Essen. Aldi-Nord-Deutschlandchef Felix Rottmann äußert sich erstmals öffentlich und erklärt, warum der Discounter schneller wächst als Lidl
Ihren 111. Geburtstag begehen in der Regel nur Karnevalsvereine. Bei Aldi Nord ist das anders. Den Gründungstag am 10. April 1913 will der Essener Discounter nutzen, um mit den Beschäftigten intern die gute Geschäftsentwicklung zu feiern. Zum Jubiläum zeigt das Familienunternehmen erstmals aber auch Gesicht. Deutschlandchef Felix Rottmann äußert sich im Gespräch mit unserer Redaktion zur Zukunft des Discounts.
Die Öffentlichkeit mieden schon die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht, als sie in den 60er Jahren begannen, aus dem kleinen Lebensmittelhandel ihrer Eltern in Essen-Schonnebeck zwei Discounter von internationalem Maßstab zu formen. Top-Manager der Mülheimer Schwester Aldi Süd haben sich seit längerem aus der Deckung gewagt. Als erster hochrangiger Vertreter von Aldi Nord führt nun Deutschlandchef Felix Rottmann durch die „Filiale Nummer 1“ in Essen-Schonnebeck - unweit des Stammhauses, wo die Geschichte des Unternehmens begann.
Aldi: Einfachheit und klare Konzepte
Der gebürtige Aachener ist bereits seit 20 Jahren für den Discounter tätig und hat vom Trainee bis nach ganz oben so ziemlich alle Karrierestufen erklommen. „An Aldi hat mich total das Konzept der Einfachheit und der klaren Prozesse fasziniert“, erzählt er und zeigt im Markt, dass hier nichts dem Zufall überlassen wird. In die Regale passen immer genau zwei Kartons hintereinander, die Kisten mit den Weinflaschen werden schon mit Öffnung angeliefert. Das spart den Beschäftigten Zeit. Die Bestellung der Ware übernimmt zunehmend Künstliche Intelligenz, die auch die Wetteraussichten berücksichtigt, wenn es etwa darum geht, wie viel Grillfleisch am Wochenende benötigt wird.
Im ewigen Wettbewerb mit dem Rivalen Lidl hatten die beiden Discounter aus dem Ruhrgebiet in der Vergangenheit eine Menge zu tun, um Platz 1 zu verteidigen. Nach Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK konnte Aldi Nord Ende des vergangenen Jahres im eigenen Geschäftsgebiet nördlich der Ruhr als einziger Discounter zulegen. Mit einem Marktanteil von 11,1 Prozent wuchs der Abstand zu Lidl mit 10,7 Prozent leicht. Abgeschlagen waren Netto mit 8,0 und Penny mit 4,1 Prozent.
Aldi Nord: „Wir sind mit der Umsatzentwicklung sehr zufrieden“
„Wir sind mit der Umsatzentwicklung in schwierigen Zeiten der Kostenexplosion sehr zufrieden“, sagt Rottmann, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Er führt den Erfolg auch auf den Umbau der bundesweit rund 2200 Filialen zurück. „Wir konnten erhebliche Marktanteile gewinnen, auch weil wir mehr Obst und Gemüse ins Sortiment genommen haben und die Frischeabteilungen in den Eingangsbereich unserer Filialen verlagert haben“, erklärt der Deutschlandchef von Aldi Nord.
Die gestiegenen Baukosten halten das Unternehmen nach seinen Worten nicht davon ab, auch weiterhin 150 Märkte jährlich zu modernisieren. Mit einer Einschränkung: „Auch hier gilt die klassische Discount-Denke: Wir investieren dort, wo es sich wirklich lohnt“, so der 47-Jährige. Für die weitere Expansion hat Aldi Nord erst einmal das Ausland auserkoren. Der Manager: „Die Zahl der Filialen in Deutschland wird sich in nächster Zeit nicht signifikant nach oben bewegen. Es wird vielmehr um die Verlagerung und die Modernisierung von Märkten gehen.“
Aldi Nord bekommt freilich nicht nur die gestiegenen Baukosten zu spüren. Auch die Erzeugerpreise für Lebensmittel sind zuletzt rasant gestiegen, wenngleich sich die Inflation wieder in Richtung zwei Prozent bewegt. Rottmann mag keine präzise Prognose abgeben, was das für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet. „Die Rohstoffpreise schwanken immer noch sehr. Weizen wurde günstiger, Kakao dagegen wahnsinnig teurer“, sagt er. Aldi Nord reagiere, sobald es möglich sei. „Seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine liegen zwei Jahre der Ungewissheit hinter uns. Nach Preisanhebungen haben wir dieses Jahr inzwischen mehr als 400 Preise wieder gesenkt. Wenn die Preise für Rohstoffe fallen, geben wir das sofort an unsere Kunden weiter“, versichert der Deutschlandchef.
Aldi setzt wieder mehr auf Eigenmarken
Seit knapp zwei Jahren bewerben die Aldi-Schwestern deshalb auch wieder verstärkt ihre Eigenmarken. Bei Nord machen sie rund 90 Prozent der 1800 Ganzjahresprodukte im Sortiment aus. „Die Kunden haben einen Preisvorteil, wenn sie unsere Eigenmarken kaufen“, meint Rottmann. „An wenigen A-Marken wie Nutella und Coca-Cola kommen auch wir nicht vorbei. Ihr Anteil soll aber bei zehn Prozent begrenzt bleiben.“
Bei allen Preis-Schwankungen der vergangenen zwei Jahre hält Aldi am Anspruch fest, den Takt vorzugeben. „Wir sind die ersten, die die Preise senken. Diese Preisführerschaft ist uns wichtig. Unser Anspruch ist es, der günstigste Discounter in Deutschland zu sein. Und das schaffen wir auch“, gibt sich der Manager kämpferisch. „Um die Zukunft des Discounts mache ich mir keine Sorgen“, erklärt Rottmann. „Das Aldi-Prinzip ist seit 111 Jahren erfolgreich. Gute Qualität zu günstigen Preisen anzubieten, funktioniert unter allen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“
„Wir hoffen auf rasche Einigung bei Tarifverhandlungen“
Angesichts des grassierenden Arbeitskräftemangels meldet sich Rottmann auf Nachfrage auch zu den seit fast einem Jahr stockenden Tarifverhandlungen im deutschen Handel zu Wort. „Aldi gehört zu den bestzahlenden Lebensmitteleinzelhändlern in Deutschland. Wir zahlen über das tarifliche Entgelt hinaus seit Jahrzehnten auch übertarifliche Leistungen“, sagt er. Seit Oktober 2023 habe der Discounter die Gehälter zunächst um 5,3 Prozent erhöht. „Eine weitere Erhöhung folgt, so dass die Gehälter dann insgesamt zehn Prozent über Tarif angehoben wurden“, erklärt der Deutschlandchef von Aldi Nord. „Wir hoffen im Sinne unserer Beschäftigten auf eine rasche Einigung bei den Tarifverhandlungen.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür