Hamburg. Das alte Haus war immer tiefer in den Boden eingesunken. Die Rettung war eine technische und logistische Meisterleistung.
Das Grundstück sieht aus wie ein Schlachtfeld. Der ehemalige Garten ist metertief abgetragen, das alte Haus scheint beinahe in der Luft zu hängen. Lastwagen fahren in die tiefe Baugrube, überall liegen Schläuche, Maschinen rumpeln und dröhnen. Was sich auf dem Eckgrundstück an der Emkendorfstraße in Othmarschen abspielt, ist aber alles andere als eine Zerstörung.
Im Gegenteil: Hier läuft eine spektakuläre Rettungsaktion, deren aufwendigster Teil schon fast geschafft ist. Vor Ort wird eine alte Villa von 1921 buchstäblich vor dem Untergang bewahrt. Architekt Andreas Edye und Bauleiter Thomas Straka nehmen sich Zeit, über die Baustelle zu führen und die überaus aufwendigen Arbeiten der vergangenen Monate zu erläutern.
Denkmalschutz: Haus sank immer tiefer in den Boden ein
Das ehemals schmucke Haus, das von vorne wesentlich unscheinbarer aussieht als von innen und von der Rückseite, hatte ein großes Problem: Im Laufe der Jahrzehnte war es auf der Gartenseite immer tiefer in den Boden eingesunken – zuletzt rund einen halben Meter. Es war dadurch so schief und baufällig geworden, dass viele schon mit einem baldigen Abriss rechneten. „Wenn man im vergangenen Jahr eine Kugel ins Wohnzimmer legte, rollte sie sofort los in Richtung Garten“, berichtet Andreas Edye, „hier war auf jeden Fall Gefahr im Verzug.“
Dass das Haus trotz dieser massiven Bewegung nicht schon längst dramatische Schäden genommen hatte oder sogar eingestürzt war, liegt vor allem daran, dass es einst stabil auf einem gegossenen Betonboden errichtet wurde – um 1921 noch eine Seltenheit. „Man muss sich das wie einen Karton vorstellen“, erläutert Thomas Straka. „Der wird bei Druck und Spannungen vielleicht geknautscht und verbeult, aber er geht ja nicht kaputt. Ohne den Boden würde das Haus aber vermutlich nicht mehr stehen.“
Architekt Andreas Edye kam auf die rettende Idee
Die kleine Villa war zuletzt lange von einer alten Dame bewohnt worden, die kaum noch etwas investiert hatte. Obwohl dem neuen Eigentümer der schwere Bauschaden bekannt war, entschloss er sich, das Kleinod zu erhalten. Doch wie das Ganze zu bewerkstelligen sein könnte, ohne den mittlerweile denkmalgeschützten Bau zu beschädigen, war zunächst völlig unklar. Hinzu kam: Wie konnte das Absacken des Hauses gestoppt werden – und zwar möglichst langfristig? Architekt Andreas Edye, seit mehr als 30 Jahren erfolgreich im Geschäft, wusste schließlich Rat. Im Kellergeschoss erläutern Edye und Straka, wie die Rettung funktionierte.
Dort sieht es an diese Tag aus wie in einem gigantischen Operationssaal. Es ist taghell, überall verlaufen dicke Schläuche, Maschinen rattern pausenlos, Arbeiter laufen umher. An vielen Stellen ragen große Eisenstücke aus dem Boden, die wie überdimensionale Schraubzwingen aussehen. Sie sind der Schlüssel für die Rettung der Villa, die – vereinfacht beschrieben – so ablief: An 40 (!) Stellen wurden zunächst Löcher in den Kellerboden gebohrt, durch die dann lange Pfähle bis zu zwölf Meter tief ins Erdreich gerammt wurden.
Alte Villa wurde um rund 50 Zentimeter angehoben
Als fester Untergrund erreicht war und sie sicher saßen, konnte damit begonnen werden, das Haus mithilfe von hydraulischen Hubzylindern schrittweise nach oben zu bewegen. Thomas Straka spricht vom „Wagenheber-Prinzip“. Dabei war ein solches Maß an Präzision nötig, dass der Prozess mit Lasereinsatz nur schrittweise vonstattengehen konnte. An insgesamt zwei Tagen wurde das Haus so um rund 50 Zentimeter angehoben – eine logistische Meisterleistung.
Doch damit nicht genug. Um das Ganze langfristig zu sichern, wurden dann noch rund 50 Kubikmeter Beton in die unter dem Boden entstandenen Hohlräume gepumpt. „Das Haus wird so letztlich auf einem Betonkissen aufliegen“, erläutert Thomas Straka.
„Ja Gott, totrechnen kann man ja nun jedes Projekt"
Vom Ergebnis sind alle begeistert. „Eine solche Aktion habe ich in dieser Dimension in mehr als 30 Berufsjahren noch nicht mitgemacht“, sagt Andreas Edye und reibt sich vergnügt die Hände. Angetan ist auch die Leiterin des Denkmalamts, Anna Joss. „Es ist schon außergewöhnlich, wenn ein gesamtes Denkmal angehoben wird“, sagt Joss. „Ich freue mich, dass diese herausfordernde Baumaßnahme in enger Abstimmung zwischen zuständigem Denkmalpfleger, Architekten und Eigentümer erfolgreich umgesetzt werden konnte.“ Damit sei ein wichtiger Schritt getan, „um das Denkmal langfristig zu erhalten und wieder bewohnbar zu machen“.
Voll des Lobes ist Andreas Edye für Einsatz und Mut des neuen Eigentümers, dessen Name nicht in der Zeitung stehen soll. Hinweise Außenstehender auf die enormen Kosten der Sanierung machen den renommierten Architekten, der schon viele wertvolle Bauten zu neuem Leben erweckt hat, geradezu ärgerlich. „Ja Gott, totrechnen kann man ja nun jedes Projekt, und einfach weghauen ist ja immer das Leichteste. Und dann?“ Edye weist auf einen unscheinbaren Wohnklotz in der Ferne: „Wenn den Leuten so etwas lieber ist, bitte schön. Aber dann nicht mit mir.“
Zu viel Wasser im Untergrund – liegt es am Elbtunnelbau?
Warum der Grund unter dem Haus so weich und nachgiebig war, ist nicht eindeutig geklärt. Der Grundwasserspiegel ist zwar überall in der Gegend hoch, und ganz in der Nähe gab es einst einen Teich. Doch Edye und Straka vermuten, dass der Bau des Elbtunnels, der nicht weit entfernt verläuft, entscheidend dazu beigetragen hat, den Untergrund zu verändern. Sie glauben, dass durch die massiven Erdbewegungen unterirdische Bäche umgeleitet wurden und dass sich das Wasser im Laufe vieler Jahre neue Wege suchte.
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Die kleine Villa, eine Arbeit des Architekten Erich Elingius (1879–1948), ist übrigens nicht das einzige Denkmal, das auf dem Grundstück gerettet wird. Direkt neben dem Haus steht noch ein Pavillon der Brüder Hans (1881–1931) und Oskar Gerson (1886–1966), den Andreas Edye und sein Team nun ebenfalls restaurieren. Edye verweist auf die kulturhistorische Bedeutung beider Bauten und auf eine eigentümliche und geradezu schicksalhafte Überschneidung. Denn während Elingius während der NS-Zeit unbehelligt weiterarbeiten konnte, musste Oskar Gerson 1938 in die USA emigrieren, wo er auch starb.
Denkmalschutz: "Stück Kulturgeschichte“ wird erhalten
„Als die beiden Bauten entstanden, hatten ihre Architekten noch friedlich nebeneinander gearbeitet“, sagt Edye, „aber später änderte sich das dramatisch.“ Für Edye wird an der Emkendorfstraße somit auch „ein Stück Kulturgeschichte“ erhalten – „und schon alleine dafür lohnt doch wohl jeder Aufwand“.