Gladbeck. Discounter wollen nur noch Milch und Fleisch aus besserer Haltung verkaufen. Warum das bei Milch schneller geht – und Aldi Özdemir kritisiert.

Die Milch kommt aus dem Karton. Und auf dem steht sowohl beim Discounter als auch im Supermarkt immer öfter die Haltungsstufe 3 oder 4. Aldi will im Frühjahr nur noch diese Stufen anbieten. Sie sollen bedeuten, dass die Milch von glücklichen Kühen kommt, in Stufe 3 von konventionellen Höfen, in Stufe 4 vom Biohof. Doch wann sind Milchkühe glücklich?

Wenn die fast immer schwangeren Tiere trotz der Last ihrer Euter bockend durchs hohe Gras springen, Blätter von Bäumen zupfen, sich um ihren Rang in der Herde käbbeln und danach auf Stroh betten? Wenn das so sein sollte, dann leben bei Bernd im Winkel viele glückliche Kühe. Der Milchbauer hält auf seinem Hof in Gladbeck 330 Tiere – vom Kalb über die Milchkuh bis zum Stier. Zu seiner Milchtankstelle kommen Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet. Auch, weil sie auf dem gesamten Hof sehen können, wer ihre Milch gibt und wie die Kühe leben. Und weil Rohmilch anders schmeckt.

Höfe wie der von Bernd im Winkel werden überleben, andere nicht

Der große Kuhstall ist offen – nicht nach einer Seite, sondern rundherum. Wird es zu heiß, sorgt eine Kuhdusche für Abkühlung. Die Tür zur sattgrünen Weide steht immer offen, die Kühe entscheiden selbst, ob sie drinnen liegen, sich von den Bürsten massieren lassen oder draußen grasen wollen. An diesem recht kühlen Herbstmorgen sind die meisten draußen, schauen auf den hoch stehenden Mais hinterm Zaun, aus dem Bernd im Winkel bald ihr Futter für den Winter machen wird.

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Er führt den Hof in zehnter Generation und hat eine fast geschlossene Kreislauflandwirtschaft aufgebaut. Bis auf den Proteinträger Rapsschrot, den er zukauft, produziert er das Futter nur aus eigenem Getreide und Gras. Zehn Tonnen am Tag fressen seine Kühe. Auch den Nachwuchs zieht er selbst auf. Und theoretisch würde der Strom aus den Solardächern reichen, um seinen Betrieb zu elektrisieren. Höfe wie diese werden überleben, wenn Supermärkte und Discounter wie angekündigt Milch aus den unteren Haltungsstufen aus ihren Regalen verbannen.

Andere nicht. Es ist kein Zufall, dass derzeit vor allem bayrische Milchviehbetriebe gegen die Ankündigung von Aldi aufbegehren, bereits ab kommendem Frühjahr nur noch Milch aus den Haltungsstufen 3 und 4 zu verkaufen. Denn in Bayern sind noch viele Milchkühe ganzjährig angekettet. Was Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ab 2028 verbieten will, lehnt der Handel bereits früher ab. Die großen Vier – Edeka, Rewe, Aldi und Lidl – haben ihre eigenen Tierwohl-Standards gesetzt. Ab Stufe 3 dürfen Kühe nicht mehr angebunden werden und müssen dauerhaft Frischluftzugang haben oder an mindestens 120 Tagen auf die Weide dürfen.

Molkereien sagen Bauern nicht, welche Haltungsstufe sie haben

Bernd im Winkel hat die alte Art, Kühe zu halten, als einer der ersten im Ruhrgebiet bereits vor 23 Jahren abgeschafft. Seine Motivation könnte eingängiger nicht sein: „Wenn es meinen Kühen nicht gut geht, dann geben sie weniger Milch“, sagt der Landwirt, der seine Kühe trotz der großen Herde beim Namen ruft. Katarina soll kommen, weil sie so fotogen sei. Doch auf der Weide kommen uns sofort Dutzende Kühe entgegen, schlecken nach dem Schreibblock, zupfen am Fotokoffer. „Sie sind sehr menschenbezogen“, beschreibt im Winkel das Offensichtliche. Und sagt nicht ohne Stolz, seine Kühe würden im Schnitt 8,6 Jahre alt, damit leben sie rund zweieinhalb Jahre länger als die deutsche Durchschnittskuh. Katarinas Mama, die Kati, ist 18 Jahre alt geworden.

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Der Hof Im Winkel müsste die Haltungsstufe 3 haben. So genau sagt die Molkerei ihm das nicht, an die er den allergrößten Teil seiner Milch verkauft. Er erhält kleine Qualitätszuschläge, ansonsten den aktuellen Marktpreis von 40 Cent je Liter. „Gerade noch kostendeckend“ sei im Winkel, vor einem Jahr gab es noch 57 Cent. Der Handel will Milch aus möglichst guter Haltung haben und weiterverkaufen, aber nach wie möglichst wenig dafür zahlen. Das beklagen Molkereien wie Bauern.

Die Scheuerbürste dreht sich bei Berührung. Die Kühe nutzen sie gern, um sich den Rücken massieren zu lassen.
Die Scheuerbürste dreht sich bei Berührung. Die Kühe nutzen sie gern, um sich den Rücken massieren zu lassen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Die neue Dynamik bringe viel in Bewegung, sagt Björn Bögermann, Geschäftsführer des Milchindustrieverbands. Betriebe müssen zertifiziert werden, damit Molkereien ihre Milch etwa in Stufe 3 als Weidemilch verkaufen können. Das sei alles im Fluss. Bei den vom Handel gewünschten Mengen stoße man aber bereits an Grenzen, vor allem, wenn es darum geht, auch für Käse und Butter genügend Milch aus besserer Haltung zu bekommen. Und der Handel müsse verstehen, dass er dafür auch mehr zahlen müsse. „Wir hoffen auf ein faires Miteinander“, sagt Bögermann, „zum aktuellen Preis ist das nicht zu machen.“

Aldi Süd verkauft bereits 60 Prozent der Milch aus besserer Haltung

Das gleiche Spannungsfeld besteht bei Fleisch und Wurst. Nur fällt die Umstellung auf bessere Haltungsformen den Schweinemästern noch deutlich schwerer als den Milchbauern. Discount-Marktführer Aldi erreicht bei der Milch seine Ziele deutlich früher als geplant. „Der Umsatzanteil von Milch aus höheren Haltungsformen liegt bei Aldi Süd bereits bei über 60 Prozent“, verriet die Mülheimer Handelskette unserer Redaktion. Und betont, „bereits bis zum Frühjahr 2024 bei der Trinkmilch vollständig auf die höheren Haltungsformen umzustellen“.

Da so schnell viele Landwirte ihre Ställe nicht umbauen können, sorgt diese Ankündigung für reichlich Ärger, besonders in Bayern. Grundsätzlich wissen sie aber, dass die Haltung mit angeketteten Kühen, die meist den ganzen Tag lang nur stehen oder liegen können, keine Zukunft hat. Das nennt Aldi Süd auch als Grund, warum die Umstellung bei der Milchviehhaltung insgesamt schneller voranschreitet als bei den Schweinen. Die „klare Zusage, auch bei der Trinkmilch vollständig auf die Haltungsformen 3 und 4 umzustellen“, gebe den Milchbauern Planungssicherheit.

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Man könnte es auch Druck nennen. Oder „Rücksichtslosigkeit gegenüber den Landwirten“, wie der Verband der Milcherzeuger Bayerns (VMB) Aldi vorwirft. Denn allen idyllischen Alpenmilchwerbeslogans zum Trotz sind in Bayern noch besonders viele Kühe ganzjährig angekettet. Laut Verband macht das die Hälfte der 24 000 Milchviehbetriebe so. Sie seien durch die von Aldi um Jahre vorgezogene Umstellung, der die Konkurrenz sicher folgen werde, in ihrer Existenz gefährdet, warnte VMB-Geschäftsführer Hans-Jürgen Seufferlein nach Bekanntwerden der Aldi-Pläne im August.

Beim Fleisch funktioniert der Haltungswechsel nicht so schnell

Beim Frischfleisch will Aldi bis 2025 die Haltungsstufe 1 auslisten, bis 2030 auch die Stufe 2, in der die Tiere etwas mehr Platz haben – mit 0,825 Quadratmetern pro Schwein aber immer noch wenig. Ab der Stufe 3 des Handels muss der Stall offen sein und mehr als einen Quadratmeter Platz bieten. Bisher kommt Aldi Süd beim Frischfleisch auf einen Anteil von 30 Prozent aus den Haltungsstufen 3 und 4 (Bio). Auch Wurstwaren sollen bis zum Ende des Jahrzehnts nur noch Fleisch aus besserer Haltung enthalten dürfen.

Die Rohmilch von Bauer Bernd im Winkel schmeckt ganz anders als aus der Tüte im Supermarkt, sie ist fetter und geschmackvoller als die behandelte Milch aus der Molkerei. Auf dem Gladbecker Hof kann man sie an der Milchtankstelle direkt abfüllen.
Die Rohmilch von Bauer Bernd im Winkel schmeckt ganz anders als aus der Tüte im Supermarkt, sie ist fetter und geschmackvoller als die behandelte Milch aus der Molkerei. Auf dem Gladbecker Hof kann man sie an der Milchtankstelle direkt abfüllen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Dass sich insbesondere die Schweinehalter schwerer tun, in eine höhere Haltungsstufe zu wechseln, schreibt der Discounter indirekt der Verunsicherung durch die Bundesregierung zu. Nachdem Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU) daran gescheitert sind, ein staatliches Tierwohllabel zu schaffen, hat der aktuelle Minister Özdemir eines durchgesetzt. Das gilt allerdings zunächst nur für Schweine und weicht leicht vom Modell ab, das sich der Handel 2019 gegeben hat, weil er nicht länger auf das staatliche Siegel warten wollte. Özdemirs Tierhaltungskennzeichnung kennt fünf Stufen, wobei die fünfte der Biostandard ist.

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Schon kleine Details können für Schweinemäster problematisch sein, etwa wenn sie ihren Stall gerade erst umgebaut haben. So verlangt die Haltungsstufe 2 des Handels zehn Prozent mehr Platz für die Tiere, das staatliche Label 12,5 Prozent. Auch beim Frischluftstall (Stufe 3) weichen die staatlichen Standards von denen des Handels ab. Anders als die Milchbauern müssen sich die Schweinehalter also auf verschiedene Vorgaben einstellen.

Aldi Süd: Staatliche Kennzeichnung konterkariert Stallumbau-Ziele

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Aldi Süd äußert deshalb gegenüber unserer Redaktion „große Bedenken, ob das Gesetz in seiner jetzigen Form die Transformation der Nutztierhaltung für Schweine befördert – oder vielleicht sogar konterkariert“. Die Erzeuger bräuchten „klare Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, um die gewollte Transformation voranzubringen“. Der Discounter prüft daher derzeit, „wie die Haltungswechsel-Ziele beim Schweinefrischfleisch auf die neue fünfstellige Tierhaltungskennzeichnung übertragen werden können“.