Berlin. Deutschland gilt bei Technik und gesetzlichem Rahmen für selbstfahrende Autos als führend. Doch ein Unfall hat die Branche erschüttert.
Noch im Sommer schien man beim Robo-Taxi-Anbieter Cruise wenig Zweifel am Siegeszug von autonom fahrenden zu haben. „Menschen sind schlechte Fahrer“, schrieb die Tochtergesellschaft von General Motors auf ganzseitige Anzeigen in amerikanischen Tageszeitungen, um gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass im vergangenen Jahr rund 42.800 Amerikaner bei Unfällen gestorben seien. Selbstfahrende Autos hingegen seien in erheblich weniger Kollisionen verwickelt gewesen. „Sie fahren auch nie abgelenkt, schläfrig oder betrunken“, so das Unternehmen selbstbewusst.
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Mittlerweile jedoch ist diese Euphorie jäh beendet worden. Nach einem Unfall, bei dem ein selbstfahrendes Auto eine Frau mehrere Meter mitgeschleift hatte, hat das Unternehmen seine Lizenz für den fahrerlosen Betrieb in San Francisco verloren. Und auch in allen anderen Städten in den USA hat Cruise den Einsatz von selbstfahrenden Autos gestoppt. Zudem kündigte die Firma an, gut ein Viertel ihrer 2500 Mitarbeiter entlassen zu wollen.
Autonomes Fahren: Turbulenzen von Cruise in den USA ist Rückschlag
Nicht nur für die GM-Tochter ist das ein Rückschlag, sondern auch für andere Unternehmen, die viel Geld in die Entwicklung autonomer Autos steckten und immer wieder die Erwartung weckten, Straßen könnten schon bald voller fahrerloser Fahrzeuge sein. „Der anfänglichen Euphorie ist Ernüchterung gewichen“, sagt der Wissenschaftler Ilja Radusch vom Berliner Fraunhofer-Institut FOKUS. Radusch beschäftigt sich seit gut zehn Jahren mit dem autonomen Fahren.
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In der Tiefgarage des Fraunhofer-Instituts in Berlin versuchen Radusch und sein Team, die Künstliche Intelligenzen (KI), mit denen die fahrerlosen Autos unterwegs sind, zu trainieren. Dabei geht es vor allem um Genauigkeit und das Anlernen der KI, aus den unterschiedlichen Verkehrssituationen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Als Beispiel nennt Radusch die Handbewegung eines Radfahrers. „Die Frage, ob das ein Handzeichen zum Abbiegen ist oder lediglich eine flüchtige Handbewegung, ist relevant, aber nicht so einfach zu erkennen“, so der Forscher.
Deutschland gilt als Vorreiter beim Regelwerk des autonomen Fahrens
Flächendeckend ohne Fahrer dürfen Autos auf deutschen Straßen ohnehin noch nicht unterwegs sein. Deutschland gilt aber regulatorisch gesehen als Vorreiter. Bereits im Mai 2021 hatten Bundestag und Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, nach dem vollständig autonome Fahrzeuge in Deutschland grundsätzlich am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können. Für den konkreten Anwendungsfall fordert das Gesetz aber einzelne Genehmigungen. Bis es in vielen Städten oder auf dem Land so weit ist, dürfte vor allem in bestimmte Fahrsituationen der Automatisierungsgrad weiter zunehmen. Das betrifft zum Beispiel das Abstellen von Autos in Parkgaragen, Stop-and-go im Stau und Kolonnenfahrten auf der Autobahn.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) äußert sich gegenüber unserer Redaktion zuversichtlich, was einen baldigen Einsatz der Technologie auf deutschen Straßen anbelangt: „Wir kommen beim autonomen Fahren schnell voran.“ Hoffnungsvoll stimmt den FDP-Politiker ein Projekt in Hamburg, wo die Volkswagen-Tochter Moia im Stadtgebiet bald mit fahrerlosen Fahrzeugen unterwegs ist. „In Hamburg werden wir zum Beispiel voraussichtlich bereits ab 2025 autonome Shuttles im öffentlichen Personenverkehr im Regelbetrieb sehen“, erklärt er.
Autonome Autos: Noch sind immer „Sicherheitsfahrende“ an Bord
Moia selbst will erste Testfahrten mit einer geschlossenen Nutzergruppe im Projekt „Alike“ schon dieses Jahr starten. 20 autonome ID. Buzz AD zählen zur Flotte. „Bis 2026 werden immer – so wie gesetzlich vorgeschrieben – Sicherheitsfahrende an Bord sein“, so ein Sprecher.
Betreibern autonomer Fahrzeuge hat der Gesetzgeber hohe Auflagen mit Blick auf die technische Aufsicht gemacht. Während einer Fahrt muss stets eine natürliche Person in der Lage sein, das Fahrzeug zu deaktivieren und vorgeschlagene Fahrmanöver freizugeben. Darüber hinaus soll auch eine Kommunikation mit den Passagieren möglich sein. „Ziel ist es, das autonome Fahren so nah am Menschen wie möglich zu gestalten und sicherzustellen, dass sich die Kunden in einem selbstfahrenden Fahrzeug genauso wohlfühlen wie in einem fahrergesteuerten Fahrzeug“, heißt es von Moia.
Diese Bedenken haben Fußgängervertreter mit Blick auf das autonome Fahren
Fußgängervertreter sehen zwar Vorteile bei einem breiteren Einsatz der Technik, haben aber nach den Turbulenzen rund um Cruise in den USA auch Bedenken. IT-Experten der TU Berlin war es zudem erst kürzlich gelungen, das Autopilotensystem von Tesla zu knacken. Der Fachverband Fußverkehr Deutschland (FUSS e. V.) warnt deswegen nun auch vor der Möglichkeit, die Software von autonom fahrenden Autos anders zu programmieren. Ziele der Algorithmus vor allem auf schnelle Fahrt ab, seien autonome Autos eine Gefahr für die Menschen zu Fuß, so Vorstand Roland Stimpel. „Wird so programmiert, dann droht beim autonomen Fahren eine noch viel größere Software-Katastrophe als bei den Abgas-Betrügereien vor einigen Jahren“, warnt er.
FUSS e. V. fordert daher strikte Regeln für die Software. Sicherheit müsse Vorrang haben. Zudem dürften Autoinsassen die Sicherheitstechnik nicht ausschalten können. Anbieter der Autos müssten darüber hinaus „für alles haften, was gefahrenträchtige Programmierung anrichten kann“, sagt der Fußgängerlobbyist. Von Mercedes, führend bei der Entwicklung der autonomen Technik, heißt es hingegen, Sicherheit habe oberste Priorität. In Deutschland hatten die Stuttgarter 2022 das erste Auto auf den Markt gebracht, mit einer Zulassung für sogenanntes hochautomatisiertes Fahren – Level 3. Bedeutet: Auf der Autobahn und bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde können Fahrer das Steuer aus der Hand geben.
Hersteller Mercedes wünscht sich eine Überarbeitung des Regelwerks
Deutschland sei zwar das erste Land mit einem rechtlichen Rahmen für Level-3- und Level-4-Systeme und damit absoluter Vorreiter gewesen, so Mercedes. Der Hersteller fordert aber nun eine Weiterentwicklung des Regelwerks. „Wir haben eine spezielle Außenbeleuchtung entwickelt, um anderen Fahrern zu signalisieren, dass ein Mercedes automatisiert fährt. Das würde im Verkehr enorm helfen. Doch diese Beleuchtung wäre aktuell nicht zulässig. Da wäre es sinnvoll, wenn die Gesetzgeber nachbessern und unterstützen“, sagt Mercedes-Benz-Vorstandsmitglied Markus Schäfer unserer Redaktion.
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Ziel der Bundesregierung sei der Regelbetrieb von autonom fahrenden Autos, heißt es von Verkehrsminister Wissing. „Aus den ersten praktischen Erfahrungen werden wir lernen und auch dabei wollen wir uns eng mit unseren internationalen Partnern, gerade auch den USA, austauschen. Die Technologie ist faszinierend und das Potenzial groß, davon konnte ich mich gerade erst bei einer Testfahrt mit Waymo in Los Angeles überzeugen“, so der FDP-Politiker.
Wissing drängt dabei nun vor allem auf weltweit einheitliche Standards: Jetzt bestehe die Chance, gemeinsam am globalen Rahmenwerk für das autonome Fahren zu arbeiten. Gemeinsame Regeln seien dabei auch wichtig für die deutsche Automobilindustrie, die ja ein Interesse daran habe, Fahrzeuge international zu verkaufen. Eine generelle Skepsis gegenüber der fahrerlosen Technik teilt der Verkehrsminister hingegen nicht: „Es wird weniger Unfälle geben, weil menschliche Fehler durch autonom fahrende Autos ausgeschaltet werden können.“