Bochum. Firmen bekommen ihre offenen Stellen nicht besetzt. Arbeitskräftemangel ist das größte Risiko. Ruhr-IHKs befürchten mehr kranke Beschäftigte.
Die Unternehmen im Ruhrgebiet leiden massiv unter dem Arbeitskräftemangel und warnen davor, dass ihre Beschäftigten immer mehr Überstunden machen müssen. Jede zweite Firma klagt darüber, dass sie ihre offenen Stellen nicht besetzen könne. Das ergab die Herbstumfrage der fünf Industrie- und Handelskammern im Revier.
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Probleme wie steigende Energiepreise oder Lücken in den Lieferketten brennen den Unternehmen längst nicht mehr so auf den Nägel wie der Arbeitskräftemangel. Die Nachwuchssorgen seien zum größten Risiko der Betriebe geworden, sagt Philipp Böhme, Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet, die in diesem Jahr die Stimmung in den Firmen für die Region einfing. Der Unternehmer aus Bochum geht sogar davon aus, dass der Arbeitskräftemangel „uns in den kommenden Jahren noch viel stärker beschäftigen wird“.
IHK-Chef warnt vor steigenden Arbeitskosten: „Überstunden kosten Geld“
Stellen bleiben über längere Zeit unbesetzt und erhöhen den Druck auf die Mitarbeitenden, die noch da sind. Jedes zweite von der IHK befragte Unternehmen gab an, dass sie die Lücken mit Überstunden stopfen oder Aufträge zurückgeben müssen. Beide Reaktionen blieben nicht ohne Folgen. „Überstunden kosten Geld“, sagt Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Er erwartet deutlich steigende Arbeitskosten nicht nur durch Überstunden, sondern auch durch steigende Gehälter als Reaktion auf die hohe Inflation. Bergmann sieht zudem die Gefahr, dass sich durch Mehrarbeit die Krankenstände in den Betrieben erhöhen.
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Als Ausweg aus der Misere setzen die Kammern auf Arbeitskräfte aus dem Ausland, zeigen sich aber über nicht eingehaltene Versprechen der Politik enttäuscht. „Wir sehen seit Jahren eine Einwanderung nur in unsere Sozialsysteme, aber nicht in Arbeit“, kritisiert IHK-Manager Bergmann. „Deutschland droht den Anschluss bei der wirtschaftlichen Entwicklung im europäischen Vergleich zu verlieren. Den Unternehmen reißt allmählich der Geduldsfaden.“
Ein Weg aus dem Fachkräftemangel: Geflüchtete schneller in Firmen integrieren
Seit Jahren poche die Wirtschaft auf den Abbau von Bürokratie. Aber auch bei ihren Versuchen, Geflüchtete rasch zu integrieren, scheiterten viele Unternehmen an der Anerkennung von Qualifikationen, die sie in ihren Heimatländern erworben haben. „Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind zu scharf“, meint IHK-Präsident Böhme. Eine gleichwertige Qualifikation, wie sie in Deutschland gefordert wird, sei aber oft gar nicht nachzuweisen, weil es im Ausland das System der dualen Ausbildung gar nicht gebe. In Deutschland müsse mehr für die Willkommenskultur getan werden.
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Die Herbstumfrage der IHKs förderte aber auch positive Entwicklungen zu Tage. „Die Angst vor weiter steigenden Energiepreisen treibt deutlich weniger Unternehmen um“, sagt Böhme. Und unter dem Strich ist die Stimmung im Ruhrgebiet nicht so schlecht wie in der Corona-Pandemie. „Wir sind immer noch weit entfernt vom Negativrekord im Herbst 2022“, betont der IHK-Präsident. 28 Prozent der befragten Revierfirmen bezeichnen ihre Geschäftslage als gut, 21 Prozent als schlecht. Die Mehrheit ist einigermaßen zufrieden.
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Matthias Wulfert, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Duisburger IHK, bringt es auf den Punkt: „Die Stimmung ist gedämpft, aber nicht dramatisch schlecht.“