Hamburg. Innenbehörde äußert viele Bedenken gegen die angedachte Umwandlung in Ottensen. Es geht vor allem um die juristische Bewertung.

Die Drucksache 21-1010 verbirgt sich hinter Punkt 13.29 der Tagesordnung mit dem Titel „Autoarmes Ottensen: Verkehrswende gemeinsam gestalten“. Am Donnerstag wird die Bezirksversammlung im Altonaer Rathaus über das Papier beraten. Klar ist schon jetzt: Das im besten Verwaltungsdeutsch formulierte Schreiben der Innenbehörde wird nicht nur in Ottensen die Diskussion um die Verkehrswende befeuern.

Zur Erinnerung: Am 1. September 2019, also vor fast genau einem Jahr, startete der Verkehrsversuch „Ottensen macht Platz“. Für ein halbes Jahr sollten nur Anwohner mit einem Stellplatz im Quartier, Taxifahrer sowie zu bestimmten Zeiten Lieferanten noch in das Quartier fahren dürfen.

Bereits vor dem Start gab es massiven Streit – zahlreiche Gewerbetreibende bangten um Kunden, Bewohner um die Chance, Einkäufe oder Gepäck wie gewohnt vor der Haustür ausladen zu können. Der Krach eskalierte in gegenseitigen Beschimpfungen – und endete vor dem Verwaltungsgericht, das den Eilanträgen von zwei Gewerbetreibenden gegen den Verkehrsversuch stattgab. Im Februar musste das Projekt vorzeitig abgebrochen werden.

Autoarmes Ottensen: Behörde hat vor allem bei Ausnahmegenehmigungen Bedenken

In einer hitzigen Debatte beschlossen Grüne und CDU am 20. Februar mit ihrer Mehrheit, dass das um mehrere Straßen erweiterte Projektgebiet „autoarm“ umgestaltet werden soll. Taxis, Anlieger mit privaten Stellplätzen sowie Lieferanten könnten die Straßen weiter nutzen, „Gewerbe, wie z. B. Kfz-Werkstatt und Tischlerei, sollen weiterhin erreichbar bleiben“. Die SPD warb vergebens um zeitlichen Aufschub und eine vorübergehende Tempo-30-Zone. Auch die Anträge der Linken („ganzheitliche Lösung mit Nahverkehr“) und der FDP (Verweisung in den Verkehrsausschuss) fanden keine Mehrheit.

Das Schreiben der Innenbehörde dürfte es CDU und Grünen nicht einfacher machen, das Projekt umzusetzen. Vor allem bei den angedachten Ausnahmegenehmigungen hat die Behörde Bedenken: Es gebe dann „keine offensichtlichen Verstöße“ mehr, sondern ständige Prüfungen von Einzelfällen. Wer darf noch mit dem Auto rein? Und wer nicht?

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Vor dem Hintergrund der Niederlage vor dem Verwaltungsgericht rät die Behörde zudem, bei einer möglichen Umwidmung von Straßen „eventuell geführte Rechtsstreitigkeiten“ abzuwarten. Die Straßenverkehrsordnung gebe ein „entsprechendes Instrumentarium“ für die „angestrebte Mischung der Verkehrsarten“ nicht her.

Wenn jetzt Ottensen erneut als Mobilitätslabor herhalten soll, muss diesmal alles besser werden!

Auch eine Ausweisung als Fußgängerzone sei juristisch mit den gewünschten Ausnahmen unrealistisch: „Der Vorrang des Fußgängers wird eindeutig hervorgehoben. Eine Nutzung durch andere Verkehrsarten, sprich dem „Fahrverkehr“, hat restriktiv zu erfolgen, ist rechtlich als „untergeordnet“ einzustufen und „nur in Schrittgeschwindigkeit zulässig.“ Die generelle Freigabe von Taxis stehe „rechtlich nicht im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben einer Fußgängerzone“. Die Behörde verweist zudem auf drohende „Verdrängungsverkehre in Nebenstraßen“.

Kommentar: Präzision vor Tempo - Verkehrswende muss gut geplant werden

„Uns als SPD war schon im Vorweg klar, dass der Antrag der Grünen schwierig umzusetzen ist“, sagt Mithat Capar, Distriktvorsitzender der SPD Ottensen. Auch Katarina Blume, Fraktionschefin der FDP Altona, verweist darauf, dass man „die Bedenken der Behörde, insbesondere in Hinblick auf die Kontrolle der Zufahrtsberechtigungen“, schon vor dem Versuch geäußert habe: „Wenn jetzt Ottensen erneut als Mobilitätslabor herhalten soll, muss diesmal alles besser werden!“ Man brauche ein „vorab erstelltes schlüssiges Verkehrskonzept auf Basis weitreichender Bürgerbeteiligung“.

Grüne und CDU wollen den großen Wurf

Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass eine klare Mehrheit der Anwohner nach einer Studie der TU Hamburg ein autoarmes Quartier befürwortet. Tim Schmuckall, stellvertretender Fraktionschef der CDU Altona, verweist denn auch auf die „große Zustimmung der Ottenserinnen und Ottenser“. Er fordert, dass „vonseiten des Senats nun endlich die personellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden kann“. Schon während des Verkehrsversuchs sei absehbar gewesen, „dass die Instrumente der Straßenverkehrsordnung gegenwärtig nicht ausreichen, um dem Wunsch und den Herausforderungen nach einer urbanen Verkehrsgestaltung in dicht besiedelten Quartieren vollumfänglich gerecht zu werden“.

Es sei daher auch möglich, dass „konkrete Vorschläge für eine spätere Anpassung der Straßenverkehrsordnung herausgearbeitet werden“. Im Übrigen sei immer klar gewesen, „dass das ein langer und mühsamer Weg wird“. Dieser Weg dürfte auch teuer werden. Denn Grüne und CDU wollen den großen Wurf: Neues Kopfsteinpflaster, abgesenkte Bürgersteige, neue Grünflächen, mehr Fahrradbügel. Dieser Aufwand dürfte in die Millionen gehen, aus den Mitteln des Bezirksamts nicht zu finanzieren. Die Frage bleibt, ob Senat und eventuell der Bund aus entsprechenden Fördertöpfen dies stemmen können. Mithat Capar hat angesichts der Corona-Schulden Bedenken: „Aufgrund der derzeitigen Mehrbelastung des Haushalts sehe ich da eine weitere Hürde.“