Duisburg/Essen. Thyssenkrupp-Chef López zeichnet ein düsteres Bild von der Stahlsparte in Duisburg. Die IG Metall kritisiert, López schade dem Konzern.
Es ist ein düsteres Bild, das Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López von der Situation am Stahlstandort Duisburg zeichnet. „Duisburg und das Ruhrgebiet hatten in der Vergangenheit Standortvorteile, von denen zwei entscheidende inzwischen nicht mehr existieren“, sagt der Manager am Mittwochmorgen (15. Mai) in einer Telefonkonferenz zur Halbjahresbilanz des Revierkonzerns mit seinen rund 100.000 Beschäftigten, von denen 27.000 in der Stahlsparte arbeiten. Weder seien Deutschland und Europa heute noch „das Zentrum der globalen Stahlnachfrage“, sagt López, noch habe Thyssenkrupp wie in früheren Bergbauzeiten die für eine energieintensive Stahlproduktion nötigen günstigen Energiequellen vor der Tür. „Diese Entwicklung bedroht den Stahlstandort Deutschland“, konstatiert der Thyssenkrupp-Chef. Es gehe um Themen, die „existenziell wichtig“ seien für den Konzern.
Die Lage ist angespannt. Wieder einmal muss López eine Zwischenbilanz mit einem Verlust präsentieren. Schon zum zweiten Mal seit seinem Amtsantritt vor nicht einmal einem Jahr senkt der Manager zudem die Ergebnisprognose für das laufende Geschäftsjahr. Bei der Kennziffer „Jahresüberschuss“ erwartet der Vorstand nun einen „negativen Wert im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“. Bislang hatte das Thyssenkrupp-Management einen ausgeglichenen Wert angestrebt. Schon im Geschäftsjahr 2022/23 hatte der Verlust knapp zwei Milliarden Euro betragen.
Thyssenkrupp-Chef sieht „Standortdefizit“ für Duisburg
Im Fokus steht insbesondere das Stahlgeschäft des Essener Industriegüterkonzerns. Im Vergleich zu Stahlstandorten in Schweden, Spanien und der Türkei sowie künftigen Werken im Nahen Osten oder Afrika habe Duisburg „ein enormes energetisches Standortdefizit“, analysiert López. „Nachteile gibt es aber auch gegenüber China, Indien und Korea, die die vollständige Dekarbonisierung ihrer Stahlindustrie viel später vollziehen als Deutschland und Europa.“
Die große Frage ist: Was wird aus den Hochöfen in Duisburg, die besonders klimaschädlich sind, von denen aber auch Zehntausende Arbeitsplätze an nordrhein-westfälischen Standorten abhängen? Vier Hochöfen betreibt Deutschlands größter Stahlkonzern direkt, zwei weitere laufen beim benachbarten Unternehmen HKM, an dem Thyssenkrupp zur Hälfte beteiligt ist. Bisher sei nur für einen der Hochöfen „die grüne Transformations-Perspektive geklärt“, sagt López. „Für alle anderen Hochöfen bleibt sie aber offen.“
Kein Bekenntnis von López zu HKM
Die Aussage verblüfft. Schließlich hatte Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg noch im Juli vergangenen Jahres bei einem Termin mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont, es gebe bereits jetzt einen Fahrplan für den weiteren Umbau der Produktion. „Wir haben vor, bis 2030 noch eine zweite Anlage umzustellen“, sagte Osburg mit Blick auf den Bau einer zusätzlichen Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage). Es gehe darum, den Standort Duisburg „zu dekarbonisieren“ – also auf Kohle als Rohstoff für die Stahlherstellung zu verzichten.
Auf Nachfrage sagt Thyssenkrupp-Chef López nun bei der Telefonkonferenz, auch die Frage, ob der Konzern weitere DRI-Anlagen bauen werde, sei Teil eines „Business Plans“, den der Stahl-Vorstand derzeit erarbeite. Zu den Inhalten könne er sich jetzt noch nicht äußern.
Offen ließ López auch, ob Thyssenkrupp auch künftig auf den Standort der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden mit mehr als 3000 Beschäftigten setze. Diese Frage werde der Stahlvorstand ebenfalls beantworten, wenn er ein Konzept für eine „neue Struktur der Hütte“ vorlege.
Wie viele Hochöfen in Duisburg werden ersetzt?
Hinter vorgehaltener Hand wird im Konzern betont, es sei unrealistisch, dass sämtliche Duisburger Hochöfen in Zukunft durch DRI-Anlagen ersetzt werden. Als eine Option gilt, in Zukunft Rohstahl verstärkt im Ausland einzukaufen und in den Werken von Thyssenkrupp in NRW zu verarbeiten. Hier werde ohnehin ein Großteil des Geldes der Stahlsparte verdient, wird als Argument genannt.
Bei den Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel ist die Verunsicherung ohnehin groß. Erst vor wenigen Wochen hat das Unternehmen mitgeteilt, dass der tschechische Geschäftsmann Daniel Kretinsky mit seiner Firma EP Corporate Group (EPCG) bei Thyssenkrupp Steel einsteige und zunächst rund 20 Prozent der Anteile übernehme. Das Ziel sei die Schaffung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Seiten jeweils 50 Prozent der Anteile halten.
López wirbt eindringlich für die Partnerschaft mit dem Milliardär aus Tschechien. Das Kretinsky-Unternehmen EPCG werde „seine Kompetenzen als Energiehändler, -versorger und -lieferant“ einbringen, „um eine ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu ermöglichen“, heißt es in der Zwischenbilanz des Ruhrgebietskonzerns. „Auch im Projektmanagement und bei der Umsetzung von Großprojekten der grünen Transformation können sich sinnvolle Schnittstellen der beiden Unternehmen ergeben.“ Wie das industrielle Konzept aber im Detail aussehen soll, ist unbekannt.
Abbau von Arbeitsplätzen in der Stahlsparte angekündigt
Nur wenige Tage vor der Mitteilung zum Kretinsky-Einstieg hatte der Vorstand von Thyssenkrupp Steel angekündigt, das Unternehmen mit großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen solle für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden. Bislang seien die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“
Führende Arbeitnehmervertreter beklagen Geheimniskrämerei rund um den Kretinsky-Deal, der Deutschlands Stahlindustrie grundlegend verändern könnte. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie die Beschäftigten von López und Kretinsky im Dunkeln gehalten werden“, sagt der frühere IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel, der nun stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel ist. Stahlbeschäftigte werden Gewerkschaftsangaben zufolge am 23. Mai in Essen demonstrieren. Für diesen Tag ist eine Aufsichtsratssitzung geplant, bei der es auch um den Einstieg von Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel gehen soll.
Welche Konsequenzen ein Nein der Arbeitnehmervertreter bei der Aufsichtsratssitzung hätte? López äußert sich zu dieser Frage in der Telefonkonferenz ausweichend. Die IG Metall fordert unter anderem einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. López sagt dazu lediglich, die Einschnitte in der Stahlsparte, die zum Teil „schmerzhaft“ sein dürften, sollten „möglichst sozialverträglich und möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen“ realisiert werden.
Flugblatt der IG Metall mit dem Slogan: „So nicht, Herr López!“
Vor der geplanten Kundgebung macht die IG Metall weiter Druck und veröffentlicht ein Flugblatt mit einem großen Stoppschild, auf dem steht: „So nicht, Herr López!“ Die Gewerkschaft spricht von einer „Rumpelpolitik“, die López gemeinsam mit Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm verfolge und damit auch Empörung in der Politik auslöse. „Dadurch raubt uns López Chancen auf dringend benötigte Fördermittel“, kritisieren die Arbeitnehmervertreter. So gefährde López „die Zukunft des Konzerns und er setzt leichtfertig unsere Arbeitsplätze aufs Spiel“.
Das Flugblatt, das der IG Metall-Vorstand veröffentlicht hat, liest sich wie eine Kampfansage an den Thyssenkrupp-Chef. Es endet unter anderem mit den Worten: „Herr López sollte sich nicht zu sicher fühlen. Er hat starke Gegner. Uns!“
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