Blankenese. Das berühmte Multitalent, lebt seit knapp einem Jahr an der Elbe – und unterrichtet Musical an der Stage School in Ottensen.
Beim Treffen am Blankeneser Marktplatz fällt es sofort auf: Diese Frau lässt niemanden kalt. Da sind diejenigen, die ihr Grüße zurufen – „Hi Helen, geht’s gut?“ Und dann die anderen, die sich gegenseitig anstupsen, die auffällig-unauffällig beobachten. „Das ist doch …“ Ja, das ist sie: Helen Schneider. Ein echter Weltstar. Rock hat sie gesungen, Jazz und Kurt Weill. Musicals wie „Evita“ und „Sunset Boulevard“ hat sie ihren Stempel aufgedrückt, mit Udo Lindenberg war sie auf Tournee. Unglaubliche 40 Jahre ist sie schon im Geschäft, ihre Welthits „Rock ’n’ Roll Gypsy“ und „Hot Summer Nites“ sang sie Anfang der 1980er. Als „musikalisches Chamäleon“ wurde sie mal bezeichnet, aber die attraktive, lebhafte Künstlerin ist auch Buchautorin und Dozentin.
Die New Yorkerin wechselt immer wieder ins Englische
Schneider, sexy Stimme und amerikanischer Akzent, hat die Ausstrahlung eines Stars – aber eines bodenständigen, freundlichen. Über ihr Alter, das man ihr nicht ansieht, spricht sie gelassen – „ist ja auch überall nachzulesen“. Kerzengerade und konzentriert sitzt sie bei einem Cappuccino im Café Chez Wilma, ihr blauer Pullover ist bis zum Schlüsselbein ausgeschnitten. Mal nickt sie zum Nebentisch rüber, mal winkt sie durchs Fenster jemandem auf der Straße zu. Die gebürtige New Yorkerin, die im Gespräch immer mal wieder in ihre Muttersprache wechselt, lebte mit ihrem mittlerweile verstorbenen Lebensgefährten George Nassar lange in Connecticut und in der Provence. Die Erinnerungen an „my George“ trägt sie immer in sich, kurz huscht ein Schatten über Schneiders sonst so leuchtendes Gesicht. „I don’t know, alles hat einen Sinn.“ Nun also Blankenese.
Der Umzug von Berlin an die Elbe hängt mit ihrer Arbeit als Dozentin an der Stage School zusammen, die ihren Sitz in Ottensen hat. Als das Angebot kam, überlegte Schneider nicht lange, vor allem, weil sie Abwechslung liebt und regelmäßig neue Herausforderungen braucht. „Ich bin ein Veränderungskind“, sagt sie, „ich brauche immer mal wieder die innere Renovierung.“ Entsprechend behagt ihr die Frage nicht, welche Karriere-Phase ihr am meisten Spaß gemacht hat. „Das ist Quatsch“, so Schneider mit wegwerfender Handbewegung. „Alles hat zu seiner jeweiligen Zeit Spaß gemacht und war richtig, sonst hätte ich ja jedes Mal sofort wieder aufgehört.“ Sich zu einem Job zu quälen ist nichts für diese Künstlerin, die auch eigensinnig sein kann. „Druck, Angst und Verdruss – das alles zerstört meine Kreativität.“
Pendlerin zwischen Melancholie und Autorität
Ursprünglich hatte sie geplant, zwischen ihrer damaligen Berliner Wohnung und Ottensen zu pendeln, aber das erwies sich auf Dauer als zu stressig. Mit ihrer Jugendfreundin Linda Uruburu, die auch Co-Autorin ihrer zwei Kinderbücher ist, lebt sie seit dem vergangenen Sommer in einer Altbauwohnung nicht weit entfernt vom Bahnhof. „Wir sind zwei ältere Fräulein in einer großen Wohnung“, sinniert sie mit einem Mix aus Koketterie und Melancholie. Mit von der Partie ist auch Mops „Yasmin“, 14 Jahre alt und vermutlich „nicht mehr so lange mit uns“. In Blankenese hat sie sich „das erste Fahrrad seit 25 Jahren“ zugelegt, die langen Elb-Spaziergänge haben für sie auch etwas Meditatives, versichert sie.
Ortswechsel. In der Musicalklasse der Stage School kommt jetzt Helen Schneider, die Dozentin, zum Einsatz. Schon im Flur ,,ist immer wieder ihr Name zu hören. „Helen ist hier hoch angesehen“, berichtet Pressesprecherin Annette Bär, „alle schätzen ihren Unterricht.“ Die so Gepriesene unterrichtet eine Masterklasse, sitzt zwischen ihren acht Schülerinnen auf einem einfachen Holzstuhl an der Wand. In coolem schwarzen Leder-Hosenrock, wirkt sie mit offenem Blick und zurückhaltenden Bewegungen zugleich zugewandt und etwas distanziert – die richtige Mischung für guten Unterricht. Ihren Coffee-to-go-Becher stellt sie mit Beginn der Arbeit sofort unter den Stuhl, los geht’s.
„Du lagst falsch. Wen kümmert’s?“
Als Ann-Sophie auf die Bühne tritt und zu singen beginnt, ist Schneider, die nun mit durchgedrücktem Rücken an die äußerste Stuhlkante rutscht, voll konzentriert. Zum Spiel von Pianist Mike singt die junge Frau das Stück „Neue Wege“ aus „Addams Family“ – Dozentin Schneider bewegt gelegentlich die Lippen zum Text. Was dann folgt, ist das Auf und Ab, das alles Lernen mit sich bringt. Manches klappt optimal, manches weniger. Mal ist Ann-Sophie unzufrieden, mal Helen. Neben dem Gesang geht es dabei auch immer wieder um die Interpretation der Figur. „Wie ist ihr Verhältnis zur Mutter, was ist die Alternative? Tell me.“ Als die Studentin verzagt wirkt, schlägt Schneider zuversichtliche Töne an: „Oh, come on. You made a mistake. Who cares?“
Am Nachmittag macht sich Helen Schneider auf den Heimweg. Sie tritt mit fließenden Bewegungen in die Sonne, zieht den Schal enger. In Hamburg ist sie angekommen – aber das heißt nicht, dass die Reise nicht schon bald weitergehen könnte. „Mal sehen, was kommt“, sagt sie, „ich lege mich da nicht so fest.“ Alles sei eben permanent im Fluss – „und ich bleibe auch nicht stehen.“