Essen. Eon-Chef Birnbaum klagt, in Deutschland gebe es zu viel Bürokratie beim Umbau der Energieversorgung. Das habe negative Auswirkungen.
Eon-Chef Leonhard Birnbaum hat einen Stapel mit Gesetzestexten der jüngsten Vergangenheit mitgebracht und knallt den Papierberg auf den Tisch. Das kleine Schauspiel hat eine eindeutige Botschaft: Die Bürokratie ist nach Ansicht von Birnbaum erdrückend. Seitenlange Regelwerke seien zu einer ernsthaften Belastung für Deutschlands Wirtschaft geworden, schimpft der Vorstandsvorsitzende des bundesweit größten Energieversorgers. Negative Folgen überbordender Bürokratie seien auch in seiner Branche zu spüren. Der historische Umbau von Deutschlands Versorgung mit Strom und Wärme gerate in Gefahr, wenn es so weitergehe, warnt Birnbaum.
„Die Energiewende findet überall auf der Welt statt. Deutschland macht sie aber besonders teuer, besonders bürokratisch und besonders umständlich“, kritisiert Birnbaum bei einem Auftritt vor Journalisten in Essen. Mit komplexen Regelwerken und ausufernden Verwaltungsstrukturen werde viel Schaden angerichtet – insbesondere auf dem Heimatmarkt von Eon, urteilt der Manager.
Birnbaum: „Dies können wir uns, klar gesagt, nicht leisten“
Er sei überzeugt davon, dass Bürokratie den Fortschritt bremse und Wohlstand koste, sagt Birnbaum. Daher positioniere er sich bei dem Thema auch klar, wo immer dies möglich sei, „weil ich davon überzeugt bin, dass wir die Energiewende nicht schaffen werden, wenn Gesetzgeber und Verwaltung weiterhin so leidenschaftlich träge handeln – oder eben nicht handeln“. Gerade jetzt sei es schädlich, wenn zu sehr in unternehmerisches Handeln eingegriffen werde. „Dies können wir uns, klar gesagt, nicht leisten, denn Deutschland steht mitten im größten Transformationsprozess seit der industriellen Revolution.“
Der Essener Eon-Konzern spielt beim Umbau der Energieversorgung in Deutschland eine Schlüsselrolle. Seit der Übernahme und Zerschlagung der früheren RWE-Tochter Innogy konzentriert sich Eon mit mehr als 70.000 Beschäftigten auf das Endkundengeschäft, den Betrieb von Strom- und Gasnetzen, Energieeffizienz-Dienstleistungen für Großkunden und Geschäfte rund um Elektromobilität. Der Konzernnachbar und Eon-Großaktionär RWE hat sich auf die Energieerzeugung spezialisiert. Zur Eon-Tochter Westenergie gehören rund 130 Stadtwerke-Beteiligungen – mit kommunalen Unternehmen wie ELE in Gelsenkirchen, RWW in Mülheim, DEW21 in Dortmund sowie Stadtwerken in Duisburg, Essen und Oberhausen und in vielen anderen Kommunen bundesweit. Vielerorts in Deutschland sind Eon-Firmen der Grundversorger.
Eon-Chef: „Unser Land hat ein Kapazitätsproblem beim Strom“
Da Eon keine eigenen Kraftwerke, Windräder oder Solarparks betreibt, kauft der Konzern an den Großhandelsmärkten für Energie ein, um die Verbraucher zu versorgen. Weit mehr als 14 Millionen Kunden hat der Essener Energiekonzern früheren Angaben zufolge allein in Deutschland. Mit Sorge blickt Eon-Chef Birnbaum auf die Veränderungen bei der Stromerzeugung. „Unser Land hat ein Kapazitätsproblem beim Strom“, sagt er. „Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie gibt es bislang keine Antwort darauf, wo das Back-Up herkommen soll.“
Auch der Chef des Energiekonzerns Uniper, Michael Lewis, hat unlängst betont, Deutschland benötige möglichst schnell neue Gaskraftwerke, die flexibel genug seien, „um im Falle der sogenannten Dunkelflauten die Stromversorgung sicherzustellen“, also dann, wenn aufgrund einer Wetterlage nicht genug Energie aus Wind und Sonne zur Verfügung stehe. Die Kraftwerke sollten zunächst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden. Ein Kohleausstieg im Jahr 2030 sei aufgrund der Gegebenheiten kaum realistisch, sagt der Chef des Konzerns, der vor einigen Jahren aus Eon hervorgegangen ist.
„Auch sagen, woher der Wasserstoff herkommen soll“
Eon-Chef Birnbaum zeichnet ein ähnliches Bild wie Uniper-Chef Lewis. „Die Antwort auf das Kapazitätsproblem und den Klimawandel – vergessen wir dies bitte nicht – kann ja nicht ernsthaft lauten: Wir setzen als Bundesrepublik wieder voll auf Kohle.“ Doch wer nach Wasserstoff-Kraftwerken rufe, müsse „auch sagen, woher der Wasserstoff herkommen soll“.
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Hier sei die Bundesregierung gefordert – auch in ihrer Außenpolitik, sagt Eon-Chef Birnbaum. Jahrzehntelang spielte russisches Erdgas im deutschen Energiemix eine entscheidende Rolle – und nun? „Eines sollte uns nach den außenpolitischen Verunsicherungen der letzten Jahre endlich klar werden: Eine der dringendsten Kernaufgaben der deutschen Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik muss vor dem Hintergrund der Energiewende und der geografischen Lage Deutschlands ganz klar in der Wahrung unserer Energieinteressen liegen“, mahnt Birnbaum. „Die Bundesregierung muss die Frage beantworten, wer unsere Partnerländer sein können.“ Es sei notwendig, Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik „viel stärker unter energiestrategischen Aspekten zu betreiben“. Insbesondere für Wasserstoff benötige Deutschland „eine Importstrategie“, um einen Markt zu schaffen, der „ein Preisniveau ermöglicht, das die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aufrechterhält“.