Essen. Kleinste Kunststoffpartikel lassen sich sogar im Hirn und im Herz nachweisen. Doch die Forschung zum Thema steht noch vor Hürden.
Forscher in Edinburgh haben es in ihrer Studie genau ausgerechnet: 68.415 Partikel Mikroplastik nimmt jeder Mensch jährlich über die Nahrung auf. Bis zu 121.000 weitere Teilchen über Abrieb und Staub, den er einatmet, und weitere 9000, wenn er Wasser aus Plastikflaschen trinkt. Macht zusammen fünf Gramm pro Kopf und Woche. Das entspräche einer Kreditkarte für jeden, befand der WWF.
Nachweisen lässt sich Mikroplastik im Körper tatsächlich schon recht gut. In fast allen Organen fanden Forscher bereits diese kleinsten Kunststoffpartikel. Doch was sie dort genau anrichten? Darüber weiß man noch wenig. Der Essener Pulmologe Prof. Francesco Bonella befasst sich seit Jahren mit Mikroplastik. Warum? „Die Lunge“, erklärt der Leiter des Zentrums für Interstitielle und Seltene Lungenerkrankungen an der Ruhrlandklinik der Essener Universitätsmedizin, „hat wie kein anderes Organ engsten Kontakt mit der Umwelt.“ Wir sprachen mit ihm über das Thema, das er ein „wirklich heißes“ nennt.
Ist „Mikroplastik“ für Mediziner ein Orchideenthema?
Obwohl es ein relativ neues Thema für uns ist, nimmt das Interesse zu. Immer mehr Mediziner nehmen das Thema ernst. Immer mehr Kongresse, Symposien und Publikationen greifen es auf.
Es scheint indes unstrittig zu sein, dass Mikroplastik ein gesundheitsrelevantes Thema ist. Was weiß man schon über gesundheitsschädigende Folgen?
Wir wissen, dass Mikroplastik über die Atemluft, die Nahrung oder das Wasser aufgenommen wird, und dass es über das Blut und die Lymphflüssigkeit in andere Organe transportiert wird. Wir wissen, dass die Inhalation von Reifenabrieb, bisher als sekundäre Mikroplastik klassifiziert, bestehende Lungenerkrankungen verschlimmern kann, bei Asthma und COPD liegen uns da schon einige Daten vor. Wir wissen, dass Einatmen von Mikro- oder Nano-Plastikpartikeln entzündliche und Stress-oxidative Reaktionen in den Zellen des betroffenen Gewebe auslösen kann.
In der Lunge zum Beispiel schaffen es die Alveolarmakrophagen (die Fresszellen der angeborenen Immunabwehr) nicht, diese Partikel zu verdauen. Das hat die Arbeitsgruppe von Prof. Babro Melgert an der Rijksuniversität Groningen in experimentellen Ex-Vivo-Modellen (die mit entnommenem lebendigen Gewebe arbeiten) untersucht. Das führt zur Freisetzung von schädlichen Stoffen, die erst entzündliche und dann Vernarbungsprozesse, Fibrosen, auslösen.
Was weiß man noch nicht?
Unklar ist etwa, ob Mikroplastik auch die Entstehung von Tumoren begünstigt. Die Inzidenzraten der Tumoren allgemein steigen an, nicht nur wegen feinerer Diagnostikverfahren und früherer Diagnose. Die Ansammlung von Mikroplastik im Körper, die chronische Stimulierung der Zellen könnte dabei eine Rolle spielen. Bisher haben die Studien aber nur Zusammenhänge, keine Kausalität, bei unterschiedlichen Krankheiten inklusive Schlaganfall und Demenz nachgewiesen. Ich denke, in fünf Jahren sehen wir klarer.
„Die Inzidenzraten der Tumoren allgemein steigen an (. . .) Die Ansammlung von Mikroplastik im Körper, die chronische Stimulierung der Zellen könnte dabei eine Rolle spielen.“
Behandeln Sie an der Ruhrlandklinik, das als Europäisches Zentrum für Seltene Lungenerkrankungen zertifiziert ist, schon Patienten, die durch Mikroplastik krank wurden?
Wir untersuchen die Konzentration der Mikroplastiken in Körperflüssigkeiten oder Gewebe noch nicht. Aber wir gehen davon aus. Wir betreuen zum Beispiel über 3000 Patienten mit Sarkoidose. Das ist eine Erkrankung, die auch durch den Kontakt mit solchen Noxen, etwa Silikon-Kristalle, getriggert werden kann.
Bislang lag der Fokus der Forschung auf den Schadstoff-Emissionen aus dem Auspuff von Fahrzeugen....
Richtig. Aber das durch den Reifenabrieb freigesetzte Mikroplastik – immerhin bis zu 30 Tonnen pro Jahr an großen Kreuzungen oder Autobahnen – landet in Luft und Wasser. Das könnte von extremer klinischer Relevanz sein. Neben den Emissionen wird dieses Thema daher auch wichtig werden für zukünftige Städteplanung. Wo gehören Wohnungen hin, wo Straßen? In Zürich arbeiten sie schon KI-gestützt an komplexen digitalen Stadtmodellen, die Fragen wie Reifenabrieb und Luftverschmutzung ebenfalls berücksichtigen. Auch darum ist das „Tyre Wear Mapping“ des Fraunhofer-Instituts (das detailliert zeigt, wo die Reifenabriebwerte wie hoch sind) so wichtig.
Woran scheitert denn bislang die systematische Forschung zum Thema Mikroplastik?
Es gibt sehr viele Hürden. Es sind immer Langzeitstudien und komplexe Messungen nötig. Es fehlt an Referenz- und Grenzwerten, wir wissen ja gar nicht, welche Mengen Mikroplastik pathologisch sind. Und für vergleichende Studien fehlt es an Probanden, in deren Körpern sich überhaupt kein Mikroplastik nachweisen lässt. Wir brauchen auch spezielle Lehrstühle für diesen Bereich. Und Sensibilisierungskampagnen. Denn es fehlt noch an Bewusstsein für die Gefahren von Mikroplastik. Wir leben ja in Plastik, wir kennen es nicht anders. Doch Eltern müssen wissen, dass von der „Indoor-Verschmutzung“ insbesondere ihre Kinder betroffen sind, dass man die nicht in synthetische Textilien stecken sollte, dass man unverpackt kaufen und Wasser aus dem Kran und nicht aus der Plastikflasche trinken sollte. Ich glaube nicht mehr, dass eine plastikfreie Welt möglich ist, aber wenn jeder im Kleinen eine Plastik-Hygiene anwenden würde, wäre schon viel gewonnen.
Was würde man denn mit den neu gewonnenen Erkenntnissen anfangen? Gibt es irgendwelche Therapieansätze?
Ganz heiße Frage.... Ich war zutiefst schockiert, als ich jüngst auf einem Kongress erfuhr, dass recyceltes Plastik noch schlimmer ist als neues. In der Tat werden beim Recycling komplexere Polymerstrukturen entstehen, die wahrscheinlich noch gefährlicher, unverdaulicher, für unsere Zellen sind. Die Lösung könnte also eigentlich nur eine sein: Plastik gar nicht mehr zu produzieren. Und für unsere Generation taugt die schon nicht mehr. Die Schäden, die Mikroplastik mutmaßlich etwa in der Lunge anrichtet, sei es Fibrose oder Entzündung, können Sie nur noch stoppen. Man kriegt Mikroplastik aus dem Körper nicht mehr raus.