Bochum/Dortmund. In Krankenhäusern fehlen Pflegekräfte. Welche Methoden erfolgreich sind, um Personal zu gewinnen – und wieso auch Patienten etwas davon haben.
Wenn die Urlaubsplanung ansteht, plagen Dennis Greger Bauchschmerzen. 13 Wochen Schulferien sind für Eltern mit schulpflichtigen Kinder schwer zu überbrücken – für den 38-jährigen Vater zweier Söhne ist es ungleich schwieriger. Greger und seine Frau arbeiten beide als Pflegefachkräfte auf der Krebsstation des Klinikum Westfalen in Dortmund. Schichtdienste gehören bei ihrer Familie also dazu, auch in der unterrichtsfreien Zeit.
„In der Schulzeit planen wir die Woche um die Schichtdienste meiner Frau herum“, sagt Greger. Das erfordere viel Organisation, aber alles greife ineinander. „Auf Dauer sind es die Ferien, die am meisten an uns zehren.“ Nach einer schlaflosen Nachtschicht für die Jungs da zu sein, den Dienstbeginn zu verschieben, weil das Ferienprogramm später anfängt und weiter weg ist als die Schule, das Kind auch mal auf der Arbeit an die Frau zu übergeben – „man hält das durch, aber anders wäre es schöner“.
Klinikum Westfalen in Dortmund bietet Pflegekräften 13 Wochen Urlaub an
Anders könnte es im kommenden Jahr für die Gregers werden. Denn das Klinikum Westfalen reagiert mit einem ungewöhnlichen Programm auf die Frage, wie sie die bundesweit händeringend gesuchten Pflegekräfte ans eigene Haus binden und langfristig Fachkräfte zurück in den Job locken können: Wer will, kann 13 Wochen gesichert Urlaub nehmen.
Alle Schulferien, alle Brückentage sind abgedeckt, so das Versprechen an diejenigen, die im Gegenzug auf 13 Prozent ihres Gehalts verzichten. Laut Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes erhalten Pflegekräfte auf einer regulären Station ein Einstiegsgehalt von knapp 3000 Euro (brutto), das mit Erfahrung und Berufsjahren steigt.
Die Gregers haben es sich ausgerechnet: „Wir tauschen Zeit gegen Geld. Wenn ich weiß, dass meine Frau in den Ferien zu Hause ist, hab ich hier in der Klinik den Kopf frei – und die Jungs sind begeistert.“
Denn Stress, Überlastung, hohe Arbeitsbelastung ist genau das, was viele Menschen aus der eh vom Fachkräftemangel gebeutelten Pflege treibt. Bundesweit gibt es an den Kliniken schon jetzt knapp 300.000 offene Stellen – in zehn Jahren rechnen Fachleute von PricewaterhouseCoopers mit 1,8 Millionen freien Stellen. Umfragen zufolge sucht mehr als jede vierte Pflegekraft bereits nach einem neuen Job. Nicht selten landen sie bei Leiharbeitsfirmen, die mit besseren Arbeitsbedingungen um die begehrten Arbeitskräfte werben.
Fachkräftemangel belastet Kliniken: 300.000 offene Stellen im Gesundheitswesen
Auf diese Entwicklung reagieren nun immer mehr Kliniken. Sie entwickeln Angebote, wie es sie in der 24/7-Pflege lange nicht gab. In Bocholt, Bielefeld und Siegen wird mit der Vier-Tage-Woche experimentiert. In Dortmund hat sich Klaus Böckmann, seit über vier Jahren Pflegedirektor am Klinikum Westfalen, das Ferienprogramm ausgedacht.
„Ich hätte das früher auch gern gehabt“, sagt Böckmann rundheraus und lacht. Es ist nicht seine erste Idee zur Fachkräftesicherung – Beschäftigte können in Dortmund bereits gegen Gehaltsverzicht mehrere Wochen am Stück, sogar ein halbes Jahr gesichert freinehmen. Die Programme gelten jeweils für ein Jahr, wer sie in Anspruch nehmen will, muss sich bewerben.
Auch interessant
Überrannt wird das Klinikum keinesfalls. Für das Ferienprogramm gibt es 25 Interessenten aus allen Bereichen - also auch aus der Verwaltung und dem ärztlichen Dienst. Aber: „Es wird den Menschen immer wichtiger, Zeit für Familie und Freizeit zu haben“, so Böckmann. „Mobiles Arbeiten können wir in der Pflege schlecht anbieten, also müssen wir kreativ sein, um langfristig als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.“
Krankenhäuser kommen in Bewegung: „Aufbruch war dringend nötig“
Dafür wird es höchste Zeit, sagt Sandra Postel, die Präsidentin der Pflegekammer NRW. „Über Jahre haben die Häuser sehr unflexible Arbeitszeiten, es galt das Drei-Schicht-Modell in der Pflege und oft musste man aus dem Frei auch noch einspringen, wenn Leute fehlen“, sagt Postel. Der Fachkräftemangel, das Buhlen um die verbliebenen Beschäftigten habe die Branche in Bewegung gebracht. „Ich erlebe einen Aufbruch, der dringend nötig war“, sagt die Kammerpräsidentin.
Es gehe um Achtsamkeit, damit Fachkräfte gehalten und gewonnen werden können: „Im Kern geht es um die Frage: Was braucht jemand, damit er seine Arbeit machen kann.“
Anneliese Rickes braucht Flexibilität. Vor einem Jahr ist sie Mutter geworden. „Ich habe keine Familie in petto, die bei der Betreuung helfen kann“, sagt die 36-jährige Notfallpflegefachkraft. „Mein Mann arbeitet auch in der Pflege. Starre Schichtdienste wären für mich nicht machbar.“ Stattdessen schreibt sie ihren Dienstplan nun selbst.
Krankenhaus schafft Flexibilität: Den Dienstplan schreibt die Pflegerin selbst
„Arbeiten, wann man kann“ könnte man das Konzept nennen, hinter dem das „Team Kunterbunt“ des Katholischen Klinikums Bochum (KKB) steht. Dazu gehören 45 der rund 2200 Pflegekräfte am KKB aus verschiedensten Disziplinen. Sie geben per Handyapp an, wann sie arbeiten können. Dabei gibt es dann auch nicht nur drei starre Schichten, sondern 50 verschiedene Dienstzeiten, zu denen die Männer und Frauen als Springer auf unterschiedlichen Stationen der sechs zum Klinikum gehörenden Krankenhäuser eingesetzt werden. Halbe Nachtdienste, späte Frühdienste, Arbeiten zwischen zwei Schichten, so wie es fürs Studium oder die Kinderbetreuung gerade passt.
Dass das kunterbunte Team noch eine überschaubare Größe hat, hat für Silke Schmidt-Biele, stellvertretende Pflegedienstleitung am KKB, einen Grund: „Viele Kollegen hängen an ihren Teams“ sagt die 44-Jährige. „Im Team Kunterbunt hat man das nicht. Wir planen den Einsatz.“ Das sei durchaus aufwendig. „Aber die Alternative ist, dass wir eine bestimmte Versorgung vielleicht nicht ermöglichen können oder auf Leiharbeit zurückgreifen müssen, was auf den Stationen nicht unbedingt gut ankommt.“
Anders Arbeiten gegen den Fachkräftemangel: „Mehr Zeit für Patienten“
Anneliese Rickes sieht einen großen Vorteil für Patienten: „Ich bin nicht in den Stationsalltag eingebunden, deshalb werde ich mehr Zeit für meine Patienten haben. Ich muss mich nicht um Lagerbestellungen oder Dienstausfälle kümmern, sondern kann eher die Patienten betreuen. Damit entlaste ich umgekehrt die Kollegen.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür
Vier Jahre habe sie vor der Schwangerschaft auf der Intensivstation, dann in der Notaufnahme gearbeitet. Im Dezember geht es nun zurück ins Krankenhaus. An welchem Tag genau weiß Rickes noch nicht: „Ich habe meinen Dienstplan noch nicht geschrieben“, sagt sie und schmunzelt.