Essen. Immer mehr Firmen aus NRW verlagern ihre Investitionen ins Ausland. Eine Umfrage gibt Klarheit, worunter Firmen in Deutschland leiden.
Die hohen Energiepreise, lange Genehmigungsverfahren und hohe Subventionen in anderen Ländern führen immer häufiger dazu, dass deutsche Unternehmen ihre Investitionen auf Eis legen oder ins Ausland verlagern. Im Gegenzug meiden ausländische Firmen den Standort Bundesrepublik. Dadurch seien Deutschland im vergangenen Jahr 132 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen entgangen, hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt und spricht von einem „Warnsignal“.
„Man hat den Eindruck, dass die Amerikaner im Moment unsere Unternehmen wegkaufen“, sagte Ralf Stoffels, Präsident der nordrhein-westfälischen Industrie- und Handelskammer, bei einem Besuch unserer Redaktion. Stoffels, der auch Präsident der IHK zu Hagen ist, reagiert damit auf die Auswirkungen des Inflation Reduction Act. Mit bis zu 780 Milliarden Dollar will US-Präsident Joe Biden Subventionsanreize schaffen, um internationale Firmen in die Vereinigten Staaten zu locken.
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NRW-Konzerne wie Miele und Evonik sind dem Ruf bereits gefolgt und investieren in Amerika. IHK-Präsident Stoffels ist in Sorge, dass auch der Mittelstand folgt. „Viele Unternehmer widerstehen den günstigen Angeboten aus dem Ausland. Ich sehe aber auch einen Wandel. Man weiß nicht, wie die nächste Generation der Eigentümer oder Geschäftsführer tickt“, sagte der Hagener Unternehmer.
Commerzbank-Vorstand: Unternehmen das Leben einfacher machen
Die Sorge scheint real. Stefan Otto kennt den Mittelstand in Nordrhein-Westfalen gut. Der Bereichsvorstand leitet das Firmenkundengeschäft der Commerzbank in West- und Norddeutschland. Aus einer von seinem Institut beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegebenen Umfrage weiß er, dass die kleinen und mittleren Betriebe die vielen Krisen der jüngeren Vergangenheit ganz gut weggesteckt haben.
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Aus dem recht optimistischen Zahlenwerk schließt Otto allerdings: „Wir müssen den Unternehmen das Leben einfacher machen.“ Der Umfrage zufolge treiben die Mittelständler in NRW vor allem die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise um. 78 und 74 Prozent der Firmen gaben an, dass sie sich damit gerade intensiv beschäftigen.
Mit einem Stirnrunzeln beobachtet Otto die Reaktionen. „Investitionskredite in Anlagen und Fabriken nehmen häufig international aufgestellte Unternehmen in Anspruch“, sagt der Commerzbank-Manager und verweist ebenfalls auf den Inflation Reduction Act von US-Präsident Joe Biden. Das Investitionsprogramm „bietet aktuell starke Anreize, in den Vereinigten Staaten zu investieren. Insgesamt beobachten wir eine Verschiebung der Handelskorridore“, meint Otto.
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Die USA locken nicht nur mit hohen Subventionen, sondern auch mit niedrigen Energiepreisen. Das Angebot wollen sich viele Firmen nicht entgehen lassen. So hat der Gütersloher Hausgerätehersteller Miele entschieden, sein erstes Produktionswerk in Amerika zu bauen. An den deutschen Fertigungsstätten Bünde, Oelde und Arnsberg stoße man an seine Grenzen, hatte das Traditionsunternehmen erklärt. Der Gelsenkirchener Spezialschlauch-Hersteller Masterflex will die Produktion ausweiten und schielt dabei in die USA und nach Singapur.
Evonik investiert in USA
Der Essener Chemiekonzern Evonik hat schon im März den Grundstein für eine Fabrik in Lafayette zwischen den US-Metropolen Chicago und Indianapolis gelegt, die Impfstoffe und Medikamente gegen Krebs herstellen soll. „Die amerikanische Regierung unterstützt dieses Projekt“, lobte seinerzeit Evonik-Chef Christian Kullmann. Die Anlage soll 220 Millionen Dollar kosten. Mit bis zu 150 Millionen Dollar wollen sich die USA über ihre Biomedical Advanced Research and Development Authority beteiligen.
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Der Duisburger IHK-Präsident Werner Schaurte-Küppers zeigt Verständnis für die Reaktionen der Firmen. „Wir Familien-Unternehmer fühlen uns dem Standort Deutschland eng verbunden. Die Belastungen der Wirtschaft sind hier aber nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte er unserer Redaktion. Schaurte-Küppers zieht mit seinem eigenen Unternehmen, den Weseler Hülskens Werken, selbst die Konsequenzen. Die auf Wasserbau, Rohstoff-Gewinnung, Beton-Produktion und Logistik spezialisierte Gruppe habe entschieden, sich „auf den Weg nach USA, Südamerika und andere Länder“ zu machen. Schaurte-Küppers: „So sichern wir Arbeitsplätze und Wertschöpfung auch hier an Rhein und Ruhr.“
Abhängigkeit von China
Deutsche Unternehmen schätzen aber nicht nur die aktuell guten Bedingungen in den USA. Die schwarz-grüne Landesregierung und die IHKs in NRW haben bei einer Veranstaltung im April für einen Markteinstieg in den ASEAN-Staaten Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam geworben. Auch mit dem Ziel, sich aus den Fesseln von China zu lösen.
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Die Gefahr der Einseitigkeit sieht auch Commerzbank-Bereichsvorstand Otto. „Der deutsche Mittelstand ist aktuell zu abhängig von China. Es ist richtig, dass sich viele Kunden zusätzliche Standbeine aufbauen. Diversifikation ist das Gebot der Stunde. Dabei unterstützen wir unsere Kunden“, sagte er unserer Redaktion.
Corona, Inflation, Krieg in der Ukraine, Lieferkettenprobleme, Energieknappheit – aus all diesen Krisen in kürzester Zeit seien kleine und mittlere Unternehmen unter dem Strich gestärkt hervorgegangen. „Mir ist um den Mittelstand überhaupt nicht bange“, erklärt Otto, und fügt zugleich hinzu: „Er braucht aber die Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Wichtig wäre es beispielsweise, Bürokratie abzubauen, die den Mittelstand stark hemmt. Es ist wichtiger denn je, dass wir es den Unternehmen einfacher machen.“
>>> Kiekert holt Produktion nach Heiligenhaus zurück
Gegen den Trend hat die Kiekert-Gruppe, Weltmarktführer für Auto-Schließsysteme, entschieden, die Produktion von Tschechien nach Heiligenhaus zurückzuholen. „Ich bekomme nur Top-Ingenieure, wenn ich das Werk gleich nebenan habe. Das ist in der Rhein-Ruhr-Region der Fall“, sagte Kiekert-Chef Jérôme Debreu unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion.
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