Hamburg. Hamburger klagen über Verschmutzung, Belästigungen und Trinkgelage am Bahnhof Altona. Politiker wollen runden Tisch bilden.
Seit Monaten verfolgen Altonas Bezirkspolitiker den rapiden Niedergang des Bahnhofs – jetzt reicht es ihnen. In einer groß angelegten Aktion wollen sie vor Ort einen runden Tisch initiieren und die Bahn, wie es heißt, „in die Verantwortung zwingen“. Das Thema steht am kommenden Donnerstag auf der Tagesordnung der Bezirksversammlung. Der vielsagende Titel des Antrags, den CDU und SPD einbringen: „Schluss mit Gestank und Vermüllung am Altonaer Bahnhof“.
Hunderte von Beschwerden habe es in den vergangene Monaten zu dem Thema gegeben, berichtet der Altonaer CDU-Fraktionschef Sven Hielscher. Das gelte für die klassischen Bürgergespräche, aber auch für Anhörungen zu ganz anderen Themen. „Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht auf die Zustände im und am Bahnhof angesprochen werden“, sagt Hielscher.
Reisende berichten von ungeheuerlichen Zuständen
Das bestätigt SPD-Fraktionschef Thomas Adrian, der auch einen Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Krise sieht. „Die Menschen sind bei Themen wie Sauberkeit und Belästigungen durch Fremde deutlich sensibler“, so Adrian. „Wer das spießig findet, hat keine Ahnung. Das Freiheitsgefühl Einzelner kann man ja nun nicht gleichsetzen mit einem Bekenntnis zu Müll und Gestank.“
Eine der vielen empörten Bürgerinnen ist Regine Drinkuth aus Groß Flottbek. „Kürzlich haben wir meine betagte Mutter am Bahnhof abgeholt und sind dann in den Parkhaus-Fahrstuhl gestiegen“, berichtet Drinkuth. „Die Zustände dort sind ungeheuerlich. Man klebt mit den Schuhen am Boden fest, und der Gestank war so schlimm, dass wir uns fast übergeben mussten.“
Bahnhof Altona ist Visitenkarte der Stadt
Laut Regine Drinkuth würden sich anreisende Freunde und Verwandte immer wieder über die Zustände vor Ort beschweren. Sie kritisiert, was auch die Bezirkspolitiker laufend zu hören bekommen: „Dieser Bahnhof ist eine Visitenkarte für die Stadt, und viele unserer Besucher von auswärts denken, dass es überall in Hamburg so aussieht.“
Die gesammelten Beschwerden der verärgerten und auch verunsicherten Bahnhofsbenutzer sind vielfältig – und immer gleich. Es geht um die Belästigung von Passanten durch alkoholisierte Gruppen, die an den Eingängen herumhängen, und um „wildes Urinieren“ im gesamten Bahnhofsbereich. Auch exzessive Trinkgelage und Handgreiflichkeiten zwischen alkoholisierten Obdachlosen seien immer häufiger zu beobachten.
Familien mit Kindern nutzen den Tunnel nicht mehr
Besonders übel sei es im Tunnel zwischen der Großen Bergstraße und dem Einkaufsbereich des Bahnhofs, in dem Obdachlose den Beschwerden zufolge immer wieder ihre Notdurft verrichten. Zunehmend, so ist zu hören, sei auch der Eingang zur Ottenser Hauptstraße von Verschmutzung betroffen. Wörtlich steht in dem Antrag für die Bezirksversammlung: „Gestank und ein gestörtes Sicherheitsempfinden führten dazu, dass Familien mit Kindern sich mittlerweile weigern, den Tunnel zu nutzen.“
Die Altonaer FDP-Chefin Katarina Blume, deren Fraktion den Antrag unterstützen wird, weist auf einen weiteren Punkt hin. „Mir ist in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht worden, wie außerordentlich belastend dieses Umfeld für die Betreiber und Beschäftigten der umliegenden Geschäfte ist“, so Blume. „Bezirksamt und Bahn scheinen sich leider aber nicht sonderlich dafür zu interessieren.“
Bezirkspolitiker wollen runden Tisch bilden
Anstatt einen schlichten Forderungskatalog an die Adresse der Bahn zu richten, wollen die Bezirkspolitiker nun einen runden Tisch bilden, an dem alle Verantwortlichen zusammensitzen sollen. Neben dem Parkhausbetreiber, Politikern und Gewerbetreibenden geht es ihnen vor allem darum, Vertreter der Bahn unmittelbar vor Ort mit den Zuständen zu konfrontieren. „Wir wollen, dass die Bahn hier in Hamburg Farbe bekennt“, sagt Sven Hielscher, „schließlich ist sie kommunaler Dienstleister.“
In ihrem Antrag fordern die Politiker das Altonaer Bezirksamt jetzt zum Handeln auf. Eine erste Maßnahme: Das Amt soll dafür sorgen, dass der Betreiber der öffentlichen Toiletten im Mittelgeschoss diese täglich durchgehend 24 Stunden lang geöffnet lässt – für den zweitgrößten Bahnhof einer Millionenstadt eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
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Außerdem fordern die Politiker, dass das Bezirksamt im Gespräch unter anderem mit Bahnvertretern und dem Betreiber des Parkhauses für eine „umfassende und wiederholende Reinigung“ aller verschmutzten Bereiche im Bahnhof, dem Parkhaus und auch an den Zugängen sorgt. Zu weiteren Punkten gehören die soziale Begleitung und Beratung der Obdachlosen beziehungsweise Trinker vor Ort durch mobile Teams, die Erstellung eines neuen Reinigungs- und Pflegekonzepts und die Schaffung eines Service Points mit der Möglichkeit der direkten Ansprache. Auch ein neues Beleuchtungskonzept für Teile des Bahnhofs wird angeregt.
Lässt die Bahn vor geplantem Umzug die Zügel schleifen?
Einige Bezirkspolitiker fürchten, dass die Bahn die Zügel vor Ort auch wegen der geplanten Verlegung des Fernbahnhofs nach Diebsteich schleifen lässt. „Die Verlegung ist kein Grund, dass Hamburgs zweitgrößter Bahnhof verwahrlost“, steht dazu in dem Antrag. „Als Aushängeschild und verbindendes Element zwischen der Großen Bergstraße und Ottensen kommt dem Bahnhof eine besondere Bedeutung zu.“
Wie Altonas Grüne über den Antrag am Donnerstag abstimmen werden, ist zurzeit noch offen. „Ich bin kürzlich vor Ort gewesen und war entsetzt über die Zustände im Parkhaus“, sagt Fraktionschefin Gesche Boehlich dem Abendblatt. „Da besteht unbedingt Handlungsbedarf.“ Für den künftigen Umgang mit den Obdachlosen vor Ort plädiert Boehlich aber für eine Überweisung dieses Antragteils in den Sozialausschuss. „Wir sollten versuchen, den Antrag zu splitten“, so Boehlich.