Hamburg. Verfahren neu aufgerollt: Die Angeklagten sollen nach der Besetzung eines Hauses an der Breiten Straße Polizisten verletzt haben.
Dieser Prozess, der noch gar nicht richtig begonnen hat, zehrt schon jetzt an den Nerven der Hamburger Justiz. Mindestens ein Jahr wird die Verhandlung gegen die sechs unter anderem wegen versuchten Totschlags angeklagten Hausbesetzer dauern. Ursprünglich startete der Prozess bereits Ende August unter extrem hohen Sicherheitsvorkehrungen, musste dann aber wegen eines Formfehlers bei der Schöffenbesetzung neu aufgerollt werden. Nachdem auch der erneute Beginn am 2. November wegen der Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten scheiterte, ist die Verhandlung am Montag in eine neue Runde gegangen: Im dritten Anlauf soll es nun endlich klappen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den fünf 20 bis 31 Jahre alten Männern und einer 18-jährigen Frau vor, Polizisten brutal angegriffen und verletzt zu haben, während die Hausbesetzer-Szene im August 2014 eine Art Aktionswoche veranstaltete, die sogenannten „Squatting Days“. In den vergangenen Jahren gab es kaum einen anderen Prozess in Hamburg, der politisch dermaßen aufgeladen war. Als es beim ersten Start Ende August zu Tumulten im Gerichtssaal kam, ließ der Vorsitzende Richter Georg Halbach den Saal räumen. Mitte Oktober dann griffen Sympathisanten mit Steinen und Farbbehältern das Gebäude des Hanseatischen Oberlandesgerichts an. Etliche Fensterscheiben gingen zu Bruch oder wurden beschädigt. Die Täter, bisher noch nicht ermittelt, hinterließen dabei Flyer mit Bezug zum „Squatting Days“-Prozess.
13 Polizisten waren bei Besetzung verletzt worden
Die Angeklagten sollen am 27. August 2014 ein leerstehendes Gründerzeithaus an der Breiten Straße 114-116 besetzt haben, das kurz vor Mitternacht von Bereitschaftspolizisten geräumt werden sollte. Dabei soll Stephan D., 31, ein Waschbecken zertrümmert und die Brocken vom dritten Stock aus auf die Beamten geworfen haben. Zwei weitere Angeklagte sollen eine Holztür aus den Angeln gehoben und in Richtung der Polizisten geschleudert haben. Außerdem prasselten Farbeimer, ein Feuerlöscher, illegale Böller und ein 91 Kilogramm schwerer Nachtspeicherofen in Richtung der Beamten. Allerdings konnte im letzteren Fall der Täter nicht ermittelt werden. 13 Polizisten wurden leicht verletzt, sie erlitten Prellungen, Atemreizungen und Knalltraumata.
Am Montag müssen die Zuschauer, den hohen Sicherheitsmaßnahmen geschuldet, zwar erneut die Sicherheitsschleuse am Nebeneingang Wallanlagen passieren. Doch diesmal verläuft der Prozessauftakt im „Hochsicherheitssaal“ des Strafjustizgebäudes ruhiger. Deutlich weniger Sympathisanten verfolgen die Verhandlung, und vor dem Gebäude demonstrieren nur rund 20 Unterstützer aus der linken Szene. Ansonsten liefert der erste Prozesstag einen Vorgeschmack auf die kommenden 52: Noch bevor die Anklageschrift verlesen wird, stellt die Verteidigung Anträge. So fordert Andreas Beuth, Top-Anwalt der linken Szene in Hamburg, eine Verlegung der Verhandlung in einen anderen Saal. Grund: Dass der Prozess im Hochsicherheitssaal des Strafjustizgebäudes stattfinde, erwecke den Eindruck, das Gericht sei voreingenommen. Zudem bemängelt die Verteidigung, sie habe nicht vollständig Akteneinsicht erhalten.
Solche Szenen dürften sich in den kommenden Monaten wiederholen: Beweisanträge, die vom Gericht geprüft werden müssen, immer wieder Verhandlungspausen, umfänglichste Zeugenvernehmungen durch die Verteidigung – das alles wird viel Zeit, Geld und Nerven kosten. Um sicherzustellen, dass der Mammut-Prozess beispielsweise durch Krankheitsfälle nicht noch einmal ausgesetzt und wieder aufgerollt werden muss, begleiten neben den drei hauptamtlichen Richtern und den zwei Schöffen ein Ergänzungsrichter und zwei Ergänzungsschöffen die Verhandlung. Auch vier Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe, die prüfen, ob mögliche Reifeverzögerungen bei den vier Heranwachsenden eine Verurteilung nach dem milderen Jugendrecht rechtfertigen, sitzen an jedem Verhandlungstag im Saal. Ein Urteil wird nicht vor dem 19. Dezember 2016 erwartet.