Essen. Riesige Mengen von Mikroplastik werden durch Reifenabrieb im Verkehr freigesetzt. Die Hersteller arbeiten fieberhaft an Lösungen, die Uhr tickt.
Jahr für Jahr werden in Deutschland aus dem Abrieb von Autoreifen Tonnen von Mikroplastik freigesetzt. In den Straßenschluchten der NRW-Großstädte wird das zu einem Problem, dessen Folgen weitgehend unerforscht sind. Es gibt Lösungen, sagt Ralf Bertling vom Fraunhofer Institut Umsicht in Oberhausen. Ein Blick auf das, was möglich ist.
Aufgabe für Stadtplaner: Verkehrsflüsse optimieren
Ein Team des Umsicht-Instituts hat im Verbund mit anderen Forschern hat die Verbreitungswege des Reifenabriebs kartographiert. „In unserer Studie TyreWearMappig ist herausgekommen: Die Hotspots liegen nicht nur da, wo schnell und viel gefahren wird, etwa auf Autobahnen. Es sind vor allem größere Straßen mit viel Stop-and-Go-Verkehr“, sagt Bertling. „Dort, wo viel gebremst oder beschleunigt wird, findet sich deutlich mehr Reifenabrieb.“
Karten der Hotspots könnten Kommunen helfen, Verkehrsflüsse, Ampelschaltungen und Straßen so zu planen, dass Fahrzeuge weniger Abrieb erzeugen. Auch können die Karten anzeigen, an welchen Straßenabschnitten Filter für Gullys besonders Sinn machen. Forscher der TU Berlin haben so genannte Urbanfilter für Straßenabläufe entwickelt. Sie sollen Reifenabrieb und Mikroplastik auffangen und so verhindern, dass die Partikel ins Abwasser gelangen.
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Lösungen könnten auch durch Künstliche Intelligenz und Digitalisierung kommen, hofft Bertling. „Man könnte etwa die Fahrzeugsteuerung so intelligent machen, dass sie das Drehmoment des Antriebs zurücknimmt, bevor Abrieb entsteht.“ Auch der Gesetzgeber könne zur Lösung beitragen, so Bertling, zum Beispiel durch Tempolimits: „Es spielt eine große Rolle, ob Fahrzeuge lange Zeit über 130 km/h fahren oder 100 km/h. Langsamer fahrende Fahrzeuge verursachen in der Regel weniger Abrieb.“
Hersteller entwickeln neue Gummimischungen
„Den Reifenherstellern ist das Problem bewusst, sie arbeiten an Lösungen, etwa durch die Entwicklung verschleißärmerer Reifen“, sagt Umsicht-Experte Bertling. Deutschlands größter Reifenhersteller Continental etwa will „bis 2030 mehr als 40 Prozent nachwachsende und recycelte Materialien“ in seinen Reifen verwenden, teilte ein Sprecher auf Anfrage dieser Redaktion mit. „Wir arbeiten intensiv an der Optimierung sowohl des Reifendesigns als auch der Zusammensetzung unserer Reifenmischungen, um den Eintrag in und die Wirkung auf die Umwelt zu reduzieren.“ Nach heutigem Wissensstand aber werde Reifen- und Straßenabrieb immer entstehen, um kontrollierbares und sicheres Beschleunigen und Bremsen sowie stabile Kurvenfahrten zu ermöglichen., so der Sprecher. „Daher ist es unser Ziel, Abriebpartikel, die von Reifen stammen, zum einen zu verringern und zum anderen so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten.“
Auch Michelin setzt auf die Entwicklung besonders langlebiger Reifen. Nach eigener Aussage hat der Hersteller den Reifenabrieb im Schnitt um fünf Prozent reduziert. „Aber wir wissen bis heute nicht, wie wir einen Reifen herstellen können, der sicher ist und auf der Straße hält und gleichzeitig keine Partikel-Emissionen verursacht“, sagte Cyrille Roget, Sprecher für den Bereich Innovation, Im Interview mit der Deutschen Welle.
Tipps für den Reifenkauf: So finden Sie verschleißarme Modelle
Der ADAC hat in eigenen Tests festgestellt, dass der durchschnittliche Abrieb eines Fahrzeuges für alle vier Reifen bei rund 120 Gramm pro 1000 Kilometer liegt. Zwischen Sommer-, Winter- und Ganzjahresreifen gebe es dabei keine generellen Unterschiede.
In den Tests erforscht der Automobilclub regelmäßig auch die Umwelteigenschaften von Reifen, insbesondere den Verschleiß durch Abrieb. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse hat der ADAC auf dieser Seite veröffentlicht. Einen überdurchschnittlich hohen Reifenabrieb fanden die Tester bei Sommerreifen der Größe 225/40 R18. In dieser Größe wurden laut ADAC speziell die sportlichen Reifenmodelle getestet. Auffällig war auch der hohe Verschleiß bei Winterreifen der Größe 195/65 R15, die für Kompaktfahrzeuge und Vans passend seien.
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Einen besonders niedrigen Verschleiß stellten die Tester bei der Reifengröße 185/65 R15 fest. Bei diesen für Kleinwagen gedachten Reifen gebe es insbesondere bei den Sommerreifen eine Vielzahl an Modellen, die deutlich weniger als 100 Gramm pro 1000 km an Reifenabrieb produzierten, so der ADAC.
Bei den Herstellern hätten Michelin und Goodyear bei den Umwelteigenschaften wie auch bei der Sicherheit überzeugt. Mit nur 59 Gramm Abrieb pro 1000 Kilometer erzielte ein Sommerreifen von Continental in der Größe 185/65 R15 das beste Ergebnis.
Wie Autofahrer den Abrieb ihres Fahrzeugs verringern können
Eine gleichmäßige und vorausschauende Fahrweise sorge nicht nur für einen geringen Kraftstoffverbrauch, sondern sorgt auch für einen geringeren Reifenverschleiß, rät der ADAC. Wichtig sei zudem, den Reifendruck regelmäßig zu kontrollieren. Ein zu niedriger Druck könne den Verschleiß ebenso erhöhen, wie ein zu hoher. Auch sollten die Achseinstellungen regelmäßig in einer Fachwerkstatt kontrolliert werden.
In erster Linie sei der Fahrzeugführer gefragt, so Bertling. „Wer moderat fährt, weniger Vollgas gibt und weniger stark bremst, kann die Menge des Abriebs deutlich vermindern. Wir schätzen, dass durch ein vorausschauendes und defensives Fahrverhalten 20 bis 40 Prozent weniger Abrieb möglich sind.“
Das schreibt die neue EU-Abgasnorm Euro 7 vor
Für Autoindustrie, Reifenhersteller und auch die Überwachungsbehörden in den Städten tickt die Uhr: Beginnend ab Juli 2028 schreibt die neue EU-Abgasnorm Euro 7 schrittweise strengere Regeln für Autoreifen vor. Neben dem Reifenabrieb wird darin auch der Abrieb von Bremsen erstmals reguliert.
Elektrofahrzeuge müssen bei den Grenzwerten für Bremsabrieb sogar schärfere Vorgaben erfüllen. Weil sie den Motor zum Bremsen nutzen, werden die Bremsscheiben deutlich weniger gefordert als die von Verbrennern. Anders sieht es beim Reifenabrieb aus: Weil Elektroautos ein höheres Gewicht und viel mehr Drehmoment haben, erzeugen sie zwischen 10 und 20 Prozent mehr Reifenabrieb als Verbrenner.