Essen. Real verschwindet, Kaufland schließt Läden, Galeria soll verkauft werden. Handelsexperte Lehnerdt erklärt, warum Kunden Warenhäuser eher meiden.

Galeria Karstadt Kaufhof sucht einen neuen Eigentümer, Real wird abgewickelt und selbst die erfolgreiche SB-Warenhauskette Kaufland will im Ruhrgebiet Filialen schließen. Ein Handelsexperte erklärt, wie die Signa-Pleite den deutschen Einzelhandel belastet und warum es Läden mit großen Verkaufsflächen immer schwerer haben.

Geht es nach der Philosophie von Jörg Lehnerdt, Niederlassungsleiter der BBE Handelsberatung in Köln, hat Mülheim alles richtig gemacht. Die riesige Fläche des geschlossenen Real-Markts teilen sich nun ein Luxus-Supermarkt von Edeka Paschmann (4500 Quadratmeter), der Discounter Lidl (1200 qm) und die Drogeriekette dm (650 qm). In dem neuen „Hafencenter“ sind überdies ein Blumenladen, eine Apotheke und eine Post-Agentur untergebracht. Das Fachmarktzentrum am Rande der Mülheimer Innenstadt mit seinen 400 kostenlosen Parkplätzen läuft so gut, dass der Eigentümer gerade anbaut und Platz unter anderem für ein Burger-King-Restaurant schafft.

Real schließt 45 von 63 Märkten - auch in Gelsenkirchen, Heiligenhaus, Herne

Aus Sicht von Immobilien-Experte Lehnerdt gehört dieser Form der Center die Zukunft. „Große Formate wie Real funktionieren auch deshalb nicht mehr, weil sich die Leute nicht die Hacken ablaufen wollen. Dafür werden spezialisierte Fachmärkte und Lebensmittelmärkte in der Nähe der Wohnung beliebter“, sagt er. Real hatte im Oktober Insolvenz angemeldet. Von den 63 verbliebenen Märkten will das Unternehmen bis Ende März des kommenden Jahres 45 Standorte schließen. An Rhein und Ruhr gehören dazu Dinslaken, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Heiligenhaus, Herne und Kamp-Lintfort.

Jörg​​​​ Lehnerdt ist Niederlassungsleiter der BBE Handelsberatung in Köln. Der Handelsexperte sagt, dass es Läden mit großen Sortimenten immer schwerer haben. Fachmärkte indes seien umso beliebter.
Jörg​​​​ Lehnerdt ist Niederlassungsleiter der BBE Handelsberatung in Köln. Der Handelsexperte sagt, dass es Läden mit großen Sortimenten immer schwerer haben. Fachmärkte indes seien umso beliebter. © Handout | Quirin Leppert

Der Niederlassungsleiter des BBE, ein Institut des Handelsverbands Deutschland, hat das Ende des traditionsreichen Unternehmens, das in Glanzzeiten bundesweit mehr als 300 Filialen hatte, kommen sehen. „Der Real-Slogan ,Einmal hin, alles drin‘ hat ausgedient“, meint Lehnerdt. Die Kette habe den Kundinnen und Kunden versprochen, alles vom Autoreifen bis zum Fernseher anzubieten. „In den Sortimenten gab es dann aber keine richtige Auswahl. Die Bedürfnisse der Kunden werden aber spezieller. Deshalb sind Fachmärkte so beliebt.“

Experte Lehnerdt: SB-Warenhaus hat ausgedient

Im Umkehrschluss ist der Experte deshalb davon überzeugt, dass das Konzept SB-Warenhaus mit einem hohen Non-Food-Anteil, also allem außer Lebensmitteln, „ausgedient“ habe oder sich „zumindest im Sinkflug“ befinde. „Kaufland und Globus sind da zeitgemäßer aufgestellt, weil sie den Schwerpunkt eindeutig auf Frische und Lebensmittel legen“, erklärt Lehnerdt. Die saarländische Kette Globus will stärker in NRW Fuß fassen und hat zuletzt große Märkte unter anderem an ehemaligen Real-Standorten etwa in Essen, Duisburg, Bochum, Castrop-Rauxel, Siegen, Tönisvorst und Wesel eröffnet.

Auf Expansionskurs war auch Kaufland. Die Kette, die wie der Discounter Lidl zur Schwarz-Gruppe gehört, hat aber unlängst angekündigt, vier Läden an Rhein und Ruhr zu schließen. Aus dem Bochumer Einkaufszentrum Ruhrpark will Kaufland im September 2024 ausziehen, der Abschied aus Dortmund-Mengede ist für März 2025 terminiert. Die Recklinghäuser Innenstadt will Kaufland im Januar 2025 verlassen, und in Siegen soll im Juni 2024 Schluss sein. Aktuell ist Kaufland nach eigenen Angaben an mehr als 140 Standorten in NRW vertreten.

„Kaufland ist eine Erfolgsgeschichte“

Handelsexperte Lehnerdt zieht aus der Schließungsliste seine Schlüsse und sagt: „Kaufland ist eine Erfolgsgeschichte, muss inzwischen aber auch genau hinschauen, wo größere Märkte funktionieren und wo nicht.“ Gleichwohl befürchtet der BBE-Manager nicht, dass aufgegebene Standorte von großen SB-Warenhäusern lange leer stehen müssen. „Wenn es das Baurecht hergibt, gibt es vernünftige Nutzungskonzepte aus einem großen Supermarkt-Betreiber, einem Discounter und einem Drogeriemarkt. Diese Kombination beobachten wir jetzt häufiger“, meint Lehnerdt nicht nur im Hinblick auf das Hafencenter in Mülheim.

Mehr Kopfzerbrechen bereitet dem Institut BBE indes ein anderer Einzelhändler mit zum Teil gewaltigen Verkaufsflächen: Nachdem die Konzernmutter Signa des österreichischen Milliardärs René Benko Insolvenz anmelden musste, steht die Essener Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof zum Verkauf. „Die Signa-Krise sorgt für eine neue Schockwelle. Die Insolvenz der Holding bringt Unruhe in die Belegschaft etwa von Galeria Karstadt Kaufhof, aber auch Unruhe in die Bevölkerung“, registriert Lehnerdt und warnt: „Es besteht die Gefahr, dass Händler, die in Verbindung zu Signa stehen, in eine Negativspirale geraten. Kunden gehen da möglicherweise allein schon deshalb nicht mehr hin, weil Signa in den Schlagzeilen ist.“ Und das mitten im Weihnachtsgeschäft.

Galeria schließt Ende Januar weitere Warenhäuser

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:

Der Experte erwartet, dass es gleich im neuen Jahr zu neuen Turbulenzen kommen werde. „Ende Januar schließen weitere Galeria-Standorte. In NRW sind das unter anderem Bielefeld, Krefeld, Wuppertal und Mönchengladbach. Das wird neue Unruhe bringen, obwohl die Schließungen nichts mit der aktuellen Signa-Krise zu tun haben“, sagt Lehnerdt. Analog zu den SB-Warenhäusern hält er auch große Kaufhäuser ohnehin für ein Auslaufmodell. „Einzelhandel auf mehr als zwei Etagen funktioniert nur noch in Ausnahmefällen. Angesichts der Online-Konkurrenz ist es den Kunden nicht mehr vermittelbar, dass man Ware auf fünf Stockwerken oder mehr in durchgängig hoher Qualität anbietet“, erklärt der Experte.