Ob Edler Schmuck oder Designer-Mode - die Luxusindustrie stellt sich jetzt mit günstigen Zweitlinien auf neue, junge Käufer ein.
„Die feine Dame trägt Roberto Cavalli, der Chauffeur Just Cavalli.“ Florian Jonak 2006 im Interview mit „Die Presse“. So wie der österreichische Franchise-Nehmer die Strukturierung der Luxusmarken beschrieb, ist es heute nicht mehr. Denn auch, wenn der französische Unternehmer Francois-Henri Pinault vom Luxusmodekonzern PPR (Gucci, Yves Saint Laurent, Balenciaga) der Überzeugung ist, dass es „immer viele Reiche geben“ werde und die Luxusgüterindustrie somit auf der sicheren Seite wähnt – auch die hohen Preislagen gerieten im Zuge der Finanzkrise unter Druck: So sank der Umsatz der Luxusbranche 2009 um satte 13 Prozent.
Doch dann die schnelle Kehrtwende: Schon im Jahr darauf erholte sich die Branche wieder, erzielte ein weltweites Wachstum von 15 Prozent und ein Marktvolumen von knapp einer Billion Euro, so die Ergebnisse der Managementberatung Boston Consulting Group (BCG) in der Studie „The New World of Luxury“. Nur eine Laune der Reichen? Mitnichten. Ausgerechnet die Mittelschicht schickt sich an, die Luxusgüterindustrie zu retten. Ihr Anteil am Gesamtumsatz mit Luxusprodukten lag 2010 bei 54 Prozent. In den Hauptmärkten Europa, USA, Russland, Japan, China und Brasilien gaben Mittelschicht-Haushalte 80 bis 90 Milliarden Euro für Luxusgüter aus – über zehn Milliarden Euro mehr als die etablierten, gut betuchten Käufer. „Luxushersteller müssen sich künftig auf beide Zielgruppen einstellen: die Stammklientel und die jungen Luxusabnehmer“, sagt Studienleiterin Antonella Mei-Pochtler. Das sei eine Herausforderung – bei der Produktgestaltung, aber auch für das Marketing und das Markenselbstverständnis.
In dem Zuge kommen auch Zweitlinien, der große Trend der 80er-Jahre, wieder in Mode: Mit günstigeren Kollektionen wie Emporio Armani, D&G und Moschino Cheap&Chic soll ein jüngeres Publikum angesprochen und an die „große“ Marke gewöhnt werden. Miu Miu, Zweitmarke aus dem Hause Prada und benannt nach dem Spitznamen von Firmenchefin Miuccia Prada, gilt unter Kennern sogar als das coolere Label und wird dementsprechend elitär vermarktet – in Hamburg etwa ist die Kollektion gar nicht erhältlich.
Seit Januar ist mit Jil Sander Navy eine legere Lifestyle-Linie mit Blusen, Kleidern, Mänteln, Schuhen und Taschen für Damen in den Läden. Ein Kleid aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2011 kostet um die 490 Euro, ein Shirt rund 195 Euro, Navy-Bags gibt es ab 360 Euro . Hochpreisig – das ja, aber durchschnittlich 30 bis 40 Prozent günstiger als die reguläre Ready to wear-Mode von Creative Designer Raf Simons, der das Haus damit „auf eine breitere Basis stellen“ will. Deutlicher macht es Alessandro Cremonesi, CEO der Jil Sander Group: Mit der „attraktiven Preisstruktur der neuen Linie“ könnten zusätzliche Kundengruppen erreicht werden.
Trendy und bezahlbar – was manche Experten als Verwässerung oder gar als „Vulgarisation“ des Markenimages werten und die Hände über den Kopf zusammen schlagen lässt, sehen andere wiederum als notwendige Marktannäherung durch Strukturierung der Kollektionen nach Themen, Lieferzeiten und unterschiedlichen Vertriebswegen. Mit Jeans-Linien, Sportswear und Accessoire-Kollektionen steigern Marken ihre Bekanntheit und finanzieren so ihre Expansion. Die Autorin des Buches „Costumer Relationship Marketing“ Alice Haupt folgert daraus: „Alles was ausschließlich für die Reichen ‚der hohen Gesellschaft’ bestimmt war, wird heute der breiteren Masse zugänglich gemacht: ‚Luxus für alle’.“
Vorreiter für diese Entwicklung war Alain Dominique Perrin, der 1974 „Les must de Cartier“, eine Accessoire-Linie mit Parfum, Füllfederhaltern und Feuerzeugen initiierte: „Ich war Vorreiter eines Trends, der sich bei anderen Konkurrenten bestätigt hat. Unsere Stärke liegt in der Erweiterung unserer Produktpalette. Dabei respektieren wir jedoch die Identität unserer Marke.“ Cartier ist der Tradition der untergeordneten Kollektion treu geblieben: 2010 lancierte das Unternehmen erneut eine „Les Must“-Kollektion mit „Produkten im Einstiegssegment“ wie Etuis für Notebook (um 210 Euro) und Visitenkarten, aber auch kleineren Schmuckstücken und der Uhr „Solo Tank“ aus Stahl für rund 1.910 Euro. Und sogar den legendären, 1924 kreierten Trinity-Ring gibt es nun in einer XXS-Version: Dabei sind die Ringe aus 18 Karat Weiß-, Gelb- und Rotgold etwas schmaler als bei dem Originalring und kosten mit rund 450 Euro auch nur die Hälfte. Selbst im französischen Traditionshause Cartier will und kann man sich offensichtlich nicht gegen jüngere Käuferschichten verschließen.