Erstmals haben sich die Besetzer der Roten Flora ausführlich zu den Vorgängen der letzten Wochen geäußert. Gespräche mit der Stadt halten sie für überflüssig. Schwere Vorwürfe gegen Polizei.
Hamburg. „Rote Flora bleibt unverträglich“ steht auf dem Plakat an der Wand. Das Motto des besetzten Kulturzentrums. An diesem Tag, an dem die Rotfloristen zu einer ihrer seltenen Pressekonferenzen geladen haben, ist es die zentrale Botschaft: Wir lassen uns nicht vertreiben, wir ändern uns nicht, wir distanzieren uns nicht generell von Gewalt, uns doch egal, wem das Gebäude gehört, Verhandlungen mit der Stadt sind überflüssig.
Kurz gesagt: Nach 24Jahren erfolgreicher Besetzung gebe es eigentlich keinen Grund, etwas zu ändern, sagt ein Sprecher. Eine bemerkenswert konservative Haltung für eine Gruppe, deren Fundament die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen ist und der Wunsch, diese zu verändern.
Doch um Gesellschaftspolitik, das räumen auch die Rotfloristen zerknirscht ein, geht es kaum noch dieser Tage. Über den Umgang der Stadt mit Flüchtlingen oder den Abriss der symbolisch aufgeladenen Esso-Häuser auf St. Pauli redet derzeit kaum jemand. Stattdessen geht es nur noch um Gewalt – den Gewaltausbruch am 21. Dezember mit Hunderten Verletzten, den Gewaltausbruch vom 28. Dezember an der Davidwache, die daraufhin eingerichteten größten Gefahrengebiete Hamburgs und die Rolle der Flora in der ganzen Gemengelage.
Ein Hauptanliegen der Aktivisten ist es daher, die Verantwortung für die Gewaltexzesse von sich zu schieben. „Die Polizei wollte die Demo gar nicht erst losgehen lassen“, sagt Flora-Rechtsanwalt Andreas Beuth über die große Demonstration am 21. Dezember. Aus seiner Sicht habe sich die Szene so abgespielt: Die mehr als 7000 Demonstranten hätten sich wie kurz zuvor mit der Polizei abgesprochen um 15.09 Uhr in Bewegung gesetzt. Doch die Polizei habe sie sofort gestoppt und auf sie „eingeschlagen und eingetreten“. Beuth betont: „Die Polizei hat die Demonstration angegriffen.“ Erst danach sei mit Steinen geworfen worden. Dass zu dem Zeitpunkt Dutzende Demonstranten schon faustdicke Steine in der Tasche hatten, dazu sagt er nichts.
Auch Eike Kohl vom selbst ernannten „Ermittlungsausschuss“ erläutert, dass es offensichtlich Strategie der Polizei war, die Lage schon am Schulterblatt eskalieren zu lassen. „Es kam den ganzen Tag zu Rechtsbrüchen der Polizei“, beklagt er und nennt als Beispiel einen „Kessel“, in dem mehr als 200 Menschen bis zu 13 Stunden festgehalten wurden. Außerdem seien verbotenerweise flächendeckend Pfefferspray und Schlagstöcke oberhalb der Schulter eingesetzt worden. 443 Personen seien durch die Polizei verletzt worden, davon 63 schwer, 40 seien in Notaufnahmen eingeliefert worden. „Selbst erfahrene Sanitäter waren über die Masse und das Ausmaß der Verletzungen schockiert“, so Kohl. „Dass nicht noch Schlimmeres passiert ist, ist allein den Teilnehmern der Demonstration zu verdanken.“ Diese Sichtweise weist die Polizei, die ihrerseits knapp 170 Verletzte beklagt, entschieden zurück. „Wir können die Beteiligten nur bitten, sich zu melden“, sagt Sprecherin Sandra Levgrün. „Dann wird untersucht, was an den Vorwürfen dran ist.“ Bislang habe sich niemand gemeldet.
Auch den Angriff auf die Davidwache am 28. Dezember, in dessen Folge ein Polizist nach einem Steinwurf Knochenbrüche im Gesicht erlitten hatte, stellt Beuth erneut infrage: „Es gab keinen gezielten oder geschlossenen Angriff auf die Davidwache.“ Hinter der aus seiner Sicht falschen Information vermutet er „politische Interessen“, eine bessere Ausstattung und bessere Bezahlung der Beamten etwa.
Dass die gesamte Hamburger Politik sich mittlerweile für den Erhalt der seit 1989 besetzten Flora ausspricht, dass der Senat dem Eigentümer Klausmartin Kretschmer nunmehr offensiv anbietet, das Gebäude für 1,1 Millionen Euro zu kaufen, das lässt die Rot-Floristen relativ kalt. Für sie ist zwar auch der Investor mit seinen Umbau- oder Verkaufsankündigungen der geistige Brandstifter. Aus Sicht von Beuth verstößt Kretschmer damit auch gegen den Vertrag, was der Stadt ein Rückkaufsrecht gibt. Aber eine Verbrüderung mit dem Senat, nein, das geht dann doch zu weit. Zwar distanzieren sich die Aktivisten von expliziten Gewaltaufrufen, aber das von Innensenator Michael Neumann (SPD) geforderte Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit als Voraussetzung für Gespräche wollen sie nicht geben. „Wir verstehen Militanz als Mittel autonomer Politik“, sagt Klaus Waltke von der Flora-Pressegruppe.
Ähnlich verhält es sich mit der Eigentümerfrage. „Es ist uns egal“, wem das Gebäude gehört, betont Waltke. Für Gespräche mit der Stadt sehe er keine Notwendigkeit. „Die reine Existenz des Hauses gibt uns doch recht, dass man so’n Scheiß wie Verträge nicht braucht.“ Die Haltung gilt allerdings nicht immer. Rechtsanwalt Beuth geht davon aus, dass Kretschmer versuchen wird, das Gebäude räumen zu lassen. Er sehe das aber gelassen, denn schließlich musste der Investor 2001, als er die Flora für 370.000 Mark kaufte, einwilligen, dass das Grundstück vom Verein Flora e.V. genutzt werde. „Der Vertrag“, sagt Beuth, „ist an der Stelle eindeutig.“ Und Vertrag ist ja Vertrag.