Berlin. Der Bundestag debattiert über den Haushalt – doch am Problem vorbei, warnen Wirtschaftsweise. Sie fordern die Ampel zum Handeln auf.
Pünktlich zum Beginn der Debatte um den Bundeshaushalt 2024 mischen sich die fünf Wirtschaftsweisen mit einem dringenden Appell ein. Ihr Vorschlag: Die Schuldenbremse im Grundgesetz muss reformiert werden. Konkret schlägt das Gremium, das die Bundesregierung berät, einstimmig Änderungen in drei Punkten vor, um Regierungen künftig mehr Flexibilität in ihrer Ausgabenpolitik zu ermöglichen.
„In ihrer aktuellen Ausgestaltung ist die Schuldenbremse starrer, als es zur Aufrechterhaltung der Schuldentragfähigkeit notwendig ist“, kritisiert die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer. „Sie beschränkt die fiskalischen Spielräume für zukunftsgerichtete Ausgaben unnötig stark.“ Die vorgeschlagene Anpassung der Schuldenbremse erhöhe „die Flexibilität der Fiskalpolitik“ und ermögliche, zukunftsgerichtete öffentliche Ausgaben zu tätigen, „ohne die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen“.
Lesen Sie auch: Was ist die Schuldenbremse und wie funktioniert sie?
Eine Schuldenbremse könnte sich auch negativ auf die bereits schwächelnde Wirtschaft auswirken, warnen die Ökonomen. „Eine sofortige Konsolidierung des Staatshaushalts, um in diesen Jahren die Schuldenbremse wieder einzuhalten, könnte zu unnötig starken negativen Impulsen für eine noch schwächelnde Wirtschaft führen.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner(FDP) lässt sich von den Vorschlägen jedoch weder irritieren noch umstimmen – und setzt auch bei dem Haushalt 2024 auf das Einhalten der Schuldenbremse.
Haushalt 2024: Finanzminister Lindner hält an Regelung fest
Im Bundestag verteidigte er seinen „Gestaltungshaushalt“, der auf Rekordinvestitionen in Schiene, Straße und digitale Infrastruktur setze, aber auf Milliardeninvestitionen in Schulen und Steuerentlastungen von insgesamt 15 Milliarden Euro. „Alles findet statt im Rahmen der Schuldenbremse“, so Lindner. „Die Schuldenqoute sinkt auf 64 Prozent. Und zwar nicht nur, weil es ein Gebot der Verfassung ist, sondern weil es angesichts der Zinskosten ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft ist, so zu handeln.“
Konkret plant die Bundesregierung Ausgaben von 477 Milliarden Euro. Eigentlich hätte der Haushalt 2024 schon Ende November verabschiedet werden sollen. Wegen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts musste er aber teilweise auf eine neue Grundlage gestellt werden. „Deutschland hat massive Investitionsbedarfe. Wenn diese Investitionen jetzt nicht getätigt werden, droht die Deindustrialisierung des Landes und damit massive künftige Wohlstandsverluste“, sagte Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), dieser Redaktion.
Der Staat zahle heute Zinsen, die unterhalb der erwarteten Inflation liegen, so Dullien. „Ein zu hoher Schuldenstand ist deshalb für Deutschland kein Problem, und in der Abwägung wären mehr Investitionen und mehr Schulden heute besser als weniger Investitionen und weniger Schulden.“ Besonders große Investitionen seien „im Bereich der klassischen Infrastruktur, dem Ausbau von erneuerbaren Energien und Energienetzen (einschließlich Wasserstoff) sowie im Bildungsbereich“ notwendig.
Schuldenbremse: Wirtschaftsweise wollen drei Punkte reformieren
Die Vorschläge der Wirtschaftsweisen gehen laut Dullien „in die richtige Richtung“, aber bei der Frage der Kreditfinanzierung von Investitionen noch nicht weit genug. „Hier hätte Deutschland ökonomisch Spielraum für eine größere Kreditaufnahme, ohne dass die Schuldentragfähigkeit gefährdet wäre.“ Auch der SPD-Vizevorsitzende Achim Post spricht sich erneut für ein Aussetzen der Schuldenbremse aus. „Im Lichte der weiteren Entwicklungen gerade auch in der werden wir in der Koalition noch einmal darüber reden müssen, die Schuldenbremse für 2024 auszusetzen.
Post sagte, man dürfe „keine Instrumente vom Tisch nehmen, wenn wir bei großen Herausforderungen und Katastrophen handlungsfähig bleiben wollen.“ Der Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen erforderten von Deutschland „enorme finanzielle Mittel“. Im Detail sieht der Vorschlag der Wirtschaftsweisen vor, eine Übergangsphase für die Jahre unmittelbar nach der Anwendung der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse einzuführen. Zweitens soll die Regelgrenze für das jährliche strukturelle Defizit in Abhängigkeit von der Schuldenstandsquote gestaffelt werden.
Und drittens soll die Konjunkturbereinigung methodisch verbessert werden, um sie weniger revisionsanfällig zu machen und so eine konjunkturgerechtere Finanzpolitik zu ermöglichen, so der Sachverständigenrat. Bei einer Schuldenstandsquote unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) solle die Grenze für das strukturelle Defizit bei einem Prozent des BIP liegen. Zwischen 60 Prozent und 90 Prozent sollte ein Defizit von 0,5 Prozent des BIP zulässig sein. Erst ab 90 Prozent Staatsverschuldung sollten nur noch die derzeit generell gültigen 0,35 Prozent des BIP für das strukturelle Defizit erlaubt sein.