Bochum. Suizid vorgetäuscht, in Namibia abgetaucht, jetzt vor Gericht: Wie ein Müllmakler giftige Ölpellets von BP am Niederrhein verschwinden ließ.
Sieht so einer der größten Umweltsünder des Landes aus? Ein Jahrzehnt und länger sind die ihm zur Last gelegten Taten inzwischen her, die als Ölpellet-Skandal bundesweit Schlagzeilen geschrieben haben. Es geht um die illegale Entsorgung schwer belasteter Raffinerie-Rückstände aus der Gelsenkirchener BP-Raffinerie in einer Tongrube zwischen Schermbeck und Hünxe am Niederrhein. Ingo L., ein bereits verurteilter Müllmakler, hat lange versucht, sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen.
Als Hauptverdächtiger der Bochumer Staatsanwaltschaft hat er 2017 zuerst seinen Suizid vorgetäuscht, ist dann in Namibia abgetaucht, wo ihn Zielfahnder des Bundeskriminalamts aufgriffen. Es folgten Untersuchungshaft, Prozess und Verurteilung wegen Bestechung und Steuerhinterziehung zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft. Nun sitzt Ingo L., der inzwischen in Mülheim an der Ruhr wohnt, wieder im Landgericht Bochum, flankiert von zwei Anwälten, hört Oberstaatsanwalt Martin Helm beim Verlesen der Anklage zu, schüttelt hin und wieder den Kopf. Sagen wird er beim Prozessauftakt nichts, sein Anwalt kündigt später aber ein Geständnis im Hauptanklagepunkt an. In zwei Wochen will er es ablegen.
Anklage: Giftige Ölpellets „endgültig der Natur überlassen“
Ingo L. habe mit einem weiteren bereits verurteilten Müllhändler aus Gahlen „gemeinschaftlich und vorsätzlich“ hoch belastete Ölpellets illegal und gewerbsmäßig in besagter Tongrube verklappt, sagt der Staatsanwalt. Dies aus reiner Gewinnsucht, die ein „sittlich anstößiges Maß“ überschreite. Er habe eine „bewusste, ausgeklügelte Kaskade“ aufgebaut, mit der die hoch belasteten Ölpellets illegal vermischt, falsch deklariert und als vermeintlich harmloser Abfall getarnter Sondermüll auf der Halde am Niederrhein verklappt „und damit endgültig der Natur überlassen wurden“, wie es Oberstaatsanwalt Helm formuliert. Zum Schaden der Umwelt. Alles mit dem Ziel, die Behörden zu täuschen und möglichst viel Geld damit zu machen.
Geld vor allem von der BP-Tochter Ruhr Oel, die für die Entsorgung ihrer Pellets aus Ruß und Schweröl zahlte. Ein toxisches Gemisch, das laut Anklage reichlich Nickel, Vanadium und krebserregende PAK-Stoffe enthält. Oder einfach „Sauzeug“, wie der Vorsitzende Richter Markus van den Hövel es in einer früheren Verhandlung genannt hat. Es klebt und riecht nach Öl, sagt Oberstaatsanwalt Helm – und beschreibt die kugelförmige Konsistenz sonderbar appetitlich als „Kaviar-ähnlich“. Nur wurden die schwarzen, stinkenden Kügelchen nicht in kleinen Häppchen, sondern tonnenweise in die Grube gekippt. Es geht um knapp 30.000 Tonnen schwer belasteten Sondermüll – eine derart riesige Menge, dass aus der Grube eine Halde wurde.
Der ausführlich in der 2. Großen Strafkammer des Gerichts beschriebene Hergang des Umweltskandals ist komplex und zeichnet das Bild hochkriminellen Müllhandels. Doch er zeigt auch mehr Verknüpfungen auf als Angeklagte, die vor Gericht gelandet sind. Nach wie vor wirft auch die Rolle der in Bochum sitzenden Aral-Mutter BP Fragen auf, etwa nach der Sorgfalt bei der Nachverfolgung, wo die hochgiftigen Pellets letztlich gelandet sind. Der Konzern weist jede Mitverantwortung von sich, sieht sich selbst als Opfer des Gahlener Müllmaklers.
Die Verbrennung im Eon-Kraftwerk Scholven war legal
Der hatte BP-Beschäftigte bestochen, um an Aufträge zu kommen, wurde dafür 2015 in einem Korruptionsprozess verurteilt. Ingo L. kommt ins Spiel, als dem Gahlener Müllmakler dämmert, dass er mit den BP-Ölpellets nicht nur Geld, sondern auch ein Riesen-Problem an Land gezogen hat. Eigentlich will er sie als Brennstoffe an Kraftwerke verkaufen, doch die 40 Tonnen, die er täglich abnehmen muss, wird er schon bald nicht mehr los, die Kohlekraftwerke sind Anfang des vergangenen Jahrzehnts nicht mehr so ausgelastet wie vorher. Aus demselben Grund muss BP seine Pellets überhaupt extern entsorgen lassen. Denn eigentlich werden sie in benachbarten Kohlekraftwerk Scholven von Eon, heute Uniper, verbrannt. Legal, aber umstritten: Gegen den ausdrücklichen Willen des Gelsenkirchener Rates verbrannte Uniper die Pellets bis 2022 in seinem Kraftwerk.
Der Sondermüllhändler lagert die Pellets zwischen, doch nachdem mehrere Lager in Flammen aufgehen, vermutet wurde Selbstentzündung der Ölpellets, will niemand mehr seine gefährlichen Kaviar-Kügelchen haben. Er gerät „unter Druck, die Pellets möglichst billig zu entsorgen“, skizziert Oberstaatsanwalt Helm seine Lage. Hilfe sucht er bei Ingo L., dem damaligen Prokuristen der Hünxer Firma Nottenkämper, auf deren Tonhalde die Raffinerie-Abfälle letztlich landen. Die Staatsanwaltschaft beschreibt detailliert, wie die Pellets mit anderen Stoffen, vor allem Recyclingsand vermischt und umdeklariert wurden, von welcher Anlage wie viele Lkw täglich das Giftgemisch auf die Halde fuhren, kippten und einplanierten.
Anwohner fragt: Wie konnte das niemandem auffallen?
„Wie konnte das niemandem auffallen, dass hier diese riesigen Mengen Giftmüll abgeladen wurden?“, fragt sich Stefan Steinkühler, der als Vorsitzender des Gahlener Umweltschutzvereins den Fall von Beginn an verfolgt und stets den Eindruck hatte, da müssten viele nicht hin- oder gar weggeschaut haben. „Wir machen uns natürlich große Sorgen um die Böden und das Grundwasser“, sagt er in einer Prozesspause. Sein Verein fordert seit Jahren, dass der giftige Müllberg komplett ausgekoffert und entsorgt wird. Was wahrscheinlich nicht passieren wird.
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„Eine gezielte Entnahme der Ölpellets ist nicht möglich, da diese vermischt mit den übrigen, zugelassenen Abfällen abgelagert wurden“, teilte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) Anfang 2019 mit. nach mehreren Gutachten heißt es nach wie vor, von der Halde gehe „keine akute Gefahr“ aus. Nach unten hält die dicke Tonschicht absehbar dicht – Glück im Unglück. Das Sickerwasser zu sichern, wird aber wohl eine Aufgabe für die Ewigkeit bleiben. Es sei der „Betriebs einer Sickerwasserfassung und Behandlung erforderlich“, erforderlich, heißt es im jüngsten Bericht des Landesumweltministeriums dazu aus dem Februar dieses Jahres. Nur so könne verhindert werden, dass giftiges Sickerwasser auch ins Grundwasser gelangt.
Angeklagter will gestehen, aber nicht mehr als ein Jahr Haft
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Das Bochumer Landgericht hat auf viele Wochen den Sitzungssaal A1.18 für Ingo L. reserviert, um den Ölpellet-Skandal zumindest juristisch abzuschließen. Der Angeklagte hätte es gern schneller, seine Anwälte verständigten sich mit Richter und Staatsanwalt am Dienstag darauf, ein verkürztes Verfahren zu ermöglichen, indem der Müllmakler im Hauptanklagepunkt, der illegalen Ölpellet-Entsorgung, ein Geständnis ablegt. Unter der Bedingung, dass seine bisherige Haftstrafe sich „nicht um mehr als ein Jahr Verbüßung“ verlängere, was der Oberstaatsanwalt ablehnte. Ablegen will Ingo L. sein Geständnis in zwei Wochen.