Dortmund/Werdohl. Unternehmen im Märkischen Sauerland verlieren wegen der langen Anfahrtszeiten Mitarbeiter. Wie VDM aus Werdohl darauf reagiert hat.
Die Auswirkungen der Sperrung der Autobahn 45 bei Lüdenscheid haben die Unternehmen in der Region schon nach wenigen Wochen beim Personal zu spüren bekommen. Die ersten Kündigungen von Beschäftigten flatterten schnell ins Haus. Zwei bis drei Mal mehr Zeit für den Weg zur Arbeit, das schmeckt bitter. Bewerberinnen und Bewerber winken ab, wenn ihnen klar wird, dass zwischen ihnen und dem neuen Job tagtäglicher Stau rund um die inzwischen gesprengte Rahmede-Talbrücke liegen würde, und dies noch einige Jahre. VDM Metals mit Sitz in Werdohl und Standorten in Altena, Unna und Duisburg ist ein metallverarbeitendes Traditionsunternehmen mit rund 2000 Beschäftigten – und eines der Unternehmen, die bereits Arbeitsplätze verlagert haben, um Fachkräfte zu halten.
Millioneninvestition im Westfalentower an der B1
Rund 300 Mitarbeiter sind bei VDM nicht in der Produktion, sondern im Marketing, Service, Controlling, Einkauf oder der Rechtsabteilung beschäftigt. In Dortmund hat VDM 2400 Quadratmeter Bürofläche im Atrium des Westfalentowers angemietet. Entstanden sind 65 moderne Arbeitsplätze in einladender Atmosphäre. Dafür hat das Unternehmen einen siebenstelligen Betrag investiert, wie Unternehmenssprecher Philipp Verbnik sagt.
Es sind Arbeitsplätze, die nicht wieder zurück ins Lennetal verlagert werden. So viel scheint sicher. „Es würde heute kein Arbeitnehmer mehr akzeptieren, beispielsweise von Bochum nach Werdohl zu pendeln“, vermutet Verbnik. Zwar ist der Standort im Westfalentower erst seit ein paar Wochen die schicke, neue Option bei VDM, aber das Thema mobiles Arbeiten, eingeführt in der Pandemie, habe sich durch die Brückensperrung seit 2021 nie wieder aufgelöst. Viele Kollegen seien nur noch nach Werdohl gefahren, wenn es sich nicht vermeiden ließ. „Ein dauerhafter Verbleib im Homeoffice beziehungsweise dauerhaftes mobiles Arbeiten wäre für uns aus Unternehmenssicht keine zufriedenstellende Lösung gewesen. Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, dass das auch viele Mitarbeiter so sehen“, erklärt VDM-Geschäftsführer Niclas Müller. Arbeit sei häufig auch ein sozialer Akt und der persönliche Austausch unter Kollegen wichtig. „Umso erfreulicher ist es, dass wir den von der Verkehrssituation betroffenen Mitarbeitern nun neue Arbeitsplätze in einem attraktiven und zeitgemäßen Büroumfeld hier in Dortmund bieten können“, sagt der Firmenchef.
Stellen leichter zu besetzen
Bereits wenige Monate nach der Sperrung hatte sich das Unternehmen 2022 auf die Suche nach einem Standort gemacht, der Pendlern den Arbeitsweg erleichtern sollte. Nicht wenige Beschäftigte haben nach Unternehmensangaben ihren Wohnsitz nördlich des Nadelöhrs Rahmedetal. Viele – noch aus Zeiten der Zugehörigkeit zu Krupp – im Ruhrgebiet. In Erwägung gezogen wurden auch Bochum und Hagen, die Wahl fiel schließlich auf Dortmund, wo im Westfalentower an der B1 eine ausreichende Fläche mit guter Substanz zu haben war. Die Investition dürfte sich rechnen, denn „wir merken, dass auch neue Stellenbesetzungen viel leichter fallen“, so Verbnik. Das Einzugsgebiet für rare Fachkräfte wie IT-Fachleute oder Controller sei größer, das moderne Umfeld in den neuen Büros scheint ebenfalls zu gefallen.
Thorsten Kramer ist seit dem 1. April als Leiter der Einkaufsabteilung für langfristige Anschaffungen bei VDM. Der 46-jährige Diplom-Kaufmann ist Dortmunder. Er hatte in der Vergangenheit unter anderem Jobs in Ennepetal, Menden Iserlohn: „Ich bin schon bereit zu pendeln, aber die Fahrzeit jeden Tag nach Werdohl wäre mir zu lang gewesen.“ Ohne die Option Westfalentower hätte Kramer nach eigenen Aussagen den Job nicht angenommen, bei einem neuen Kollegen in seiner Abteilung sei dies genauso gewesen.
Die Arbeitsplätze an den Sauerländer Produktionsstandorten in Werdohl und am Ursprungsfirmensitz in Altena lassen sich nicht verlagern. Ein größerer Teil der Belegschaft in der Verwaltung sitzt weiter in Werdohl. Auch hier sei geplant, die Räumlichkeiten zu modernisieren und attraktiver zu gestalten. Auch Kramer ist regelmäßig in Werdohl, hat also keine Sauerlandphobie.
Lea Dietz (28) erst recht nicht. Die gebürtige Altenaerin wohnt in Iserlohn, ist seit zehn Jahren bei VDM und heute im Service beschäftigt. Gerade hat sie eine Bestellung mit einem Kunden in Südkorea verabredet, damit dort im kommenden Jahr die VDM-Lager nicht leerlaufen. Selbst Sauerländerin, nutzt auch die Industriekauffrau die neuen Räume in Dortmund: „Von der Kilometerzahl her ist die Strecke nach Dortmund genauso lang wie nach Werdohl, durch die vielen Lkw, die auch auf den Ausweichrouten unterwegs sind, dauert es aber nach Werdohl fast doppelt so lang.“ Mindestens einmal pro Woche steuert sie dennoch von Iserlohn über den Berg bei Ihmert ins Lennetal den alten Arbeitsplatz an, um den persönlichen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen, die weiter im „Stauland“ Sauerland sitzen, nicht zu verlieren.
Die am Standort Dortmund eingerichteten 65 Arbeitsplätze ließen sich auf etwa 80 erhöhen, sagt Verbnik. Es gibt keine festen Plätze, lediglich drei „Heimatbereiche“, in denen sich die Beschäftigten je nach Abteilung ihren Platz per App im Voraus buchen oder einen freien ad hoc suchen. Dadurch, dass nicht jeder jeden Tag im Büro arbeitet, schätzt Verbnik die Kapazität auf bis zu 150 – also könnten in Zukunft sogar bis zu 50 Prozent der bei VDM nicht in der Produktion tätigen Beschäftigten die Option Dortmund nutzen.
Dass die Wirtschaftsregion im Märkischen Sauerland durch die Brückensperrung an Attraktivität deutlich verlieren würde, haben Experten schnell vermutet. IW Consult, eine Dienstleistungsgesellschaft des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, hat berechnet, dass sich die gesamtwirtschaftlichen Schäden bei einer fünfjährigen Sperrung auf rund 1,8 Milliarden Euro addieren dürften. Dabei spielt auch der Verlust von Fachkräften eine Rolle.
Ähnlich wie VDM Metals aus Werdohl haben bislang nur wenige Firmen agiert. Otto Fuchs aus Meinerzhagen hat bereits zu Beginn dieses Jahres in Hagen einen Prüfstandort für Teile aus dem Bereich Luft- und Raumfahrt eingerichtet, an dem rund 30 Beschäftigte arbeiten können. Nach Angaben der Südwestfälischen Industrie und Handelskammer Hagen hat das Kunststoffinstitut in Lüdenscheid eine Außenstelle in Schwerte eröffnet. Andere weichen auf Co-Working-Spaces aus.