Essen/Kempen. Mit dem Buch von Sophie Passmann ist der Begriff Pick Me Girl von TikTok aus in den Feminismus gekommen. Was man über diese Mädchen wissen muss.

Es gibt Mädchen, die trinken Bier wie Jungs, man kann sie immer zum Fußballgucken einladen und ihnen eine Bohrmaschine in die Hand drücken, sie kennen die neuesten Ego-Shooter auf der Playstation und sie kommen gern mal mit dem Skateboard zu Besuch. Kurz: Sie verhalten sich genau so, wie es sich manche Männer von ihren besten Kumpels ersehnen. Und im Internet hat man einen Namen für diese Mädchen gefunden: Pick Me Girls. Sie sind nun zu einer Zielscheibe des feministischen Diskurses geworden, weil sie im Bestreben nach Gleichberechtigung der Geschlechter einen durchaus schädlichen Einfluss ausüben können – wenn sie nämlich genau diese eher männlich interpretierten Eigenschaften nur einsetzen, um Männern zu gefallen, und sich ihnen dadurch unterordnen.

Zickig, nervig, kompliziert?

Die ganze Geschichte begann, wie so vieles, in den Sozialen Medien. Auf TikTok und Instagram fingen im Jahr 2020 Frauen an, sich über Pick Me Girls lustig zu machen. In den Videos ging es um andere Frauen, die sich allzu offensichtlich darum bemühten, die Anerkennung von Männern zu gewinnen, indem sie plakativ darauf hinwiesen, dass sie selbst ja ganz anders seien als andere Frauen. Dass sie niemals so viel Drama machten wie manche ihrer Geschlechtsgenossinnen und dass sie eigentlich genau dieselben Interessen hätten wie Männer. Eben keine Zicken, keine komplizierten Frauen, keine übermäßig geschminkten, modeverrückten oder irgendwie nervigen Menschen, sondern eigentlich fast so wie eine idealtypische Vorstellung von männlichen Kumpeln.

Der Begriff „Pick Me Girl“ selbst basiert auf der besonders von Frauen kultisch verehrten Serie „Grey’s Anatomy“, die es bisher auf immerhin 19 Staffeln gebracht hat. Ärztin Meredith Grey wirbt dabei mit holzhammerhafter Direktheit darum, von ihrem Chef Derek erwählt zu werden, nachdem die beiden schon eine Affäre hatten. Ihre Ansprache beendet sie mit den Worten: „Pick me. Choose me. Love me“, also „Nimm mich. Entscheide Dich für mich. Lieb mich.“

Wer nun also „Pick Me“ hört, sollte ihn nicht fälschlich Frauen zuschreiben, die vielleicht von sich aus eher burschikose Interessen haben. Ein Skater-Girl, eine Fußball-Frau kann natürlich ungehindert ihren Interessen frönen, ohne in den Verdacht zu kommen, ein Pick Me Girl zu sein. Die negative Wendung entsteht erst, wenn das Verhalten manipulativ eingesetzt wird, um das Interesse des anderen Geschlechts zu erringen – oder darum, andere Mädchen oder Frauen abzuwerten, um sich selbst besser dastehen zu lassen. Manche grenzen sich dazu auch bewusst von eher weiblichen Eigenschaften ab.

Alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, sind Pick Me Girls

Wurde als Autorin bekannt durch ihr Buch „Alte weiße Männer“: Sophie Passman, die feministsche Themen aufgreift.
Wurde als Autorin bekannt durch ihr Buch „Alte weiße Männer“: Sophie Passman, die feministsche Themen aufgreift. © Kiwi Verlag | Christian Werner

Die Hörfunkmoderatorin, Schauspielerin und feministische Autorin Sophie Passmann („Alte weiße Männer“), die im niederrheinischen Kempen geboren wurde, hat ihr neues Buch „Pick Me Girls“ genannt – und ist gleich auf Platz 1 der Sachbuch-Bestseller geschnellt. Ihr geht es nicht darum, sich über diese Mädchen lustig zu machen, sondern um aufzuklären und zu reflektieren, weil sie sich ertappt fühlte, als sie darauf stieß. „Als ich das erste Mal davon hörte, dass das Internet für diese Frauen, die jahrzehntelang in den Augen der Öffentlichkeit anders als andere Frauen sein wollten, den Begriff Pick Me Girls gefunden hatte, war ich auf eine Art verärgert, die mich selbst verwunderte. Ich empfand es als wahnsinnig ungerecht, dass so getan wurde, als wären die Frauen aus reinem Hass auf andere Frauen so geworden, immerhin wusste ich ja, dass es zumindest bei mir nur der Versuch war, den Weg raus aus unendlich vielen Komplexen zu finden.“ Diese Komplexe macht sie als ein zentrales Motiv aus, auf diese Weise um Anerkennung zu heischen. „Die Tatsache, dass ich ein Pick Me Girl war, hatte auch damit zu tun, dass ich ein unglückliches Mädchen war. Ein psychisch krankes Mädchen. Ein hochintelligentes Mädchen. Ein dickes Mädchen. (…) Ich bin überzeugt davon, dass es bei Pick Me Girls viel um Scham geht, um Selbsthass und um das ständige Gefühl, dass mit einem selbst etwas grundlegend falscher, hässlicher oder unangenehmer ist als mit anderen Mädchen“, schreibt Passmann.

Sie hat dabei recht schnell und eindeutig eine Hauptursache ausgespäht, die recht tief in den feministischen Diskurs hineinführt: „Pick Me Girls können nur Pick Me Girls sein, wenn sie in einer Welt von Männern leben, die ihre eigene Anerkennung und Zuneigung als Instrument nutzen, um die Frauen in ihrem Leben handelbar und angenehm zu halten. (…) Ich glaube, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, Pick Me Girls sind. Manchmal. Oder früher. Zwischendurch. Als Ausnahme. Oder nur bei einem Mann in ihrem Leben.“

Freiwillig den Männern untergeordnet

Mit vielen klugen Gedanken, einer Menge Mut zur Entblößung der eigenen Psyche und nicht allzu viel Stringenz erzählt Sophie Passmann viel über die Entstehung eben von Scham, Selbsthass und Komplexen, über das Verhältnis der Geschlechter und über die freiwillige Unterordnung – über den Akt, sich zu sich selbst zu bekennen und dazu, nicht um jeden Preis dem anderen Geschlecht gefallen zu wollen. Dass sie dabei auch noch eine „Alternative Einleitung für Männer“ liefert, kann man im ersten Reflex als herablassend ansehen, soll aber vor allem als Ermunterung für Männer dienen, die nur in den seltensten Fällen ihre Nasen in feministische Literatur stecken – obwohl es für sie erhellend sein könnte. Es ist allerdings vergebliche Liebesmüh, denn jene Männer, die in den Genuss der exklusiven Einleitung kommen, haben offensichtlich keine Scheu vor feministischer Literatur.

Dass es in Sophie Passmanns Ausführungen mitunter durcheinander geht wie in einer zufälligen Aneinanderreihung länglicher Social-Media-Posts, ist ein wenig schade. Denn oft scheinen die Kapitel um immer wiederkehrende Aspekte des Pick-Me-Girl-Daseins zu kreisen. Es ist schade, wie die Vermutung, dass das Phänomen ja nicht nur Mädchen betreffen könnte. Denn in beinahe jeder Schulklasse, in jedem Freundeskreis findet sich auch ein pummeliger, nicht so attraktiver, komplexbeladener Junge, der seinen mangelnden Erfolg bei den Mädchen durch Humor, übertriebene Freundlichkeit und besondere Verständigkeit für Frauenprobleme zu kompensieren versucht, eben so ein Pick Me Boy. Aber das wäre vermutlich ein Thema für ein anderes Buch. Oder man braucht jemand anderes als Autor*in.

Mehr über zum Thema: Sophie Passmann: Pick Me Girls, Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 22 €. Hörbuch bei Tacheles/roof!, 5 Std. 25 Min, 14,90 €

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