Essen. Kleine und mittlere Unternehmen in NRW sind besonders von hohen Energiepreisen betroffen. Trotzdem investieren sie. Wo es Aufholbedarf gibt.
Die Wirtschaftsverbände übertreffen sich angesichts der Konjunkturkrise gerade gegenseitig mit negativen Einschätzungen und Prognosen. Als Lichtblick im düsteren Stimmungsdickicht hebt sich da eine Studie der Commerzbank auf. Sie kommt zwar zu dem Schluss, dass kleine und mittlere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen im besonderen Maße von den aktuellen Krisen betroffen sind. Sie ziehen aber größtenteils ihre geplanten Investitionen durch und blicken weitgehend positiv in die Zukunft.
Leonardo Barone ist Mitglied der Geschäftsleitung der Commerzbank in Essen, die große Teile des Ruhrgebiets abdeckt. Er und sein Team betreuen zahlreiche Unternehmerkunden bis zu einem Jahresumsatz von 15 Millionen Euro – Familienbetriebe, Handwerker, Freiberufler. „Den überwiegenden, verhaltenen Optimismus der Mittelständler spüren wir auch in unseren Beratungsgesprächen. Jetzt kommt es aber auch darauf an, dass dieser Optimismus manifestiert wird“, sagt Barone im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenig überraschend wünschen sich die Mittelständler dafür an erster Stelle den Abbau von Bürokratie und steuerliche Entlastungen.
Sinkende Energiepreise kommen in NRW mit Verzögerung an
Das positive Gefühl des Bankers, das er nach eigenen Angaben aus vielen Begegnungen mitgebracht habe, bestätigt jetzt auch eine repräsentative Umfrage, die die Commerzbank beim Meinungsforschungsinstitut Ipsos in Auftrag gegeben hat. „Zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen in NRW sehen ihre wirtschaftliche Lage als gut oder stabil an. Im Bundesdurchschnitt sind es allerdings drei Viertel“, sagt Barone und liefert dafür eine Erklärung. „Das zeigt, dass es hier besonders viele Autozulieferer, Metall- und Stahlunternehmen, aber auch Maschinenbauer gibt, die besonders unter den hohen Energiepreisen leiden, da sich die Effekte der sinkenden Energiepreise erst mit Verzögerung bemerkbar machen.“
Obwohl die Rezession kleine und mittlere Betriebe in NRW vergleichsweise hart trifft, lassen sie sich offensichtlich nicht von der schlechten Grundstimmung in der Wirtschaft anstecken. „Es ist ein positives Signal, dass 55 Prozent der Mittelständler wie geplant ihre Investitionsvorhaben realisiert haben. Das bedeutet, dass sie trotz Konjunkturkrise an ihre Unternehmen glauben. Im Bundesdurchschnitt waren es nur 44 Prozent“, hebt Barone hervor.
Commerzbank: Mehr Aufklärung für Mittelstand bei KI
Nur 19 Prozent der Mittelständler in NRW planen demnach keinerlei Investitionen. 51 Prozent wollen Geld in Anlagen, Maschinen, Technik und IT stecken, 45 Prozent in Digitalisierung und Prozessoptimierung. An dieser Stelle sieht der Banker einen Nachholbedarf, vor allem beim Zukunftsthema KI. „Ich würde mir wünschen, dass Themen wie Digitalisierung und Prozessoptimierung nicht nur auf Platz zwei stehen“, sagt er. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass KI Gefahren berge.
„Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht im Mittelstand viel mehr. Die Unternehmen schauen viel zu sehr auf die Risiken und zu wenig auf die Chancen. Da hilft nur weitere Aufklärung“, fordert Barone. Der Commerzbank-Studie zufolge setzen in NRW gerade einmal 27 Prozent der kleineren und mittleren Unternehmen KI - insbesondere in Verwaltung und Buchhaltung - ein. Bundesweit sind es 25 Prozent. 31 Prozent der NRW-Mittelständler gaben an, dass Künstliche Intelligenz auch künftig für das eigene Unternehmen keine Rolle spielen werde. Bundesweit sind es sogar 39 Prozent.
Viele Mittelständler verzichten bei Investitionen auf Kredite
Dafür stellen die Firmen bis zu einem Jahresumsatz von 15 Millionen Euro ihre Bodenständigkeit unter Beweis. Laut Umfrage wollen in NRW 68 Prozent von ihnen die Investitionsvorhaben über den Cashflow, also aus den Einnahmen aus dem laufenden Geschäft, finanzieren. Bundesweit sind es 59 Prozent. 63 Prozent der Mittelständler in NRW wollen für Investitionen auf betriebliche Rücklagen zurückgreifen und nur 28 Prozent dafür Kredite aufnehmen. Barone: „Das spricht insgesamt für eine gesunde Finanzbasis der Unternehmen in NRW und einen bewussten Umgang mit vorhandenen Mitteln.“
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