Essen. Metall- und Elektroindustrie steht vor einem harten Konflikt. Arbeitgeber: Stecken in Rezession. Wie die Gewerkschaft ihre Forderung begründet.
Das wird ein heißer Herbst in der Metall- und Elektroindustrie: Die IG Metall hat für die mit Abstand größte Industriebranche mit ihren fast vier Millionen Beschäftigten eine satte Lohnforderung beschlossen: Sieben Prozent mehr Geld will die Gewerkschaft in den Tarifverhandlungen holen, das hat der Vorstand der Gewerkschft am Montag in der Frankfurter Zentrale beschlossen und verkündet. Es ist eine Kampfansage. Denn dem steht im wichtigsten Metallbezirk Baden-Württemberg, in dem meist der Pilotabschluss für ganz Deutschland erzielt wird, die Forderung der Arbeitgeber nach einer Nullrunde gegenüber.
Damit bringen sich die Tarifpartner in der deutschen Leitbranche, deren Lohnabschlüsse stets Signalwirkung auf viele andere Branchen haben, ungewöhnlich früh ungewöhnlich frontal in Stellung. Die erste Verhandlungsrunde ist für den 16. September terminiert, erste Warnstreiks kann es nach Ende der Friedenspflicht erst Ende Oktober geben. Bleibt demnach viel Zeit für Diskussionen - auch in der Politik, was Gewerkschaften und Arbeitgeber ja gar nicht so gerne sehen.
Metall-Arbeitgeber: Es gibt nichts zu verteilen
„Es gibt nichts zu Verteilen. Eine Forderung jenseits der Nullrunde seitens der IG Metall wäre in die Schublade ‚Mangelnde Verantwortung für den Standort Deutschland’ zu stecken“, sagte Harald Marquardt, der Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber in Baden-Württemberg. „Respektlos“ nannte das IG-Metall-Chefin Christiane Benner vor Journalisten. Die erste Vorsitzende hält in der wichtigsten Tarifrunde des Jahres traditionell die Zügel höchstselbst in der Hand.
Die IG Metall strebt diesmal eine harte Lohnrunde an, ein ordentliches Plus ist den Beschäftigten am wichtigsten, wie eine Umfrage der IG Metall unter den Betriebsräten eindeutig ergab. Sieben Prozent höhere Entgelte für eine Laufzeit von zwölf Monaten und ein pauschales Plus von 170 Euro für Auszubildende, damit sie, die von der Inflation der vergangenen Jahre besonders getroffen wurden, überproportional mehr erhalten. Um Arbeitszeiten wird es diesmal weniger gehen, schon gar nicht um die Vier-Tage-Woche, mit der die Gewerkschaft in die vergangene Stahlrunde gegangen war.
Forderung liegt in der Mitte der Erwartungen in den Metall- und Elektrobetrieben
Die nun beschlossene Forderung liegt genau in der Mitte der Erwartungen in den Belegschaften. Rund ein Drittel will sechs bis acht Prozent mehr, ein Drittel lag darunter, ein Drittel darüber. Die Gewerkschaft hält diese Zahl für vertretbar, obwohl die Umsätze in der Metall- und Elektroindustrie zuletzt ebenso gesunken sind wie die Auftragseingänge.
Vor zwei Jahren lagen die beiden Tarifpartner ähnlich weit auseinander. Am Ende stand ein Abschluss mit 8,5 Prozent mehr Lohn, verteilt auf zwei Jahre, plus 3000 Euro Inflationsprämie. Darauf verweist die Gewerkschaft auch jetzt angesichts der Arbeitgeberansage, es gebe nichts zu verteilen. Die vor zwei Jahren extrem hohe Inflation hat sich allerdings normalisiert, bewegt sich wieder auf die von den Notenbanken als normal angesehene Zwei-Prozent-Marke zu.
Umsätze und Auftragseingänge schrumpfen
Die IG Metall weiß das freilich und ebenso, dass der Pfeil in den wichtigen Kennziffern zuletzt nach unten zeigte: Die Umsätze der Branche sind mehrere Quartale in Folge gesunken, auch zwischen Januar und März 2024 um weitere 1,2 Prozent. Die Auftragseingänge sanken gar um 3,4 Prozent.
Allerdings sagten die Prognosen Besserung ab 2025 voraus, betont die IG Metall. Zudem komme man von einem hohen Niveau, entsprechend sei die Auftragslage immer noch gut. „Die Unternehmen verfügen über ein komfortables Auftragspolster, die Beschäftigten müssen ranklotzen“, sagte Tarif-Vorständin Nadine Boguslawski am Montag. Die Auftragsbücher seien derzeit über einen Monat länger als normal gefüllt. Gewerkschaftschefin Benner betonte, der „Attraktivitäts-Turbo“ für die duale Ausbildung solle insbesondere für Auszubildende und dual Studierende die gestiegenen Lebenshaltungskosten abfedern.
Gesamtmetall: IG Metall klingt, als befänden wir uns in einem Boom
„Die Metall- und Elektro-Industrie befindet sich weiterhin in der Rezession. Die genannten Vorstellungen klingen aber, als ob wir uns in einem wirtschaftlichen Boom befinden“, erwiderte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf auf die Forderungsempfehlung der IG Metall. Bei allem Verständnis für die Anliegen der Beschäftigten komm es gerade jetzt darauf an, den Standort zu stärken. „Ich hoffe, die Gremien der IG Metall nutzen die weiteren Beratungen, um zu einer realistischeren Einschätzung der Lage zu kommen“, erklärte Wolf.
Der Metallpräsident hatte im Gespräch mit unserer Redaktion unlängst eine düstere Prognose für die Leitbranche der deutschen Industrie abgegeben: „Ich schätze, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren 40.000 bis 50.000 Arbeitsplätze weniger haben könnten“, sagte er - und begründete dies mit den schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland, etwa die hohen Energiekosten.
IG Metall und Arbeitgeberpräsident fordern bessere Industriepolitik
In diesem Punkt sind Arbeitgeber und Gewerkschaft gar nicht so weit auseinander. Auch IG-Metall-Chefin Benner betonte am Montag, dass es in Deutschland „eine aktive Industriepolitik für die Zukunft des Standorts und für die Sicherung von Beschäftigung“ brauche. Und Richtung Ampel-Koalition in Berlin: „Da tun wir, was möglich ist. Aber Industriepolitik ist Aufgabe der Regierung.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Thyssenkrupp: Sorgen um historisches Großprojekt in Duisburg
- Billigmode: KiK-Chef Zahn: „Eine Riesensauerei, was da gerade passiert“
- Standort Ruhrgebiet: Verlässt Evonik Essen? Konzern erwägt Umzug
- HKM: Investor greift nach Thyssenkrupp-Tochter HKM: Was er vorhat
- Vonovia: Toter lag über zwei Jahre unbemerkt in seiner Wohnung in NRW