Essen. The Who, Prince & Co.: Rockstars im Rausch auf der Bühne, Partys in den Wohnstuben. Vor MTV und Internet gab es die Essener Rockpalast-Nächte.
Rock’n’Roll bis sechs Uhr morgens: Wenn man das Stichwort „Rockpalast Nacht“ fallen lässt, schlägt bis heute das Herz einer ganzen musikbegeisterten Generation im Takt von doppelten Basstrommeln. Hektischer Andrang vor der Essener Grugahalle, ein Wettrennen um die besten Plätze vor der Bühne, ein paar Stunden verschwitzter musikalischer Ekstase – das haben diejenigen erlebt, die live vor Ort waren.
Sie sahen und hörten The Who, The Grateful Dead, Rory Gallagher, Patti Smith, The Police, Peter Gabriel, Ian Hunter, ZZ Top, die Undertones, die Kinks, Bryan Adams, Roger Chapman und sogar – wenn auch nur live zugeschaltet – den legendären Prince…
Rockpalast-Gefühl: Live-Übertragung aus der Essener Grugahalle
Das Rockpalast-Gefühl hatte aber nicht nur die Gäste im Saal erfasst, es ging viel weiter, die Gruga-Gucker waren sogar in der Minderheit. Denn Rockpalast bedeutete damals: Live-Übertragung der Konzerte im Fernsehen – und das in voller, teils brutaler Länge und in ganz Europa, etwas Vergleichbares hatte es im Fernsehen bis zum Jahr 1977 (drei Programme, Sendeschluss, Testbild) nicht gegeben.
Ausgedacht hatten sich das Konzept WDR-Redakteur Peter Rüchel und Regisseur Christian Wagner. „Es war die grandiose Idee, es war auch ein Kind der Zeit, es parallel stereophon im Radio zu übertragen. Da konnten die Leute aufdrehen und konnten den vollen Sound aus der Halle kriegen“, berichtet Albrecht Metzger in einem Interview über seine Zeit als Rockpalast-Moderator über die technische Revolution, die damit einher ging, quasi das erste elektronische Multimedia-Spektakel.
Es ist etwas, das man heute wie selbstverständlich gewohnt ist, schließlich werden große Festivals wie Rock am Ring/Rock im Park, Hurricane/Southside oder das Hellfest längst in Mischpult-Soundqualität live gestreamt. Aber es war damals eine echte Revolution, zumal es sich ja um den konservativen öffentlich-rechtlichen Rundfunk handelte.
Was der Rockpalast bedeutete, beschrieb sein Begründer Peter Rüchel (1937-2019) sehr eindringlich: „Das sind 17 Nächte gewesen über zehn Jahre. Es war wie der Aufbruch in eine andere Welt, wie der Aufbruch in eine magische Zeit. Wir alle, die wir in der Grugahalle versammelt waren und über den Bildschirm miteinander verbunden waren, wir waren mal kurz abgemeldet. Wir waren in einer Welt, in der wir nur in unseren Träumen gelebt haben. Natürlich wussten wir, wenn man uns danach gefragt hätte, dass am Montag das Leben wieder anfangen würde, dass wir immer noch eine Verabredung mit der Realität hatten. Aber diese Realität haben wir in diesen Stunden der Rockpalast Nacht vergessen. Deswegen war es auch so wichtig, dass es zu Ende war, wenn es zu Ende war.“
Rocknächte in Essen: „Die konnten spielen, solange sie wollten“
Was diese mangelnde Beschränkung bedeutete, wäre wohl heute der Alptraum eines jeden Festival-Veranstalters – und natürlich jeden Senders: „Die konnten spielen, solange sie wollten. Da gab es natürlich einen Rahmen, aber wenn die noch was machen wollten, blieb man drauf“, so Moderator Albrecht Metzger. Was zu teils extrem langen Auftritten führte. Und manchmal waren die Nächte nur deshalb zu Ende, weil irgendwann das Morgenprogramm weitergehen musste.
Auch interessant
Was besonders in einer der legendärsten Nächte mit The Who und The Grateful Dead zu einigen problematischen Längen führte, weil Jerry Garcia und seine Mitstreiter sich zwischen jedem Song quälende, zwanzigminütige Einstellungspausen an den Verstärkern leisteten. In der Umbaupause vor The Who hatten sich sehr viele Gäste in der Halle geduldig auf den Fußboden gesetzt – und sprangen wie in einer Explosion auf, als Roger Daltrey und Pete Townsend auf die Bühne rannten, mit „Won’t Get Fooled Again“ und „My Generation“.
Krächziger Sting, besoffener Van
Die Grugahalle genoss damals in Hinsicht auf Rock’n’Roll ohnehin einen ziemlich legendären Ruf, schließlich hatte es hier einen rock-rebellischen Urknall gegeben, als Bill Haley 1958 nur drei Tage nach der Eröffnung spielte. 1965 kamen dann auch noch die Rolling Stones für ein Konzert, 1966 die Beatles. Und bei den Essener Songtagen 1968 stand unter anderem Frank Zappa auf der Bühne.
Es waren noch die Zeiten, in denen viele Bands rund ums Konzert oft mehrere Tage in der Stadt verbrachten, manche zechten und feierten, einige hatten Treffen mit dem Bürgermeister.
Bei manchen ging es auf die Kondition. Von Sting bei seinem Auftritt mit The Police wird berichtet, dass seine Stimme in katastrophaler Kondition war – und als Van Morrison auftrat, soll er stinkbesoffen, aber trotzdem irgendwie gut gewesen sein. Moderator Alan Bangs berichtet, Roger Chapman hätte auch getrunken, es aber „im Griff“ gehabt, was seinen enthemmten Auftritt ganz gut erklärt.
Zwischenzeitlich hatte der Erfolg den Rockpalast sogar überholt: „Das Problem dabei war: Rockpalast wurde irgendwann so bekannt, dass es ausverkauft war, bevor man überhaupt bekanntgegeben hat, wer da spielen soll“, so Alan Bangs.
Die Magie von damals, sie verblasste in den 80er-Jahren: 1986 fand in der Grugahalle die letzte Rockpalast Nacht statt, mit Jackson Browne, Big Country und BAP. Ein paar Träume, die Peter Rüchel und seine Mitstreiter hatten, blieben unerfüllt, etwa der, Bruce Springsteen für eine ihrer Nächte zu gewinnen. Heute denken die Jüngeren beim Anblick des prägnanten Logos nur noch an eine kleine, feine Konzertreihe im WDR, der sich noch immer gern mit dem Ruhm von damals schmückt.
Weitere Texte aus dem Ressort Wochenende finden Sie hier:
- Psychologie: Warum sich Mädchen komplett überfordert fühlen
- Migration: Wie ein pensionierter Polizist im Problemviertel aufräumt
- Essener Roma-Familie über Klischee: „Wir sind keine Bettler“
- Familie: Hilfe, mein Kind beißt, schlägt, tritt andere!
- Generation Pause: „Man genießt, nicht den Druck zu haben“