Essen. Kriminelle kaufen online auf fremde Rechnungsadressen ein. Die Opfer haben Angst vor Schufa-Einträgen. Das raten Verbraucherschützer und Schufa.
Als erstes habe ihn sein Gewissen geplagt, erinnert er sich. Er müsse etwas übersehen, eine Rechnung nicht bezahlt haben. Hat er aber nicht. Stattdessen hat irgendjemand online mit seinem Namen bei einem namhaften Herrenausstatter eingekauft. Und dieser Identitätsdiebstahl sollte ihn anschließend noch reichlich Geld, Zeit und Nerven kosten.
Denn unser Leser, der anonym bleiben möchte, hat ein halbes Jahr lang immer neue Mahnungen diverser Inkassobüros erhalten - für Dinge, die er nicht gekauft hat. Und er hat auf seine Schreiben an die Geldeintreiber keine Antworten erhalten. Seine Sorgen vor einem negativen Schufa-Eintrag, der Ärger, sich als Opfer mit mehreren Inkassofirmen herumschlagen zu müssen - all das dürfte es nach Darstellung sowohl des Inkassoverbandes als auch der Schufa gar nicht geben. Tut es aber - und zwar nicht nur in diesem, sondern in sehr vielen Fällen.
Betrüger brauchen nicht viel für diese Masche
Auf anderer Leute Namen einzukaufen, ist eine weit verbreitete Betrugsmasche, die der Onlinehandel Kriminellen relativ leicht macht. Zumindest die vielen Händler, die nicht zwingend eine sofortige Bezahlung verlangen, sondern auch auf Rechnung liefern. Was der Betrüger dafür braucht, ist im Regelfall irgendeine real existierende Post-Adresse und eine selbst generierte E-Mail-Adresse, an die er die Rechnung schicken lässt. Liefern lässt er die Waren dorthin, wo er sie empfängt.
Die Rechnungen der Onlineshops und anschließend auch ihre Mahnungen gehen an die eigens eingerichtete E-Mail-Adresse. Das verschafft den Betrügern Zeit, denn die Betroffenen erfahren erst, dass ihre Identität missbraucht wurde, wenn der Shop seine Forderung an ein Inkassounternehmen weitergegeben hat und dessen Schreiben schließlich viele Wochen nach dem Kauf an die hinterlegte Postadresse geschickt werden.
Kleidung und Uhr für rund 1000 Euro auf fremden Namen gekauft
In besagtem Fall gingen die Rechnungen über insgesamt rund 1000 Euro letztlich ins Ruhrgebiet, die Kleidung, eine Uhr und weitere schöne Dinge in eine kleine Pension in Süddeutschland. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte sich der Betrüger dort eine Zeit lang eingemietet und reichlich Pakete empfangen, bevor er wieder verschwand. Aufgefallen ist das der Polizei nur, weil er die Pension nicht bezahlt hat. Die Inhaberin erstattete Anzeige und berichtete von den vielen Paketboten, die sich bei ihr die Klinke in die Hand gedrückt hatten.
Seit dem sprunghaften Anstieg der Onlinekäufe in der Corona-Pandemie steigen auch bei den Verbraucherzentralen die Beschwerden über Identitätsdiebstahl. Und Christine Steffen, Betrugsexpertin und Juristin der Verbraucherzentrale NRW, geht davon aus, dass sie „auch vor dem Hintergrund immer neuer Datenleaks“ künftig noch häufiger werden, wie sie unserer Redaktion sagte.
Verbraucherschützerin: Betroffene wissen oft nicht, wie Täter an die Daten kommen
Identitätsdiebstahl könne jeden treffen, weiß Steffen. Persönliche Daten könnten über Phishing-E-Mails oder Datenlecks bei Unternehmen in die Hände von Kriminellen gelangen. An Postadressen zu kommen, ist noch leichter. „Für Betroffene bleibt häufig unklar, wie die Täter an die Daten gelangt sind und in welchem Umfang diese genutzt oder weitergegeben werden“, sagt die Verbraucherschutz-Juristin. Wichtig sei es vor allem, schnell zu reagieren: Mahnungen und Inkassoforderungen sollte sofort widersprochen werden.
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Identitätsdiebstahl kennt viele Formen. Den Verbraucherzentralen zufolge nehmen auch die Fälle zu, in denen Betrüger für die gestohlene Identität Konten bei den Bezahldiensten wie Paypal oder Klarna anlegen und darüber etwa per Lastschrift einkaufen.
Andere Betrüger stehlen und kombinieren diverse Bankdaten und Adressen. In einem dieser Redaktion bekannten Fall wurde ein rund 2000 Euro teures Fahrrad dem ersten Opfer in Rechnung gestellt, als Lieferadresse die eines zweiten Opfers angegeben. Allerdings mit einer anderen Hausnummer. Die Polizei vermutet, dass der Täter dort versucht hat, den Paketboten abzufangen.
Einmal im Jahr kostenlose Schufa-Auskunft anfordern
Betrugsexpertin Steffen rät daher allen Verbraucherinnen und Verbrauchern, mindestens einmal im Jahr auch ohne konkreten Anlass eine kostenlose Auskunft bei der Schufa und anderen Auskunfteien wie der CRIF einzuholen. Dafür gibt es einen Musterbrief auf der Website der Verbraucherzentrale NRW. „Wer direkt über die Website der Schufa geht, sollte aufpassen, nicht versehentlich eine kostenpflichtige Auskunft auszuwählen, welche deutlich prominenter beworben wird“, warnt Steffen.
Die Schufa selbst rät dazu, Identitätsdiebstahl bei ihr zu melden. Nicht nur, um die eigene Kreditwürdigkeit zu behalten. Sondern auch, um weiteren Missbrauch zu verhindern. Alle Unternehmen, die Schufa-Daten abfragen, bevor sie etwa einen Kredit vergeben oder einen Kauf mit Karten- oder Onlinezahlung freigeben, werden dann darüber informiert, dass der Käufer oder Kreditnehmer Opfer von Datenklau geworden ist. Deshalb erhöhen viele in diesen Fällen ihre Hürden für die Authentifizierung. Was natürlich auch einen Nachteil hat: Bei eigenen Bestellungen oder Finanzgeschäften kann die Prüfung der eigenen Daten aufwendiger und damit zeitraubender werden.
Inkassoverband rät, seine Ombudsfrau anzurufen
Was Opfer besonders nervt, ist die mitunter schwierige Korrespondenz mit den Inkassofirmen. Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), in dem 500 Inkassobüros organisiert sind, rät, bei Identitätsdiebstahl unbedingt zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Anschließend solle man dies dem Inkassounternehmen mitteilen. Das erledige die Angelegenheit dann, sorge auch dafür, dass es keine negativen Einträge etwa bei der Schufa gebe.
Das Opfer in unserem Beispiel erlebte es etwas anders. Auf seine Mails erhielt er keine Antworten von den verschiedenen Inkassofirmen, stattdessen flatterten neue Mahnungen ins Haus. Auch deshalb hat er sich einen Anwalt genommen und bleibt zumindest auf diesen Kosten sitzen. Die Rechnungen hat er nicht bezahlt und auch seit einigen Wochen keine Mahnungen mehr erhalten.
Inkassofirmen sind oft schlecht erreichbar
Ein BDIU-Sprecher bestätigt, dass die Erreichbarkeit vor allem via Mail nicht überall zufriedenstellend sei. Wenn eine Telefonnummer angegeben sei, solle man besser gleich anrufen. „Für die Betroffenen ist es sehr ärgerlich, wenn man als Opfer die Angelegenheit nicht sofort erledigen kann“, räumt er ein. Wenn Betroffene bei der Inkassofirma nicht durchdringen, empfiehlt der BDIU, sein Beschwerdemanagement zu nutzen. „Unsere Ombudsfrau klärt den Fall dann bei der Inkassofirma“, sagt er.
Die Ombudsfrau ist Sonja Steffen, frühere Justiziarin der SPD-Bundestagsfraktion. 1250 Beschwerden gingen im vergangenen Jahr beim Inkassoverband ein, etwa ein Drittel wegen Problemen mit den Identitäten. Nicht alle Fälle seien kriminell, betont der Sprecher, häufig gebe es tatsächlich Namensdreher oder Empfänger seien umgezogen. Auch Ombudsfrau Steffen berichtet, bei Beschwerden gehe es oft um die Erreichbarkeit der Inkassofirmen. Viele würden nun aber neue, meist digitale Kontaktmöglichkeiten schaffen.
Sollten Rechnungs- und Lieferadresse beim Ersteinkauf identisch sein?
Für die Onlinehändler ist es ein schmaler Grat: Einerseits wollen sie sicher gehen, dass ihre Waren auch bezahlt werden. Doch wenn sie ihre Hürden für die Identifikation erhöhen, schrecken sie potenzielle Käufer ab, die den Kauf möglichst schnell und einfach abwickeln wollen.
Ideen, wie sie Missbrauch besser vorsorgen könnten, gibt es freilich viele. Zum Beispiel, dass zumindest beim erstmaligen Einkauf eines Nutzers die Rechnungs- und Lieferadresse identisch sein müssen. „Das wäre ein zweckdienlicher Riegel, den man dieser Betrugsmasche vorschieben könnte“, findet Verbraucherschützerin Christine Steffen. Schiebt aber hinterher, dass Kriminelle neue Wege suchen und finden werden.