Hamburg. Die Gerichtstraße wird Fahrradstraße und ihr Pflaster soll Asphalt weichen. Welchen Kompromiss ein Bezirkspolitiker vorschlägt.

Die Verkehrswende frisst den Stadtcharme auf? Der Plan, die Gerichtstraße in Altona-Nord zur Fahrradstraße umzuwidmen, sorgt bei Anwohnern und Bezirkspolitikern für Missmut. Denn die Stadt hat vor, die Fahrbahn in diesem Zuge zu asphaltieren. Das historische Kopfsteinpflaster der Straße wäre damit Geschichte.

Die Bauarbeiten, mit denen die Gerichtstraße zu einem Abschnitt der Veloroute 13 werden soll, haben in dieser Woche begonnen. Künftig schließt die Straße zudem in nördlicher Richtung an die „Fahrradstraßen-Perlenkette“ der Veloroute 1 an, teilte die Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende mit. Planmäßig Ende Mai 2024 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Hamburg-Altona: Anwohner besorgt um historisches Kopfsteinpflaster

Verantwortlich für die Bauarbeiten an der Gerichtstraße ist der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG). Der Verkehrsbehörde zufolge sei bei der Bauplanung darauf geachtet worden, den historischen und grünen Charakter der Wegführung zu wahren.

Die Kernfahrbahn dennoch zu asphaltieren „ist erforderlich, damit der überplante Abschnitt den Erfordernissen einer Veloroute entspricht, unter anderem hinsichtlich der Verkehrssicherheit und des Fahrkomforts“, teilt Dennis Krämer, Sprecher der Behörde, mit. Um den „Milieucharakter“ beizubehalten, sollen die Bereiche neben der Fahrbahn sowie weite Teile der Parkflächen mit Großpflaster ausgestattet werden.

Altona: „Das historische Pflaster gehört zum Stadtbild“

Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins Hamburg, ärgert sich darüber, dass das Kopfsteinpflaster zu großen Teilen aus dem Straßenbild verschwinden soll. „Das historische Pflaster gehört an dieser Stelle einfach zum Stadtbild. Ich finde, das ist ein Stadtraum, der auch von dieser Authentizität lebt“, sagt sie.

Sassenscheidt plädiert dafür, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: „Ich finde es auch total wichtig, dass die Stadt fahrradgerechter wird. Aber das sollte nicht mit der gleichen Respektlosigkeit gegenüber der Geschichte umgesetzt werden, wie damals die autogerechte Stadt.“

Ähnlich sehen es Anwohner aus der Gerichtstraße und der näheren Umgebung. Viele von ihnen schätzen den Charme des Ensembles aus Gründerzeitbauten und dem mehr als 100 Jahre alten Kopfsteinpflaster in der Altonaer Nachbarschaft.

Anwohner kritisieren Pläne der Hamburger Verkehrsbehörde

Es gelte, den „urbanen Charakter zu erhalten und nicht zu zerstören“, um die Örtlichkeit lebenswert zu halten, sagt ein Anwohner, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Veloroute halte er nicht für falsch, doch müsse sie sich „vernünftig in das Ensemble integrieren. Man muss doch nicht alles dem Pragmatismus überlassen!“

Auch Nachbar Jürgen von Borstel empfindet die Hamburger Verkehrswende in Teilen als widersprüchlich: „Die Idee, weniger Autos haben zu wollen, ist ja verständlich, aber die Umsetzung ist nicht durchdacht.“

Abgeschliffenes Kopfsteinpflaster als Kompromiss?

Patrick Müller-Constantin von der SPD-Fraktion Altona macht sich in der Nachbarschaft dafür stark, das historische Pflaster möglichst doch noch zu erhalten. „Das darf doch kein Kulturkampf sein“, sagt der Wahlkreisabgeordnete für Altona-Nord und Bahrenfeld-Ost.

Ebenso wie Sassenscheidt und einige Anwohner möchte er die nunmehr zweieinhalbjährige Diskussion um den Straßenbelag der Gerichtstraße mit einem Kompromiss beenden, der die Verkehrswende und den Erhalt des historischen Pflasters in Einklang bringen könnte.

Wie bereits an diversen Stellen in Hamburg geschehen – etwa am Weidenstieg in Eimsbüttel oder der Neuen Straße in Harburg –, könnte das Kopfsteinpflaster abgeschliffen und den Radlern der Weg auf diese Weise geebnet werden.

Verkehrssicherheit für Radfahrende durch Abschleifen beeinträchtigt

Die Verkehrsbehörde möchte sich auf diesen Mittelweg nicht einlassen. „Das Abschleifen des Kopfsteinpflasters ist ein kostspieliger und aufwendiger Prozess, der zudem die Verkehrssicherheit für die Radfahrenden weiterhin beeinträchtigt“, so Sprecher Krämer.

Müller-Constantin plagt das Gefühl, dass die Stadt Altona-Nord etwas stiefmütterlicher behandelt als andere Stadtteile, die ihr Kopfsteinpflaster in geschnittener Form behalten durften.

Asphalt könnte neue versiegelte Flächen schaffen

Abgesehen von optischen Präferenzen sei das Kopfsteinpflaster dem Asphalt auch unter ökologischen Gesichtspunkten vorzuziehen, argumentieren Müller-Constantin und Sassenscheidt. Denn würde die Fahrbahn asphaltiert, entstünde eine weitere große versiegelte Fläche in Hamburg.

„Wir brauchen dringend Versickerungsflächen – und das Praktische an historischem Pflaster ist, dass das Wasser in seinen Fugen versickern kann“, so Sassenscheidt. Dem Einwand der Verkehrsbehörde, dass die Fläche schon jetzt versiegelt sei, kann sie kaum Glauben schenken. „Da ist doch überall Moos und der übliche ,Ritzendreck’ zu erkennen, der das Wasser so gut filtert. Wenn überhaupt ist das Pflaster höchstens in Teilen versiegelt“, so Sassenscheidt.

Hamburg: Gerichtstraße wird Fahrradstraße – weniger Parkplätze

Was außer dem Kopfsteinpflaster aus der Gerichtstraße weichen soll: 18 der rund 100 Parkplätze. Im Gegenzug sollen Radfahrer und Fußgänger die Straße künftig als komfortabler wahrnehmen können, heißt es von der Verkehrsbehörde.

Schließlich seien Abstellmöglichkeiten für weitere etwa 100 Fahr- und acht Lastenräder Teil der Planung, außerdem zwei barrierefreie Parkstände für Autos und eine Ladezone. Die Gehwege sollen erneuert und Barrierefreiheit in der gesamten Planung berücksichtigt werden.

Altona-Nord: Onlinebefragung zur Gestaltung der Gerichtstraße

Die Pläne für den Umbau der Gerichtstraße habe die Verkehrsbehörde im Übrigen nicht im Alleingang gemacht, betont Krämer, sondern unter Bürgerbeteiligung. Eine „Onlinebefragung ergab explizit diesen höheren Bedarf und Wunsch an Fahrradabstellmöglichkeiten vor Ort“, sagt der Sprecher.

Perspektivisch soll auch die Haubachstraße zu einer Fahrradstraße umgebaut werden und die Veloroute in nördlicher Richtung weiter gen Holstenplatz führen. Die Arbeiten an der Route zum Anschluss der Gerichtstraße an die Max-Brauer-Allee sollen außerdem noch in diesem Frühjahr beginnen. Von dort aus würde die fahrradfreundliche Strecke bis zum Bahnhof Altona führen.