Essen. Stromkonzerne sollen Gaskraftwerke als Kohle-Ersatz bauen. Ende 2024 sollte es losgehen, nun ist alles offen. Sorge auch um Wasserstoff-Hochlauf.

Das Platzen der Ampel-Koalition kommt zumindest für die Stromkonzerne in Deutschland zur Unzeit. Ende des Jahres sollten die ersten Ausschreibungen für den Bau neuer Gaskraftwerke kommen. Das wäre schon reichlich knapp, weil sie ab 2030 die Kohlekraftwerke in Deutschland ersetzen sollen. Ob es nun überhaupt losgeht, ist mit dem Ampel-Aus plötzlich wieder offen. Das gilt ebenso für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, auf den die energieintensive Industrie hofft und den auch die Stromerzeuger brauchen, weil sie ihre Gaskraftwerke später mit Wasserstoff laufen sollen. Die Wirtschaft ist alarmiert.

Ohne neue Gaskraftwerke kein Kohleausstieg. Auf diese Formel haben sich die Energiewirtschaft und die Bundesregierung gleich nach dem Start der Ampel vor drei Jahren verständigt. Auf das sogenannte Kraftwerkssicherheitsgesetz, mit dem der Umstieg angeschoben werden und der geplante Kohleausstieg 2030 überhaupt erst ermöglicht werden soll, warten die Stromkonzerne und Stadtwerke bis heute.

RWE-Chef Krebber: „Wir können uns keinen Stillstand leisten“

RWE-Chef Markus Krebber, der immer wieder gemahnt hatte, der Start müsse „spätestens in diesem Jahr“ kommen, sagte unserer Redaktion im Lichte des Regierungsbruchs: „Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, können wir uns keinen Stillstand leisten. Das gilt auch für den Bau neuer wasserstofffähiger Gaskraftwerke.“ Da ein politischer Konsens für den Bau der Anlagen bestehe, „würde ich mir daher wünschen, dass das angekündigte Gesetz, das den Weg dafür frei machen soll, jetzt trotzdem noch rasch kommt.“

Auch interessant

Zuerst dauerte es länger als geplant, bis der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck den ersten Entwurf vorlegen konnte. Zuletzt sorgte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner für Verzögerungen, weil er mit Habeck lange über die Finanzierung stritt, insbesondere darum, ob und wie künftig der Betrieb dieser Kraftwerke vergütet werden soll. Doch im Sommer kam die Einigung. Noch in diesem Jahr sollte das Gesetz beschlossen und danach unmittelbar die Ausschreibung neuer Gaskraftwerke gestartet werden. Ob das nach dem Ende der Ampel, möglicherweise mit Stimmen aus der Union, doch noch durch den Bundestag kommt? Die Branche bangt und hofft darauf.

Andreas Reichel, Chef des Essener Energiekonzerns Steag, richtet einen dringlichen Appell „an alle politisch Handelnden in Berlin, das KWSG zeitnah zu verabschieden, damit die erforderlichen Rechtsgrundlagen für die Zukunfts-Investitionen der Energiebranche geschaffen werden. Jetzt kommt es aufs Tempo an: ab 2030 braucht Deutschland neue wasserstofffähige Gaskraftwerke.“

Stadtwerke-Verband: „Inbetriebnahme 2030 ist ohnehin unrealistisch geworden“

Auch die Stadtwerke hatten immer wieder zur Eile gemahnt. „Jetzt rächt sich, dass die Kraftwerksstrategie viel zu lange aufgeschoben wurde. Eigentlich sollten die Ausschreibungen ja schon im vergangenen Jahr stattgefunden haben“, sagt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), der für die rund 900 Stadtwerke in Deutschland spricht. Durch die ohnehin schon eingetretenen Verzögerungen seien „die ursprünglichen Zeitpläne mit Inbetriebnahme der Kraftwerke im Jahr 2030 ohnehin unrealistisch geworden“.

Ab dem Jahreswechsel sollten in vier Etappen Gaskraftwerke mit einer Kapazität von zehn Gigawatt (GW) ausgeschrieben werden, das wären rund 20 Kraftwerke. Weitere zwei GW sollen durch Modernisierung bestehender Kraftwerke hinzukommen. Sie alle sollen binnen acht Jahren auf Wasserstoff umstellen. 0,5 GW sollen aus „Sprinter“-Kraftwerken kommen, die sofort mit Wasserstoff laufen. Die Unternehmen können bis zu 80 Prozent ihrer Kosten als Investitionsförderung erstattet bekommen. Wer in der Auktion die geringste Fördersumme verlangt, erhält den Zuschlag.

Steag-Chef Reichel appelliert an Parteien, das Gesetz rasch zu verabschieden

RWE und die Steag hatten frühzeitig erklärt, sich daran beteiligen zu wollen. Steag-Chef Chef Reichel betont gegenüber unserer Redaktion, die Verabschiedung des Kraftwerkssicherheitsgesetzes habe höchste Priorität für verlässliche Energieversorgung in Deutschland. „Das Zerbrechen der Regierungskoalition darf nicht zu weiteren Verzögerungen führen, nachdem wir bei diesem wichtigen Thema schon viel wertvolle Zeit verloren haben.“

VKU-Geschäftsführer Liebing ist da skeptisch, er befürchtet, „dass die aktuelle politische Krise eher zu einer weiteren längeren Hängepartie samt Verunsicherungen führt“. Er fordert deshalb schnelle Neuwahlen. RWE-Chef Krebber hofft dagegen auf eine Entscheidung noch unter der alten, jetzt rot-grünen Regierung. Denn: „Eine Pause, bis eine neue Regierung handlungsfähig ist, wirft uns nur unnötig weiter zurück.“

Luftbild, BraunkohleTagebau Inden der RWE Power AG, Versorgung des Kraftwerks Weisweiler,  Schaufelradbagger, Rheinisches Braunkohlerevier, Inden, Rheinland, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Die Braunkohle-Tagebaue von RWE im Rheinland sollen wie die Kraftwerke 2030 stillgelegt werden. Ob das klappt, ist zunehmend fraglich, weil der Bau der Ersatzkraftwerke sich verzögert. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey www.luftbild-blossey.de

Die Stromversorgung sichern sollen neben Gaskraftwerken auch neue Langzeitstromspeicher, in der Hoffnung, dass sich die Technik in den kommenden Jahren derart fortentwickelt, dass die Speicherung von Ökostrom den Bau weiterer fossiler Kraftwerke überflüssig macht. Denn die insgesamt 12,5 GW reichen als Absicherung für Zeiten, in denen zu wenig Wind weht und die Sonne sich versteckt, bei weitem nicht aus. Experten gehen von mehr als 20 GW aus, die es auch nach 2030 noch braucht, um die Stromversorgung ohne Kohle sichern zu können.

Bau eines Gaskraftwerks dauert sechs Jahre

Da von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines Gaskraftwerkes aktuell rund sechs Jahre vergehen, ist es schon heute unwahrscheinlich, dass der von der Ampel angestrebte Kohleausstieg 2030 noch zu schaffen ist. Ebenso das in NRW von der schwarz-grünen Landesregierung und RWE sogar fest vereinbarte Ende der Braunkohle im Jahr 2030. Die besonders klimaschädlichen Braunkohleblöcke sind aktuell noch elementar für die Stromversorgung etwa des Ruhrgebiets, aber auch des Südwestens von NRW. Sie speisen auch die Stromautobahnen Richtung Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Damit der regelbare Grundlaststrom möglichst eins zu eins durch Strom aus Gas und später grünem Wasserstoff ersetzt werden kann, sollen die neuen Kraftwerke vorzugsweise an vorhandenen Standorten gebaut werden. Das noch von der Ampel auf den Weg gebrachte Wasserstoff-Kernnetz und örtliche Verteilnetze sollen die Kraftwerksbetreiber, aber auch die Industrie mit dem designierten Energieträger der Zukunft versorgen.

Auch beim Wasserstoff-Hochlauf drohen weitere Verzögerungen

Und hier droht schon das nächste Problem bzw. die nächste Verzögerung durch das Ampel-Aus: Zwar ist die von Lindner geforderte Abschaffung des Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft mitfinanziert werden soll, mit der Entlassung des FDP-Chefs als Finanzminister vorerst vom Tisch. Aber ob eine neue Regierung ihn fortsetzt, ist offen. Im Haushaltsentwurf für 2025 waren 491 Millionen Euro für die Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehen, doch eben über diesen Haushalt zerbrach die Koalition.

Auch für bereits zugesagte, aber noch nicht geflossene Fördermittel muss die Finanzierung im Zweifel neu geklärt werden. Für das Ruhrgebiet und NRW eminent wichtig ist etwa das Projekt „GetH2“, mit dem Konzerne wie RWE, BP, Evonik, Salzgitter sowie die Netzbetreiber OGE und Thyssengas Leitungen und Speicher bauen wollen, um industrielle Verbraucher mit Wasserstoff zu versorgen. Das Land NRW hat dafür 59 Millionen Euro an Förderung versprochen, der Bund 137 Millionen Euro. Für die vielen Vorarbeiten sind die Unternehmen längst in Vorleistung getreten.