Essen. Krebber fordert Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke noch 2024. Sonst könnten sie nicht wie geplant bis 2030 ans Netz und die Kohle ersetzen.
Alarm bei RWE: Wie im Rest von Nordrhein-Westfalen heulen die Sirenen auch in der Jahrespressekonferenz des Energieriesen - allerdings nicht nur um 11 Uhr, sondern immer wieder. Denn die Taktik, die Handys vorher auszuschalten, erweist sich als doch nicht so schlau, weil jedes, das jemand wieder anschaltet, verlässlich lärmt. Akute Katastrophenwarnung will geübt sein. Was das Land nicht so gut beherrscht, ist der Umstieg auf grüne Energien, um die Klimakatastrophe verhindern zu helfen. RWE-Chef Markus Krebber schickt deshalb gleich mehrere Warnsignale aus Essen nach Berlin und Brüssel.
So haben sich RWE und andere Stromerzeuger bereit erklärt, neue Gaskraftwerke zu bauen, um möglichst bis 2030 die letzten klimaschädlichen Kohlekraftwerke zu ersetzen. Die Eckpunkte für die bereits vor einem Jahr versprochene Kraftwerksstrategie hat die Bundesregierung nach langem Ringen zwischen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zwar inzwischen vorgelegt. Aber: „Die Ausgestaltung ist noch offen, da drängt inzwischen wirklich die Zeit“, mahnt Krebber. Die ersten Ausschreibungen müssten „spätestens in diesem Jahr“ kommen, damit die Kraftwerke noch in diesem Jahrzehnt ans Netz gehen können.
RWE-Chef: LNG-Tempo als Blaupause für den Netzausbau
Versprochen hat das die Regierung, aber es wäre nicht ihr erster Zeitplan, den sie reißt. Krebber fordert hier eine „substanzielle Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren“. Dafür nennt er den Bau der Flüssiggasterminals nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine und den von der Ampel beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien als „Blaupause“. Sprich, jenes von Kanzler Olaf Scholz (SPD) beschworene „Deutschlandtempo“, das vor allem beim Netzausbau und den Gaskraft-Neubauten noch nicht angekommen ist.
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Immer mehr Branchengrößen bezweifeln deshalb, ob die Abschaltung der Kohleblöcke bis 2030 zu schaffen sei, zuletzt auch Uniper-Chef Michael Lewis. Dieses Datum ist grundsätzlich mit dem elastischen Attribut „idealerweise“ versehen, konkret vereinbart hat es bisher nur RWE mit der Regierung für seine Braunkohlekraftwerke und Tagebaue im rheinischen Revier. Dennoch gibt sich Krebber hier entspannt. Der Kohleausstieg 2030 sei „noch machbar“, sagt er, aber: „Ob es eine Punktlandung wird oder ein, zwei Jahre länger dauert - das wäre auch kein Beinbruch.“
Kein Beinbruch für RWE und seine rund 20.000 Beschäftigten: Wenn die Energiewende zu langsam voranschreitet und die Kohlekraftwerke länger gebraucht werden, wäre es an der Politik zu entscheiden, ob und welche Kohleblöcke erhalten bleiben sollen. Sie müsste dann auch die Kosten tragen, „das ist dann kein finanzielles Risiko mehr für uns“, betont Krebber, auch wenn man Eigentümer und Betreiber bleibe. Was den RWE-Chef viel mehr umtreibt als das glatte Ausstiegsdatum, sind andere politische Entscheidungen oder Nichtentscheidungen.
RWE kritisiert unabgestimmten Ausbau der Stromnetze und der Erneuerbaren
So sei es ein Fehler, dass in Deutschland der Zubau von Ökostrom und der Netzausbau nach wie vor weitgehend getrennt voneinander organisiert werden. „Da passt einiges noch nicht zusammen“, sagt Krebber - sowohl bei den großen Übertragungsnetzen als auch den örtlichen Verteilnetzen. RWE merkt das, wenn etwa Meereswindparks vom Netz abgeklemmt werden, weil es sonst überlastet würde. Zu schwache Verteilnetze sorgten zudem dafür, dass zum Beispiel fertige Solaranlagen betriebsbereit sind, aber noch nicht ans Netz angeschlossen werden können. Das bremst nicht nur den Ökostromausbau, sondern treibt auch die Strompreise.
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Regelrecht verärgert ist der RWE-Chef über den in Brüssel politisch verschuldeten Preisverfall der europäischen Zertifikate, die Verursacher für den Ausstoß einer Tonne CO₂ kaufen müssen. Sie verteuern etwa Strom aus Kohle oder konventionell hergestellte Industrieprodukte wie Stahl. Doch der Preis ist binnen Jahresfrist von in der Spitze über 100 Euro auf unter 40 Euro gesunken. Was seine Vorgänger noch als Gefahr für die deutsche Industrie samt Stromerzeugung verteufelt haben, preist Krebber als das zentrale Element für Europas „Green Deal“ auf dem Weg zur Klimaneutralität. Das kann er, weil Kohlestrom nicht mehr zum Kerngeschäft von RWE gehört und die Essener stattdessen 75 Milliarden Euro bis 2030 in Erneuerbare Energie investieren wollen.
RWE-Chef Krebber: EU gefährdet ihr wichtigstes Klimaschutz-Instrument
Für den Preisverfall der Klimazertifikate macht Krebber die von der EU-Kommission vorgezogenen Auktionen verantwortlich, mit denen sie 20 Milliarden Euro an zusätzlichen Haushaltsmitteln einsammeln will. „Das gefährdet die europäische Klimaarchitektur“, schimpft Krebber, und das nur, weil „einer um die Ecke kommt und mehr Geld braucht“. Die EU-Kommission gefährde auf diese Weise die Verlässlichkeit des wichtigsten europäischen Klimaschutz-Instruments.
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Doch der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Stromerzeugers sieht auch positive Entwicklungen, vor allem in Habecks Wirtschaftsministerium. Der Vorstoß des grünen Ministers, gegen Einwände von Umweltschützern und große Teile der grünen Basis die Abscheidung und Verpressung von CO₂ unter dem Meeresboden der Nordsee zu erlauben, begrüßt er ausdrücklich. Das Öffnen für diese CCS-Technologie sei „für die deutsche Industrie von enormer Bedeutung“. Für RWE selbst aber eher nicht. Grundsätzlich wäre es möglich, auch in den Gas- und Kohlekraftwerken das Treibhausgas aufzufangen. Da sie aber künftig nur noch selten laufen würden, wenn der Strom aus Wind und Sonne nicht ausreicht, wäre der Einbau dieser Technik viel zu teuer und damit unwirtschaftlich. Auch ohne werde der CO₂-Ausstoß der Braunkohlekraftwerke am Ende dieses Jahrzehnts aber „sehr überschaubar“ sein, versichert Krebber.
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Der Dax-Konzern hatte seine Jahresbilanz samt Rekord-Nettogewinn von 4,5 Milliarden Euro bereits im Januar unter Vorbehalt veröffentlicht. An den vorläufigen Zahlen hat sich nichts geändert. Der operative Gewinn stieg um ein Drittel auf rund 8,4 Milliarden Euro. Bilanziell ist RWE bereits vorwiegend grün geworden, so resultiert der allergrößte Teil des Gewinns aus den Erneuerbaren Energien und dem Großhandel, während die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke im rheinischen Revier und das vor einem Jahr abgeschaltete letzte Atomkraftwerk weniger Geld einbrachten.
RWE-Vorstand plant Dividendenerhöhung auf 1,10 Euro je Aktie
An diese Zahlen wird RWE nach eigener Prognose in diesem Jahr nicht herankommen, der operative Gewinn wird auf 5,2 bis 5,8 Milliarden Euro sinken. Dafür sorgen vor allem die zuletzt stark gesunkenen Strompreise, die Krebber als „Normalisierung“ verbucht. Und zugleich betont, für die Industrie und den Standort Deutschland sei das eine positive Entwicklung. Für das Rekordjahr 2023 schlägt der RWE-Vorstand den Aktionärinnen und Aktionären eine von 90 Cent auf einen Euro angehobene Dividende je Aktie vor, für 2024 soll sie auf 1,10 Euro Euro steigen.