Gesang, Tanz, Schauspiel in drei Jahren: Für die Chance, berühmt zu werden, müssen die Eleven der Stage School sich quälen. Eine Reportage von Alexander Schuller und Roland Magunia (Fotos).

Nein, nein, nein. Gleich noch mal! Mach es doch bitte groß!“ Karin Frost-Wilcke ist unerbittlich. „Du musst dich detaillierter aufregen. Du musst dich in die Figur hineindenken. Frag dich, in welcher Grundstimmung du bist!“ Die erfahrene Schauspiellehrerin durchbohrt die Elevin vor ihr mit ihren Blicken.

„Ich bin traurig, aber hoffnungsvoll“, sagt Nadine König unsicher, „ich will ganz viel erleben!“ Sie bringt sich erneut in Position. Karin Frost-Wilcke nickt. „Genau“, sagt sie und gibt der Pianistin ein Handzeichen, „und los!“

Einen Moment später klingt der Song „Die Welt, die ich nie sah“ aus dem Musical „Sister Act“ durch den Klassenraum der Stage School in Ottensen, der ältesten deutschen Musicalschule. Es ist der fünfte Versuch der 20-Jährigen, mit ihrer Interpretation dieses Songs, der von der inneren Zerrissenheit einer jungen Nonne handelt, die Herzen der Zuhörer in einem Musicaltheater zu öffnen. Zunächst aber bloß die Herzen von Karin Frost-Wilcke und den Mitschülerinnen, die jede Bewegung Nadines genau beobachten. Atemlos und konzentriert. Und wenn es diesmal klappt, wäre das schon mal ein gelungener Anfang.

„Ich war niemals frech, / Ich kam nie zu spät / Hab immer gehorcht, / Vergaß kein Gebet / Hab nie was gewagt, / Nie Träume gejagt / Mich niemals beklagt / Und blieb still...“

„Noch ’ne Schippe drauf!“, fordert Karin Frost-Wilcke. Sie erhebt sich und geht Nadine ein paar Schritte entgegen. „Überzeug mich!“

„Und all diese heimlichen Wünsche / Die, die ich mir bewahr, / Sind nur noch der Rest / Dieser Welt, die ich nie sah!“

„Ja! Genau so!“, sagt die Ausbilderin, „prima. Die Nächste!“

Gut 20 Minuten hat Nadines Lektion im Kurs „Liedinterpretation“ gedauert. Auf ihrer Stirn stehen Schweißperlen. Sie wirkt erleichtert, fast ein wenig erschöpft. Denn Singen kann verdammt anstrengend sein. Und richtiges Singen erst recht, vor allem, wenn man dazu noch überzeugend schauspielern muss. „Herz“, sagt Karin Frost-Wilcke, „es geht immer nur ums Herz. Denn das Publikum spürt es ganz genau, wenn da jemand bloß ein Liedchen hübsch trällert oder aber wenn dieser jemand genau weiß, wovon und warum und wie er das Lied singt. Eine gute Stimme allein reicht nicht.“

Vielleicht in der Oper, aber nicht fürs Musical, diese vergleichsweise junge Theaterform, die vermutlich zu Unrecht noch immer im sogenannten „U“-Bereich der Kultur angesiedelt ist und von den „E“-Kritikern eher naserümpfend gerade mal registriert wird. Denn die wahre Kultur, so das hartnäckige Vorurteil hierzulande, müsse schließlich „E“ sein – „E“ wie ernsthaft. Dass Musicals sich seit Jahren quer durch alle Bevölkerungsschichten höchster Beliebtheit erfreuen, dass sie pro Jahr mehr Zuschauer anziehen als alle deutschen staatlichen Bühnen zusammen (oder die Fußballbundesliga) und dass sie für viele Städte inzwischen einen unverzichtbaren, weil extrem lukrativen Teil des Tourismusgeschäfts darstellen, übersehen die Gralshüter der Kultur gern.

Hamburg gilt als Musicalhauptstadt der Republik (und in der Welt hinter New York und London als die unbestrittene Nummer drei), seitdem ein gewisser Friedrich Kurz 1986 das Musical „Cats“ im Operettenhaus zur Aufführung brachte und den Beginn eines regelrechten Hypes einläutete, in dessen Sog bis heute nicht nur fünf große Musicaltheater entstanden, sondern sich 1987 in einem Hinterhof in der Poolstraße in der Neustadt auch die Stage School etablierte – die übrigens nichts mit dem niederländischen Musical-Konzern Stage Entertainment zu tun hat, dessen deutsche Dependance in der Speicherstadt residiert.

Thomas Gehle, 56, der fast von Anfang an als Kaufmann mit dabei gewesen ist und heute als geschäftsführender Alleingesellschafter der Stage School firmiert, kann sich gut an die Anfangsjahre erinnern: „Unser erster Tanzsaal besaß Säulen, und die Deckenhöhe war für engagierte Sprungübungen viel zu niedrig. Wir mussten schon bald weitere Räume in der näheren Umgebung anmieten.“ Denn bereits ein Jahr nach der Premiere von „Cats“ suchte man nun händeringend nach deutschsprachigen Darstellern, die über eine dreigleisige Ausbildung in Tanz, Gesang und Schauspiel verfügten, die es damals de facto jedoch noch nicht gab. Aber Musicals würde es bald geben, überall. So wurde für viele junge Künstler die Hamburger Stage School der erste Schritt auf dem Weg zum Ruhm – und einige schafften es auch wie Ralf Bauer, Anna Loos, Oceana Mahlmann, Thomas Borchert, Fabian Harloff, Lucy Diakowska (No Angels) oder Anna Montanaro.

Andererseits aber stand die junge Schule trotz wachsender Schülerzahlen ein paarmal vor dem Aus. Denn gute Dozenten haben ihren Preis, und auch die gesamte Einrichtung sowie die Unterrichtsmaterialien gibt es nicht geschenkt. Und so waren es nicht nur die Darsteller, die für ihre Sache brennen mussten. „Ein paarmal haben wir unsere Leute mit Münzrollen ausbezahlen müssen“, sagt Gehle, der daraufhin versuchte, der ständigen Finanznot mit einem schuleigenen Fitnessstudio im Keller entgegenzutreten – weil Tänzer nun mal Muskeln benötigen. Gleichzeitig machte er die Geräte auch der Öffentlichkeit gegen Gebühr zugänglich. „Aber die Stage School gehört noch immer der Bank“, seufzt Gehle, „es ist in jedem Jahr aufs Neue ein Ritt auf einer Rasierklinge.“

Vor 18 Monaten ist sie nach Ottensen umgezogen, in ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Deutschen Bahn. Auf 4000 Quadratmetern verfügt sie jetzt über eine großzügige Probenbühne, sieben Tanzräume, zwölf Multifunktionsräume – alle mit einem Klavier ausgestattet – sowie über acht schalldicht isolierte Gesangszimmer. Darüber hinaus gibt es nach wie vor ein hauseigenes Fitnessstudio inklusive Sauna sowie mehrere „Relax-Zonen“ mit großformatigen Kuschelkissen und Sofas, auf denen sich zu jeder Tages- und Nachtzeit immer ein Dutzend Studenten fläzt. Die favorisierten Plätze sind aber diejenigen vor den Automaten mit Limonade und Snacks vorm Eingang in der ersten Etage, der mit einem elektronischen Drehkreuz gesichert ist: Ohne Chipkarte erhält niemand Zutritt.

Von irgendwoher hört man einen kleinen Chor, kreischt eine Stimme das hohe C, vernimmt man das Ächzen, Rumpeln und Trampeln einer Ballettklasse. Den Gang hinunter üben ein paar angehende Tänzerinnen Schrittfolgen ein. Es ist gerade etwas eng auf den Fluren, denn es hat noch niemand Zeit dafür gefunden, ein paar große Kleiderstangen mit den Original-Broadway-Kostümen des Musicals „Hairspray“ wegzuräumen, die von einem großen Event- und Konzertveranstalter im Rhein-Neckar-Raum gespendet wurden – für die Jahrgangs-Abschlussproduktion, auf die jeder Eleve drei Jahre hinarbeitet. Und dafür rund 7000 Euro Schulgeld pro Jahr zahlt.

Der Stundenplan ist dicht gedrängt, die Kurse sind nach verschiedenen Leistungsklassen eingeteilt und verschieben sich mal hierhin, mal dorthin, das Informationsbrett ist daher häufig dicht umlagert. Saskia Kiselowa, eine ehemalige Primaballerina aus St. Petersburg, unterrichtet „Modern Dance, Ballett und Hip-Hop“ in der C-Leistungsklasse der besseren Schauspieler und Sänger. Die besondere Schwierigkeit: Die Tänzer müssen Schrittfolgen auf hohen Absätzen lernen – als Vorbereitung auf spätere Rollen und weil es den Gleichgewichtssinn und das Körpergefühl fördert.

Alex, 19, aus dem aktuellen zweiten Jahrgang schlüpft ganz selbstverständlich in die Tanzschuhe mit den hohen Absätzen. Ein junger Mann, allein unter Frauen, auf High Heels. Aber niemand lacht. Warum auch: Sie sind alle gleich, sie sind hungrig, sie wollen etwas lernen – und Saskia Kiselowa gibt richtig Gas. Aus den Lautsprecherboxen dröhnt Joe Cockers „You Can Leave Your Hat on“, während die gebürtige Russin eine Figur an die andere reiht, die dann von den 15 Tänzerinnen und einem Tänzer in Gruppen zu viert vor der Spiegelwand nachgetanzt werden müssen.

Tanzen ist Kopfarbeit. Es strengt nicht nur den Körper an, sondern auch das Gedächtnis. Das Unterrichtstempo entspricht dem, das auch später im Job von Darstellern gefordert wird. Für die Grundzüge einer neuen Choreografie veranschlagt sie gerade mal 15 Minuten, „die Feinheiten“, sagt sie, „kommen dann später!“ Alex schlägt sich tapfer, während die 20-jährige Kiko ein wenig Mühe hat, den einzelnen Schrittelementen zu folgen. Saskia Kiselova findet es aber ganz prima, dass Kiko deshalb einfach unaufgefordert in jeder der vier Gruppen mittanzt, bis auch sie die kurze Choreografie verinnerlicht hat.

„Uns wird ja häufig vorgeworfen, wir nähmen zu viele Schüler an, weil wir Dollarzeichen in den Augen haben. Aber das ist Quatsch“, sagt Thomas Gehle, „wir haben die Klassen verkleinert und trotzdem mehr Dozenten. Wir ‚produzieren‘ garantiert nicht mehr Künstler, als gebraucht werden.“ Natürlich würden sie jedoch niemanden rausschmeißen. „Es gibt immer welche, die sind langsamer. Andere wiederum brauchen irgendwann einen Tritt – und einigen legen wir dann doch nahe, lieber nicht zur Prüfung anzutreten.“ Selbstverständlich dürften sie aber die Prüfung nach einem Jahr wiederholen – wenn sie eine Möglichkeit finden, weiter für sich selbst zu trainieren.

Der Mühsal, der sich diese jungen Leute unterziehen, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen hat der britische Regisseur Alan Parker vor 35 Jahren mit „Fame – der Weg zum Ruhm“ ein filmisches Denkmal gesetzt. Und darin findet sich wohl eine der berühmtesten Tanzszenen der Musikfilmgeschichte: Der junge Musiker Bruno hat einen Song („Fame“) für die Tänzerin Coco komponiert, mit der er sich angefreundet hat. Sein Vater, ein New Yorker Taxifahrer, ist so stolz auf seinen Sohn, dass er sein Taxi mit Lautsprecherboxen ausrüstet und vor die (fiktive) „High School of Performing Arts“ fährt, wo er „Fame“ abspielt. Daraufhin kommen die Schüler aus der Schule und tanzen auf der Straße und auf dem Dach des Taxis:

„Fame – / I’m gonna make it to heaven, / Light up the sky like a flame...“

Der Song wurde ein Welthit. Doch von allen jungen Tänzern und Sängern, die mitwirkten, erfüllte sich lediglich für die Hauptdarstellerin Irene Cara auch der Traum von der Weltkarriere. Denn der „Weg zum Ruhm“ ist steinig, hart, entbehrungsreich, nicht selten auch brutal und ungerecht – und manchmal benötigt man auch das Quäntchen Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Weil sich daran im Prinzip nichts geändert hat, kann man sagen, dass ‚Fame‘ zu 100 Prozent auch in unserer Stage School steckt“, sagt Anja Launhardt, 46, die Anfang der 80er-Jahre im Theater an der Wien ihre Ausbildung zur Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin absolvierte. Es war die erste Hochschule für Musicals in Europa, gegründet vom visionären Peter Weck. Jetzt, nach 14 Jahren erfolgreicher Bühnenkarriere, gibt sie als eine von 70 Dozenten ihre Erfahrungen an die Studenten der Stage School weiter. „Es gibt immer Persönlichkeiten, die haben dieses besondere Charisma – ihren eigenen Kopf.“ Die energisch wirkende Frau, die ihre Stimme aus dem Stand heraus mal eben über dreieinhalb Oktaven hinauf und hinunter jubilieren lassen kann, hat inzwischen Tausende von Musicalstudenten ausgebildet. Bei vielen aber bleibe es meist nur beim Versuch, sagt sie.

So hatten sich rund 1500 junge Leute vor vier Jahren für den Studiengang beworben, der mit dem Musical „Hairspray“ sein Abschlussprojekt finden sollte. 100 Bewerber wurden angenommen, aber nur 26 sollten am Ende die Abschlussprüfung bestehen. „Aber man darf nicht übersehen, dass wir in diesem Jahrgang überdurchschnittlich viele Talente hatten, die bereits aus dem dritten Jahr heraus direkt ein Engagement erhalten haben“, sagt Anja Launhardt. „Und alle, die es geschafft haben, gehören zu denjenigen, die sich von der Scheinwelt der Castingshows nicht vorgaukeln lassen, dass man eigentlich kaum was können muss, um perfekt zu sein.“ Dabei seien Tanz, Schauspiel und Gesang jeweils ein Handwerk für sich. Und man brauche ein „körperliches Zentrum“, aus dem heraus alles entsteht.

Zwei, die sich durchgebissen haben, sind die 21-jährigen Zwillinge Alina und Emilia Wellbrook. 14-Stunden-Tage waren für die hübschen jungen Frauen die Regel. Sie wuchsen in Elmshorn auf, immer am unteren Limit. Die Ehe ihrer Eltern ging schief, und ihre ukrainische Mutter musste die Zwillinge alleine durchbringen. „Bis meine Mutter ihre Ausbildung zur Visagistin absolviert hatte, lebten wir von Sozialhilfe. Alina und ich haben neben der Schule Zeitungen ausgetragen und überhaupt jeden Job angenommen. Das Geld wanderte dann in die gemeinsame Haushaltskasse. Aber es gab Zeiten, da haben wir regelrecht gehungert“, sagt Emilia.

Sie war gemeinsam mit ihrer Schwester über einen Workshop in die Stage School hineingerutscht und hatte daraufhin ihre Ausbildung zur Arzthelferin abgebrochen. „Ich habe schon immer gerne gesungen“, sagt sie. Ihre Schwester Alina habe sogar schon vor ihrer Prüfung ein festes Engagement für das Musical „Grease“ erhalten. Sie toure jetzt durch Deutschland.

„Insgesamt kann man sagen, dass die meisten derjenigen, die ihre dreigleisige Ausbildung durchziehen, am Ende gut von ihren Engagements leben können – nicht nur vom Musical, sondern auch als Schauspieler oder Sänger“, sagt Anja Launhardt. Denn neben der Musical-Zentrale Hamburg hätten inzwischen auch die meisten staatlichen Bühnen landauf, landab in Zeiten der chronischen Finanznot ihre Scheu vorm „federleichten Kulturstoff“ Musical abgelegt. Und dank des Kreuzfahrtbooms sind Dutzende neuer Bühnen auf den schwimmenden Hotelpalästen entstanden, die professionell bespielt werden wollen. Allein im neuen Aida-Entertainment-Haus auf St. Pauli laufen auf sieben Etagen alle Fäden des gesamten Unterhaltungsprogramms der Aida-Flotte zusammen. „Kein Unternehmen in Europa produziert mehr Live-Unterhaltung am Tag als wir“, sagt der zuständige Geschäftsführer Borris Brandt, „nämlich 2760 Minuten oder 46 Stunden am Tag. Über 800 Kollegen an Bord sorgen für beste Unterhaltung. Und das alles entwickeln wir hier in Hamburg – mit höchsten Ansprüchen an Qualität und Vielfalt.“

Qualität kommt von Qual. Und Ioana Tzoneva, Gesangslehrerin an der Stage School, lässt nicht locker. Zum x-ten Mal muss die 19-jährige Ronja aus dem ersten Semester die Vokale in Oktaven runter- und wieder raufsingen. Neben ihr auf dem Klavier steht ein Laptop, das die Schwingungen misst. 1500 Hertz ist das mindeste, was Ronja erreichen sollte. Der Laptop ist unbestechlich. Die Dozentin auch. „Zu viel Vibrato! Zu viel Timbre! Halt dein Zwerchfell fest. Und was mit deinem ‚Ä‘? Pass bitte auf deine Zunge auf!“ Und noch einmal. Und wieder und wieder. A, E, I, O, U, Ä! Ioana Tzoneva erreicht annähernd 3000 Hertz, wenn sie ihre Stimme erhebt. Zu Ronja sagt sie nach der Übung: „Du bis nicht aggressiv genug in den Lippen, deshalb gehen deine Obertöne in den Keller – okay?“ Die Kommilitoninnen drum herum spenden Ronja trotzdem Applaus. Teamgeist ist die beste Medizin gegen frustrierende Erlebnisse. Zusammenhalt spornt an. Bis aus den Eleven Konkurrenten werden, die sich um Rollen bewerben, dauert es noch ein paar Jahre.

Einer wie Silvio Römer aus dem zweiten Jahrgang würde vor solch einer Casting-Jury wahrscheinlich niemals bettelnd im Bühnenstaub kriechen, sondern auf den Punkt sein Können abzurufen. Der 24-Jährige strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, aber das wirkt nicht unsympathisch, denn er entpuppt sich auch als Meister der Selbstironie. „Die Kombination aus Singen und Schauspiel hat mir schon als Animateur am meisten Spaß gemacht. Aber Tänzer? Ich bin Latino, ich bin doch eine Hete – also ein Mann!“, sagt er. Er kam über den Umweg als Animateur in einem ägyptischen Urlaubsresort an die Stage School, wo er eine Musicaldarstellerin kennengelernt hatte, „die mich für verdammt gut hielt! Aber ich glaubte anfänglich, Musical, also nee, das sei nichts für mich.“

Zur Aufnahmeprüfung reiste er trotzdem an. Und durfte bleiben, als „Methusalem“ der künftigen Abschlussklasse, wie er unkt. „Die Ausbildung hat mich rasch eines Besseren belehrt. Ich war überrascht, wie männlich, kraftraubend und anstrengend, der Beruf des Tänzers in Wahrheit ist – wenn man das wirklich professionell betreibt.“ Silvio, dessen Vater aus Kuba und dessen Mutter aus Oschatz in Sachsen stammt, baut darauf, dass in allernächster Zukunft „gestandene Männer“ für „energetische Hauptrollen“ wie zum Beispiel „Rocky“ gesucht würden. Aber natürlich genieße er seinen Status als heterogene Minderheit in einem von jungen Frauen dominierten Schulbetrieb. „Man muss wissen, was man kann und wo man steht“, sagt er ernst. Um dann laut loszulachen.

Beide, Emilia wie auch Silvio, wissen, dass sie diesen Job nicht ewig machen können. Irgendwann werden ihre Gelenke, Bänder und Sehnen die Belastungen nicht mehr aushalten. Sie wissen auch, dass der Beruf zu den sozial unverträglichen gehört. „Du stehst ja ständig unter Strom“, sagt Silvio, „ hast kaum Zeit, und abends sind immer Vorstellungen. Aber in zehn Jahren – dann bin ich 34 – werde ich ‚Rocky‘ sein!“