Essen. Unruhe bei Thyssenkrupp: Die IG Metall wertet das Vorgehen des Vorstands als gezielte Provokation – und kritisiert die mächtige Krupp-Stiftung.
Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Eklat im Aufsichtsrat angesichts einer Vergrößerung des Vorstands gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter verschärft die IG Metall den Ton im Streit mit Konzernchef Miguel López und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. Die Gewerkschaft wertet es als „Kampfansage“ der Konzernführung, dass sie zwei zusätzliche Vorstandsposten ohne Zustimmung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat durchgesetzt hat. In einem Schreiben der Gewerkschaft an die Belegschaft heißt es, dieser „Tabubruch“ von Konzernchef López richte an vielen Stellen im Unternehmen Schaden an.
Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp ist zu gleichen Teilen mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt. Der Vorsitzende des wichtigsten Kontrollgremiums im Konzern, Siegfried Russwurm, verfügt dabei über ein sogenanntes „Doppelstimmrecht“. Davon habe Russwurm, der auch den Industrieverband BDI führt, bei der strittigen Frage der Thyssenkrupp-Vorstandserweiterung Gebrauch gemacht, berichtet die IG Metall.
Mit dem Vorgehen der Thyssenkrupp-Führung sei ein Scherbenhaufen entstanden, so die Arbeitnehmervertreter. „Ein kleiner gezielter Schlag mit dem Hammer, und schon zerspringt eine große Glasscheibe in tausend Scherben. Den Hammer hat Thyssenkrupp-Chef Miguel López ausgepackt.“
Scharfe Kritik übt die IG Metall auch an der Essener Krupp-Stiftung, die größte Einzelaktionärin des Konzerns ist und durch Stiftungschefin Ursula Gather im Aufsichtsrat repräsentiert wird. Das Agieren der Stiftung habe die Arbeitnehmervertreter „enttäuscht und entsetzt“, erklären die Arbeitnehmervertreter in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. Nach dem Eklat im Aufsichtsrat hatte die Stiftung López und Russwurm Rückendeckung gegeben und erklärt, sie sei für die Erweiterung des Vorstands.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens seien Vorstände gegen die Ablehnung der Arbeitnehmerseite ins Amt gehoben worden, so die IG Metall. Dies sei eine Zäsur – und zugleich auch eine Provokation. „Die Anteilseigner haben sich damit von einem fairen Miteinander verabschiedet“, urteilt Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender im Thyssenkrupp-Konzern. „Das Verhalten von Herr López bedeutet eine Herabwürdigung der Beschäftigten.”
IG Metall vermutet Kalkül des Thyssenkrupp-Vorstands
Kerner vermutet, dass mehr hinter dem Vorgehen der Konzernführung stecke als Vorstandspersonalien. „López versucht seine Agenda rücksichtslos durchzudrücken – auch gegen die IG Metall”, sagt Kerner. Als Kalkül vermutet Kerner: Das Thyssenkrupp-Management wolle Sparten des Essener Unternehmens, zu dem insgesamt rund 100.000 Beschäftigte gehören, wohl leichter vom Mutterkonzern loslösen können.
Bei der Bilanzpressekonferenz hatte der Thyssenkrupp-Vorstand vor wenigen Tagen offen für ein mögliches Stahl-Bündnis mit dem tschechischen Milliardär Daniel Křetínský geworben. López bestätigte, dass Thyssenkrupp mit der Křetínský-Firma EPH ein Gemeinschaftsunternehmen anstrebe, bei dem beide Partner jeweils zur Hälfte beteiligt sein sollen: „50-50 ist das Modell.“ Rund 27.000 der insgesamt etwa 100.000 Beschäftigten arbeiten in der Stahl-Sparte Thyssenkrupp Steel.
Für die IG Metall steht viel auf dem Spiel. Bei einem möglichen Einstieg des tschechischen Milliardärs geht es um mehrere große Werke in NRW, darunter Europas größter Stahlstandort Duisburg. Ein Forderungs- und Fragenkatalog der Gewerkschaft liegt auf dem Tisch. Zu klären ist aus Sicht der IG Metall unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Křetínský seinen Sitz weiterhin in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp langfristig beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem eine mehrjährige Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung. Der Thyssenkrupp-Vorstand erwägt auch eine Herauslösung der Marine-Sparte mit dem wichtigen U-Boot-Bau an Deutschlands Küste.
Weitere Entscheidungen gegen den Willen der Arbeitnehmer?
„Wichtige Entscheidungen wie die Verselbstständigung der Marine oder einen Teilverkauf des Stahlbereichs dürfen nicht gegen den Willen der Arbeitnehmer und mit Russwurms Doppelstimme durchgesetzt werden“, warnt Tekin Nasikkol, der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp. López werde den Konzern gegen den Willen der Beschäftigten nicht führen können, gibt Nasikkol zu bedenken.
„Überall laufen Sparprogramme, die Performance soll erhöht werden, Investitionen sowie Stellen wurden und werden weiterhin gestrichen. Aber für zwei neue Vorstände ist plötzlich jede Menge Geld da? Das passt nicht zusammen“, kritisiert die Gewerkschaft in dem Schreiben an die Belegschaft. „Da wird Wasser gepredigt und Wein getrunken.“ Um zu illustrieren, wie teilweise die Ausstattung in den Thyssenkrupp-Betrieben aussehe, schreibt die IG Metall: Bei der Konzerneinheit „Federn und Stabis“ in Hagen seien „die Sanitäranlagen abbruchreif“, und das sei „noch vorsichtig ausgedrückt“.
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