geformt ist. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Denkmalschutz für weitere Schneider-Villa sorgt für Begeisterung bei Experten

Auch die Karl Schneider Gesellschaft ist über die Unterschutzstellung von Haus Spörhase sehr erfreut und erleichtert: „Damit ist eines der wenigen erhalten gebliebenen Zeugnisse der Baukunst eines Pioniers der Frühen Moderne in einem Gebiet steigender Grundstückspreise vor dem Abriss bewahrt.“

Und Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein sagt: „Hamburgs Denkmallandschaft wird dadurch um eine echte Preziose der Moderne der 1920er-Jahre ergänzt. So unscheinbar das Gebäude heute wirkt, besitzt es doch noch viel originale Bausubstanz, da die meisten Veränderungen nur hinzugefügt wurden.“