Köln. Martina Kruse aus Köln hat als Hebamme jahrelang Geburten begleitet. Wie sie heute Familien dabei hilft, ein Geburtstrauma zu verarbeiten.
Dass eine Geburt mit Schmerzen verbunden ist, ist meist unausweichlich. In vielen Fällen treten Schmerz und Anstrengung aber zumindest nach und nach in den Hintergrund. Für manche Mütter kann die Geburt allerdings auch langfristig sehr belastend sein, sagt Martina Kruse. Die Kölnerin hat jahrelange selbst als Hebamme Geburten begleitet, heute hilft sie Betroffenen dabei, ihr Geburtstrauma zu verarbeiten. Welche Umstände zu einer traumatischen Geburtserfahrung führen können und wie Betroffene ihre seelischen Verletzungen heilen können, hat sie Sophie Sommer im Interview erklärt.
Wie wird eine Geburt zu einem traumatischen Erlebnis?
Martina Kruse: Die Gründe, warum eine Geburt als traumatisch empfunden wird, können sehr unterschiedlich sein. Nicht alles Schlimme, das während der Geburt passiert, muss auch traumatisch sein. Manchmal geht es um das persönliche Erleben der Geburt, wenn sie also extrem schmerzhaft, sehr langsam oder sehr schnell abläuft. Oft wird das Trauma aber durch Umgebungsfaktoren ausgelöst, wie mangelnde Kommunikation.
Und dann gibt es noch Extremfälle, wirklich unvorstellbare Dinge, bei denen es während der Geburt zu körperlicher Gewalt kommt. Dass zum Beispiel Untersuchungen rabiat durchgeführt werden oder Frauen gewaltvoll in bestimmte Positionen gedrängt werden. Egal ob das unwissentlich oder absichtlich passiert, für die Mütter kann es extrem traumatisierend sein, wenn sie während der Geburt das Gefühl haben, ihnen wird Gewalt angetan. Die Bandbreite ist also sehr groß. Was viele Betroffene gemein haben: Sie haben sich während der Geburt hilflos und handlungsunfähig gefühlt und beschreiben die Erfahrung mit: „Danach war nichts mehr, wie es war.“
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Wie viele Mütter sind betroffen?
Es gibt mittlerweile verlässliche Studien, die zeigen, dass 1,5 bis sechs Prozent aller Frauen eine traumatische Geburt erleben.
Hebamme aus NRW: „Geburtstrauma geht an Kindern nicht spurlos vorbei“
Wie macht sich das Trauma bemerkbar?
Die Frauen sind oft ruhelos, leiden unter Schlaflosigkeit und Alpträumen. Häufig finden sie auch nicht in ihre neue Rolle als Mutter hinein und haben Schwierigkeiten, eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen.
Hat eine traumatische Geburt auch direkte Auswirkungen auf das Neugeborene?
Das geht natürlich nicht spurlos an den Kindern vorbei. Auch wenn sie sich später nicht daran erinnern werden, prägen sie die Ängste und Hilflosigkeit der Mutter. Das gilt übrigens auch für den Partner oder die Partnerin: Sie sind ja häufig noch viel schlechter auf das, was während der Geburt passieren kann, vorbereitet als die Mutter selbst – haben danach aber das Gefühl, die Starken sein zu müssen und ihre Gefühle hintanzustellen, um für die Mutter da zu sein. Deshalb beziehe ich die Partnerin oder den Partner bei der Therapie auch immer mit ein.
Wie läuft die Therapie generell ab?
Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, die Mütter im Nachhinein zu stärken und zu unterstützen. In meiner Beratung versuche ich immer, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Denn so schwer die Geburt auch war, es gibt immer auch Momente, die einem die eigene Stärke bewusst machen können: „Trotz der Umstände war ich stark und habe es geschafft. Wie kann mir diese Stärke in anderen Situationen in meinen Leben weiterhelfen?“
Wenn die Geburt nicht so verlaufen ist wie erhofft, führt das oft dazu, dass sich die Mütter danach enormen Druck machen. Sie denken, dass die Wochenbett-Zeit ganz besonders gut sein muss und es mit dem Stillen sofort klappen muss. Dahinter steckt das Gefühl, das die allermeisten Frauen in meiner Beratung mit der Geburt verbinden: Schuld. Sie denken: „Ich bin schuld daran. Ich habe nicht alles gegeben. Ich habe etwas falsch gemacht.“ Ich versuche, ihnen dieses Gefühl zu nehmen.
Eine schwierige Geburt belastet nicht nur die Eltern, sondern auch die Geburtshelferinnen und -helfer. Sie selbst haben als Hebamme jahrelang Geburten begleitet, kennen also auch die andere Seite.
Wenn ich im Kreißsaal stehe und gleichzeitig drei Gebärende betreue und dazu noch für die Ambulanz zuständig bin, ist das kaum zu schaffen. Es sind also vor allem die strukturellen Umstände, die sich ändern müssen. Die Hebammen wollen es oft besser machen, haben aber gar nicht die Möglichkeiten dazu. Das führt auch dazu, dass sie unzufrieden sind und sich teilweise selbst hilflos fühlen.
Und komplizierte Geburten gehen an den Geburtshelfern natürlich nicht spurlos vorbei. Aber während meiner Ausbildung hieß es dazu bloß immer: „Wer das nicht aushält, ist falsch in dem Beruf.“ Es wird oft erwartet, dass man einfach weitermacht. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollte darauf geachtet werden, dass es den Geburtshelfern gut geht. Der Beruf ist unheimlich schön, aber eben auch unheimlich anstrengend. Gleichzeitig müssen die Geburtshelferinnen noch mehr sensibilisiert werden, wenn es um die psychische Verfassung der Gebärenden geht.
Kölner Hebamme: Eltern sollten Geburtsvorbereitungskurs gezielt auswählen
Inwiefern?
Als ich vor 30 Jahren als Hebamme angefangen habe, gab es Begriffe wie Geburtstrauma noch gar nicht. Da hat sich schon viel getan. Aber die fachliche Sicht über die Geburt ist eben häufig eine andere als die der werdenden Eltern. Mit Sicherheit haben sich auch etliche Frauen, die ich betreut habe, nicht gut aufgehoben gefühlt, obwohl aus professioneller Sicht alles in Ordnung war. Geburtshelfern muss zum Beispiel klar sein, wie wichtig es ist, während der Geburt das Einverständnis der Mutter einzuholen und sie über wichtige Schritte zu informieren.
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Was können die werdenden Eltern selbst tun, um sich bestmöglich auf die Geburt vorzubereiten?
Das fängt mit dem Geburtsvorbereitungskurs an. Man sollte sich vorab überlegen, welche Schwerpunkte einem dabei wichtig sind. Hilfreich ist es auch, sich vor der Geburt zu überlegen, was man sich unter einer guten Geburt vorstellt und das dann im Vorhinein klar zu kommunizieren: Ist es mir wichtig zu wissen, was genau passiert? Möchte ich über den Stand der Geburt informiert werden, auch wenn es zu Komplikationen kommt? Oder verunsichert mich das zu sehr? Man sollte einfach ein paar mögliche Szenarien durchspielen, um bestmöglich vorbereitet zu sein.
Geburtstrauma: Hilfe für Betroffene
Hilfe finden Betroffene zum Beispiel über den Verein „Schatten & Licht“. Er bietet einen Überblick über Expertinnen und Experten, an die sich Mütter wenden können, und organisiert zudem bundesweit Selbsthilfegruppen. Auf der Website können Frauen außerdem einen Selbsttest durchführen. Dieser kann dabei helfen, die Erkrankung nach der Geburt selbst besser einschätzen zu können.
Die Vereine „Mother Hood“ und „ISPPM“ setzen sich ebenfalls für sichere Geburten und die Rechte der Familien ein. Um Mütter nach einer schwierigen Geburtserfahrung zu unterstützen, haben sie ein Hilfetelefon eingerichtet. Unter der 0228/92959970 können Betroffene mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr mit Expertinnen über ihre Erfahrungen sprechen.
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