Düsseldorf. Rheinmetall-Chef Armin Papperger sieht gewaltigen Investitionsbedarf bei der Bundeswehr. Im Ukraine-Krieg gebe es einen „Game Changer“.

Als Chef von Deutschlands größtem Rüstungskonzern Rheinmetall ist Armin Papperger derzeit ein gefragter Manager. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Papperger schon vor etwas mehr als einem Jahr zu einem Gespräch empfangen. Nach wie vor sei der Kontakt zur ukrainischen Regierung eng, berichtet der Rüstungsmanager bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. Rheinmetall spielt eine Schlüsselrolle bei Deutschlands Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Armee. Im vergangenen Februar hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den wichtigen Rheinmetall-Standort im niedersächsischen Unterlüß besucht. Dort fährt der Düsseldorfer Konzern unter anderem seine Produktion für Artillerie-Munition hoch.

Es gebe noch einen gewaltigen Investitionsbedarf, um Deutschlands Militär verteidigungsfähig zu machen, sagt Papperger vor der WPV im Düsseldorfer Industrie-Club. „Der Bundeswehr fehlt es immer noch an allem“, urteilt der Manager. Als Beispiel nennt der Rheinmetall-Chef die Munition. Deutschlands Lagerbestände seien bislang kaum aufgefüllt worden, so Papperger. Es habe sich hier „so gut wie nichts“ getan. Die Munition, die sein Unternehmen derzeit produziere, werde weitgehend der Ukraine gegeben.

Rheinmetall-Chef: China und Russland haben aufgerüstet

Das Füllen der Depots, die nötig seien, um „kriegsfähig beziehungsweise verteidigungsfähig“ zu sein, werde voraussichtlich zehn Jahre dauern, sagt der Rheinmetall-Chef voraus. Deutschland sei in Europa „kein Einzelfall“. Auch in Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich sei kaum konventionelle Munition gelagert. Die USA hätten ebenfalls zu wenig in Sprengstoffe investiert. „Die westliche Welt ist für einen konventionellen Krieg nicht gerüstet“, konstatiert der Rheinmetall-Chef. „Das muss man ganz klar so sagen, und das muss aufgeholt werden, wenn man nicht überrascht werden will.“ China und Russland hätten sich in diesem Bereich bereits enorm gerüstet. „Russland hat sich auch zehn Jahre darauf vorbereitet und hat dementsprechend die Läger voll“, so Papperger.

Die Produktion müsse daher rasch hochgefahren werden, mahnt der Rheinmetall-Chef. „Wir haben zu wenig getan im Bereich der konventionellen Waffen und der konventionellen Munition.“ Stark vernachlässigt worden sei in den vergangenen Jahren insbesondere die Artillerie-Munition. An dieser Stelle werde sich auch der Krieg in der Ukraine entscheiden, sagt Papperger voraus. „Die Artillerie-Munition wird der Game Changer sein“, sagt der Rüstungsmanager. Wenn die Ukraine nicht genügend Artillerie-Munition habe, werde sie Russland nicht zurückdrängen können.

„Dann wird die Zeitenwende scheitern“

Rheinmetall habe die Produktion von Artillerie-Munition schon sprunghaft erhöht. Vor dem Krieg in der Ukraine habe das Düsseldorfer Unternehmen rund 70.000 Schuss pro Jahr hergestellt, da es nicht mehr Aufträge gegeben habe, so Papperger. In diesem Jahr werde Rheinmetall hingegen etwa 700.000 Schuss herstellen – und das Ziel seien 1,1 Millionen. Innerhalb von anderthalb Jahren habe Rheinmetall die Artillerie-Produktion verzehnfacht. Es gehe um erhebliche Investitionssummen, auf die sich Deutschland einstellen müsse, denn eine Million Schuss kosten etwa 3,5 bis vier Milliarden Euro.

Der deutsche Verteidigungshaushalt sollte nach Einschätzung von Papperger von derzeit 52 Milliarden Euro jährlich um mindestens 30 Milliarden Euro aufgestockt werden. „Wenn diese 30 Milliarden nicht investiert werden in Deutschland, dann wird die Zeitenwende scheitern“, urteilt der Rheinmetall-Chef.

Die Firmenzentrale von Rheinmetall in Düsseldorf: Deutschlands größter Rüstungskonzern fährt die Produktion für Artillerie-Munition hoch.
Die Firmenzentrale von Rheinmetall in Düsseldorf: Deutschlands größter Rüstungskonzern fährt die Produktion für Artillerie-Munition hoch. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Bundeskanzler Scholz hatte im Jahr 2022 eine „Zeitenwende“ ausgerufen, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Der Bund stellte ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen bereit, um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken und Defizite bei der Bundeswehr auszugleichen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte Deutschland seine Verteidigungsausgaben reduziert, wodurch der Bestand an Militärgeräten veraltete und sich Munitionslager leerten. Es sei zu viel gespart worden, sagt Papperger im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte.

Papperger: „Deswegen mögen mich einige Leute nicht“

Im Jahr 2026 werde das Sondervermögen aufgebraucht sein, sagt der Rheinmetall-Chef voraus. Die Rüstungsindustrie vertraue bei ihren Investitionen darauf, dass die Politik ihr Wort halte und auch künftig Aufträge erteile. Nur mit einer Aufstockung um 30 Milliarden jährlich könne Deutschland seine Verpflichtung als Nato-Staat einhalten, zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken.

Vor vier oder fünf Jahren sei oft gesagt worden, es werde keinen Krieg mehr in Europa geben, weil Nuklearwaffen existierten, so Papperger. Nun sei klar: „Das stimmt nicht“, der konventionelle Krieg sei wieder da. Darauf müsse sich Deutschland einstellen. „Kriege werden betriebswirtschaftlich gewonnen“, sagt der Rüstungsmanager.

Beim Auftritt im Düsseldorfer Industrie-Club wird Papperger von mehreren Personenschützern begleitet. Ein Streifenwagen der Polizei steht vor der Tür. Erst vor wenigen Tagen ist ein Brandanschlag auf Pappergers Gartenhaus in einem kleinen niedersächsischen Ort bekannt geworden, zu dem ein Bekennerschreiben von Linksextremisten aufgetaucht ist. Seinen Vortrag im Industrie-Club hat Papperger mit der Überschrift „Verantwortung übernehmen“ betitelt. Mit seinen Waffen- und Munitionslieferungen könne Rheinmetall der Ukraine „extrem helfen“, gibt Papperger zu bedenken. Das könne den Krieg „mitentscheiden“, so der Manager. „Und deswegen mögen mich einige Leute nicht.“

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