Düsseldorf. Der verstaatlichte Versorger Uniper fordert Entscheidungen der Bundesregierung für Gaskraftwerke. Mit Wärmepumpen wachse der Bedarf.
Der Chef des verstaatlichten Düsseldorfer Gas- und Stromkonzerns Uniper, Michael Lewis, erwartet einen aufwändigen und kostspieligen Umbau von Deutschlands Energieversorgung. „Ich bin nicht sorgenlos, was die Sicherheit unserer Versorgung mit Strom und Wärme betrifft“, sagte Lewis vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. „Damit es kein böses Erwachen gibt, müssen wir vorausschauend handeln.“
Der frühere Eon-Manager Lewis, der seit einem halben Jahr Uniper führt, mahnt schnelle Entscheidungen der Bundesregierung an, damit Deutschlands Energiekonzerne beginnen, neue Gaskraftwerke zu bauen. Es bestehe Handlungsbedarf, mahnt Lewis. „Es gibt ein erhebliches deutsches Defizit an sicherer Versorgungsleistung mit Strom. Vor allem hier brauchen wir einen Plan.“ Aktuell verfüge Deutschland über 86 Gigawatt an konventioneller Kraftwerksleistung mit Braunkohle, Steinkohle, Erdgas und Biomasse. Deutschland benötige neue Kraftwerke, die „ausreichend flexibel“ seien, „um im Falle der sogenannten Dunkelflauten die Stromversorgung sicherzustellen“, also dann, wenn aufgrund einer Wetterlage nicht genug Energie aus Wind und Sonne zur Verfügung stehe. Die Spitzenlast im Winter liegt nach Darstellung von Lewis bei rund 80 Gigawatt und könne „kaum mehr gedeckt werden“.
Uniper: Mit Wärmepumpen wächst der Strombedarf
Durch mehr Wärmepumpen zur Versorgung der deutschen Haushalte sowie eine Zunahme von Elektromobilität steige der Strombedarf, sagt der Uniper-Chef voraus. „Die Spitzenlast steigt weiter an durch die Elektrifizierung des Wärmesektors. Stichwort: Wärmepumpe.“ Die meisten Studien gingen von einer Erhöhung des Strombedarfs um 40 Prozent bis zum Jahr 2030 aus.
Es gebe daher nur zwei Optionen, so Lewis: entweder neue Gaskraftwerke oder der Weiterbetrieb alter Kohlekraftwerke. „Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir haben alle unsere Kernkraftwerke stillgelegt.“ Nach derzeitigem Stand müssten – um eine sichere Stromversorgung in Deutschland zu gewährleisten – noch mehrere Jahre lang alte Kohlekraftwerke in Betrieb bleiben.
In vergangenen Sommer hatte Uniper angekündigt, mehrere Kraftwerke schon im Frühjahr 2024 vom Netz nehmen zu wollen, unter anderem die Anlage „Staudinger 5“ im Großraum Frankfurt am Main, „Heyden 4“ im Weserbergland sowie „Scholven C“ in Gelsenkirchen. Dazu komme es nun nicht, berichtet der Uniper-Chef. Die Bundesnetzagentur habe entschieden, dass die Kohlekraftwerke weiterhin für eine stabile Versorgung benötigt würden. Alle Steinkohlekraftwerke, die in den nächsten drei Jahren stillgelegt werden sollten, müssten als Reserve bereitgehalten werden, teilweise bis in die 2030er-Jahre hinein. Damit seien auch entsprechende Emissionen des Klimagases Kohlendioxid (CO2) verbunden. Ein Kohleausstieg im Jahr 2030 sei aufgrund der Gegebenheiten kaum realistisch, sagt Lewis: „Es ist schwer vorstellbar, dass wir genug Gaskapazität bis 2030 aufgebaut haben.“
Uniper hat unlängst angekündigt, in den kommenden sechs Jahren mehr als acht Milliarden Euro in den Aufbau einer klimafreundlichen Energieversorgung zu investieren. „Wir wollen unsere Standorte möglichst schnell umrüsten und neue Anlagen bauen“, betont Lewis. Falls aber Planungssicherheit in Deutschland fehle, werde das Geld verstärkt ins Ausland fließen – nach Großbritannien, Schweden und in die Niederlande, wo Uniper ebenfalls aktiv ist.
Warten auf die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung
Die Investitionen müssten sich für die Unternehmen rechnen, sagt Lewis. Daher sei die Bundesregierung gefordert und müsse finanzielle „Anreize“ für den Bau von Gaskraftwerken geben, die später auf Wasserstoff umgestellt werden könnten. „Ohne festen Rahmen für die Vergütung wird niemand in Deutschland in neue Gaskraftwerke investieren.“ Das von Robert Habeck (Grüne) geführte Bundeswirtschaftsministerium habe schon vor Monaten eine „Kraftwerksstrategie“ angekündigt. „Bis heute liegt sie noch nicht vor. Das ist für die gesamte Branche sehr, sehr frustrierend“, sagt Lewis. „Wir warten nur auf das Signal, um loszulegen. Wir wollen investieren.“
Die Zeit dränge, mahnt der Konzernchef. „Der Bau eines neuen Gaskraftwerks dauert rund fünf Jahre.“ Hinzu komme, dass auch ein Umstieg der Kraftwerke von Erdgas auf Wasserstoff vorbereitet werden müsse. Der Betrieb eines Gaskraftwerks solle im Jahr 2035 nur noch mit Wasserstoff erlaubt sein. „Dazu bedarf es einer entsprechenden Wasserstoff-Infrastruktur – mit Pipelines, Elektrolyseuren, Import-Terminals und substanziellen Speicher-Möglichkeiten.“ Der Neubau eines unterirdischen Speichers dauere in Deutschland zehn bis elf Jahre. Speicher seien indes dringend erforderlich für Wasserstoff-Kraftwerke, da der Bedarf nach Energie saisonal unterschiedlich sei, erklärt Lewis. „Wir brauchen erst die Speicher, dann die Kraftwerke.“
Uniper-Chef Lewis: „Gigantische Summen“ für Energiewende nötig
Der Umbau der deutschen Energieversorgung werde viele Milliarden Euro in den kommenden Jahren kosten. „Auf den Staat, die Bürger und die Unternehmen kommen gigantische Summen zu“, sagt der Uniper-Chef. Der Staat allein könne das erforderliche Geld nicht aufbringen. „Das geht nur, wenn private Investoren mitmachen und eine angemessene Rendite bekommen.“
Es stehe viel auf dem Spiel für Deutschlands Wirtschaft, so Lewis. „Die Energiewende in Deutschland und in unseren anderen Kernmärkten ist gescheitert, wenn wir unsere Industrie opfern und unseren Wohlstand aufs Spiel setzen.“ Die Energiewende dürfe „nicht als Kosten-Tsunami daherkommen“. Schon heute sei Deutschland „ein Hochpreisland“ für Energie. „Wir dürfen den Bogen nicht überspannen.“
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Uniper ist aus dem Essener Energieversorger Eon entstanden. Vor rund acht Jahren hat der damalige Eon-Chef Johannes Teyssen die Geschäfte rund um Kohle und Gas aus dem Essener Energiekonzern gedrängt und in Uniper gebündelt. Mit einer milliardenschweren Rettungsaktion hat die Bundesregierung das Unternehmen nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt. Uniper war in eine existenzbedrohende Krise geraten, weil der russische Staatskonzern Gazprom seine Gaslieferungen an den deutschen Versorger zunächst gedrosselt und später eingestellt hatte. Plötzlich fehlte Deutschlands größtem Gashändler ein entscheidender Teil des Geschäftsmodells: Erdgas aus Russland.
Mittlerweile laufen die Geschäfte bei Uniper wieder rund. In der jüngsten Neun-Monats-Bilanz präsentierte das Unternehmen einen Gewinn in Höhe von fast zehn Milliarden Euro. Der Konzern gehört nahezu vollständig dem Staat. Zuständig für die Uniper-Aktien ist das von Christian Lindner (FDP) geführte Bundesfinanzministerium. Geplant ist, dass der Staat seine Beteiligung an Uniper von derzeit mehr als 99 Prozent spätestens bis zum Jahr 2028 auf einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie reduziert. Er sei optimistisch, dass der Bund mit einem Gewinn aussteigen werde, sagt Konzernchef Lewis.